Ukraine-Krieg: Die Gut-Böse-Schlacht
Die Antwort auf Putins und Kyrills „Endkampf zwischen Gut und Böse“ kann nicht darin bestehen, alle Russ(inn)en als Schurken zu sehen. Über kirchliche und politische Gegenentwürfe.
Die Antwort auf Putins und Kyrills „Endkampf zwischen Gut und Böse“ kann nicht darin bestehen, alle Russ(inn)en als Schurken zu sehen. Über kirchliche und politische Gegenentwürfe.
Zwei Frauen, die gemeinsam ein schlichtes Holzkreuz tragen: die eine Ukrainerin, die andere Russin, zwei Freundinnen, zwei Krankenpflegerinnen, verbunden und vereint trotz allen Krieges und aller Propaganda. Es sollte eine starke, ja ikonische Geste der Versöhnung werden, vollzogen auf Wunsch von Papst Franziskus im Rahmen des traditionellen Karfreitags-Kreuzwegs um das Kolosseum in Rom. Und tatsächlich schrieb diese Szene Geschichte – freilich auch wegen der Empörung vorab. Solange das russische Schlachten anhalte, solange seien derlei Gesten verfehlt, hieß es von ukrainischer Seite.
„Um sich zu versöhnen, muss man zumindest am Leben sein“, erklärte der griechisch-katholische Großerzbischof von Kiew, Swjatoslaw Schewtschuk. Am Ende kürzte man die ursprünglich geplanten Vergebungsbitten, die sich tatsächlich jeder politischen Verantwortungszuschreibung enthalten hatten – und setzte an ihre Stelle vor allem eines: betende Stille.
Die Aufregung um die karfreitägliche Kreuzwegs-Geste illustriert das aktuelle Dilemma all jener, die sich für Frieden, Dialog und Versöhnung einsetzen – oder sich gar „Pazifisten“ nennen. Naivität ist noch der gelindeste Vorwurf, mit dem sie zu rechnen haben, „Putin-Versteher“ der weitaus häufigere. Auch dem Papst wurde und wird mangelnde Deutlichkeit vorgeworfen: Zwar sprach er am Ostersonntag dezidiert vom „sinnlosen Krieg“, in den die Ukraine „hineingezogen wurde“, von den vielen Opfern und den Millionen Flüchtlingen. Dass er den Verursacher all dieses Leids – Wladimir Putin – nicht namentlich nannte und auch eine baldige päpstliche Reise in die Ukraine verworfen wurde, sorgte aber bei manchen für Enttäuschung.
Rasender Bekenntniszwang
Man kann Franziskus’ Worte und Gesten als diplomatische Zurückhaltung begreifen; man kann sie aber auch als radikalen, christlichen Gegenentwurf zu jenem toxischen Gut-und-Böse-Narrativ verstehen, dessen sich der Massenmörder Putin – mit hasspredigender Unterstützung des orthodoxen Patriarchen Kyrill – bedient. Denn je länger dieser barbarische Angriffskrieg dauert, je himmelschreiender das russische Schlachten in Mariupol und anderen Städten wird, desto ähnlicher klingt auch das westliche Echo auf dieses Narrativ von Schwarz und Weiß. Bis am Ende nicht nur Putins Russland als Schurkenstaat firmiert, sondern alle Russinnen und Russen als Schurken.
Der rasende Bekenntniszwang, unter den auch in Österreich alle Künstlerinnen und Künstler russischer Herkunft gestellt werden – bei überschaubarer öffentlicher Selbstbezichtigung der politischen und wirtschaftlichen Russlandfreunde –, muss besorgt stimmen. Denn letztlich haben wir alle vom günstigen russischen „Blutgas“ profitiert; heimische Konzerne ebenso wie Kunst und Kultur.
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