Wladimir Putin - © Foto: APA/AFP/WANG Zhao

Ukraine: Kriegstreiben

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Europa steht am Beginn einer blutigen Schlacht um die Ukraine. Was kann und muss nun getan werden, um Putin zur Raison zu bringen? Über Perspektiven von Krieg und Frieden an einer furchterregenden Zeitenwende.

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Europa steht am Beginn einer blutigen Schlacht um die Ukraine. Was kann und muss nun getan werden, um Putin zur Raison zu bringen? Über Perspektiven von Krieg und Frieden an einer furchterregenden Zeitenwende.

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Mächtige Männer sind offensichtlich immer Vorbilder, egal was sie tun. „Putin: Life Coach“, heißt ein Buch, in dem ein amerikanischer Autor versucht, die Aktionen des Kremlchefs für den täglichen Hausgebrauch zu übersetzen: Wie man etwa einen Intimfeind in einem Nobelrestaurant brüskiert, wie man die Internet-Elterngruppe in der Schule hackt, wie man ein Grundstück reklamiert, das einem nicht gehört. Solche Inhalte klingen aufs Erste bizarr. Aber sie führen uns zum Kern der aktuellen Weltpolitik, die regiert wird vom Charakterbild Wladimir Putins: selbstsüchtig, rücksichtslos, hintertrieben, kein Mittel scheuend. So sehen wir es gerade in der Ukraine, am Tag der Invasion durch russische Truppen.

Man darf bei der Verurteilung allerdings nicht vergessen, dass Putin vermutlich gut an der Rücksichtslosigkeit seiner nunmehrigen Intimfeinde gewachsen ist. Angesichts der jämmerlichen, fabrizierten „Beweise“ für „Genozid an Russen in der Ostukraine“ darf man sich durchaus erinnern, wie der Irakkrieg von den USA und George W. Bush mit getürkten Beweisen für Massenvernichtungsmaßnahmen vom Zaun gebrochen wurde. Aber westliche Verfehlungen können nicht, wie Putin es darstellt, im Handumdrehen als Begründung gelten um noch Schlimmeres in der Ukraine anzustellen. Die Weltpolitik ist im 21. Jahrhundert kein Ort für die Inszenierung eines Blutbads auf Basis notorischer Völkerrechtsbrüche.

Putin lernt aus der Geschichte, indem er die Grausamkeiten der Vergangenheit als Projekte für die Zukunft plant.

Die derzeit ablaufende Invasion liess sich schon am Montag an Putins Kriegseröffnung ablesen. Nachdem er zuvor mit gereizter Miene seinen Sicherheitsrat dazu vergattert hatte, seine Attacke vor laufenden Kameras abzusegnen, referierte ein gekränkter Tyrann sein zusammengekleistertes Geschichtsbild. Zunächst mutete das noch wie eine bizarre, unfreiwillige Satire an. Aber eigentlich macht eben dieser Vortrag die Sache brandgefährlich.

Das Ende der Geschichte

Da glaubt ein Diktator historisch im Recht zu sein und er besteht gegen alle Vernunft auf seiner Version der Geschichte - von der gloriosen Sowjetunion bis zur „staatsunwürdigen“ Ukraine. Putin hat eine neue Form des „Aus-der-Geschichte-Lernens“ gefunden. Er versteht darunter nicht die Aufarbeitung von Fehlern und Grausamkeiten. Er lernt aus der Geschichte, indem er sie wiederholen, ja rächen möchte.

Hier stehen die Grausamkeiten der Vergangenheit als Projekt für die Zukunft - ein Total Recall der Unterjochung von Millionen Menschen unter Inkaufnahme von Krieg und Tod. Das Tragische an der aktuellen Lage ist aber auch, dass Putin mit seiner historisierenden Kriegstaktik schon einmal Erfolg hatte: bei der Besetzung der Krim. Der Westen tat damals zu wenig. Auch wegen dieses Erfolgs stehen heute „die Zeichen auf Sturm“ (Alexander Schallenberg, Anm.).

Umso wichtiger wäre es, die Nachgiebigkeit nicht zu wiederholen. Die Sanktionen müssen schnell kommen und viel umfassender als Dienstag beschlossen. Es darf nicht bei der Schließung einer noch nicht einmal in Betrieb befindlichen Pipeline bleiben, oder die Sperre von ein paar Konten hier und einiger Geschäftsbeziehungen dort. So erntet man nur Hohngelächter. In Wahrheit ist nun jeder Tag kostbar. Wenn Kiew gefallen ist, wird es zu spät sein. Hunderttausende Menschenleben hängen von diesen Sanktionen ab und letztlich noch viel mehr: Solange Wladimir Putin „Life-Coach“ der Globalpolitik ist, wird nichts mehr sicher sein.

Dieser Artikel ist die aktualisierte Version des Leitartikels der Printausgabe vom 24. 02. 2022

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