Ukraine-Krise: Den Putin erziehen
Sanktionen werden die russische Führung nicht von weiteren Raubzügen abhalten. Soll die Belagerung des Westens ein Ende haben, muss man den Kreml mit anderen Mitteln schlagen.
Sanktionen werden die russische Führung nicht von weiteren Raubzügen abhalten. Soll die Belagerung des Westens ein Ende haben, muss man den Kreml mit anderen Mitteln schlagen.
Schwarze Pädagogik, so nannte man früher ein Erziehungsmodell, in dem die Kinder relativ früh durch Gnadenlosigkeit an die angebliche Gnadenlosigkeit des Lebens herangeführt werden sollten. Diese Gnadenlosigkeit erzeugte später in den Behandelten selbst Gnadenlosigkeit – das Modell wurde verworfen, und nun wird Kindern Verständnis und Gespräch gegeben, oft lockend, manchmal leitend, nur ganz selten zwingend. Der neue Stil zahlt sich aus, zumindest wenn es um das Selbstbewusstsein, die Offenheit und den Mut der heute unter 30-Jährigen geht.
Der gleiche Stil, so hat man den Eindruck, hat in den Demokratien der Welt auch diplomatisch die Runde gemacht. Man will Konflikte generell durch Entgegenkommen lösen, Kriegen gegenüber ist man allergisch, und die militärische Macht soll durch die wirtschaftliche ersetzt werden. Daher die heute in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt häufige Frage (unabhängig davon, ob dort nun russische Truppen schon Krieg führen oder nur die Grenze auf und ab manövrieren): Was kann man Wladimir Putin anbieten, damit das aufhört? „Das“ ist in dem Fall das, was Putin begonnen hat.
Der neue Stil heißt, das Gespräch in jedem Fall suchen, Sanktionen androhen, Kompromisse anbieten. Das sieht dann in etwa so aus: Wladimir, wir aus dem Westen klopfen die Ukraine-Regierung so lange weich, bis sie garantieren, nicht der NATO beizutreten. Damit besänftigen wir den wilden Herrn im Kreml, die EU kriegt weiter billig Gas und lässt Putin zu Hause tun, was er eben so tut – mit Kritikern, Ex-Spionen, Oppositionellen, NGOs.
Und dann der nächste Aufmarsch
Diese Taktik kann kurzfristig Erfolge feiern, „damit das endlich aufhört“. Es ist nur ebenso sicher, dass nach dem aktuellen der nächste Truppenaufmarsch bevorsteht, vielleicht um Moldau oder Teile von Georgien zu kassieren. Und waren denn nicht – sowjetisch betrachtet – das Baltikum, Polen, Ungarn, schlicht alles bis zum Eisernen Vorhang auch russische „Sphäre“? So wird letztlich sehr viel zur Disposition stehen, wenn beständig nachgegeben wird. Appeasement löst nicht das Grundproblem: Putin versteht das Konzept der antiautoritären Diplomatie nicht. Und wer ihm mit Nachgiebigkeit entgegentritt, wird sich irgendwann seiner Werte und Sphären beraubt sehen.
Schon jetzt füllt Russland jedes noch so kleine Vakuum, das die USA und die Europäer hinterlassen, sei es in Nahost, Nordafrika und selbst Afghanistan. Putin setzt nach, unerbittlich zielstrebig. Es ist Zeit für einen Perspektivenwechsel: Die Ukraine oder der Westen werden nicht angegriffen, weil Putin sich seiner Macht so sicher ist. Sie werden angegriffen, weil Putin sich im Inneren von westlichen Werten und Idealen bedroht fühlt.
Das gefährlichste Instrument, die wirkungsvollste Waffe des Westens sind nicht Waffen oder Finanzsanktionen. Es sind Werte: Bürgerrechte, Gerechtigkeit und Freiheit. In diesem Sinn ist der Westen weit davon entfernt unterzugehen. Die Kriegstreiberei, politische Unterdrückung, Cyberattacken zeigen die Verwundbarkeit der Unterdrücker. Vielleicht müssen wir aber lernen, ähnlich subversiv zu werden wie Putin und seinesgleichen.
Es wurde schon anlässlich der von Russland beeinflussten US-Wahlen 2016 im US-Kongress debattiert: Der Westen muss Oppositionsgruppen, Bürgerrechtsgruppen, Widerständler und auch Hacker gegen Proponenten und Gefolgsleute der Autokratien unterstützen – finanziell und mit aller geheimdienstlicher Kraft. Nicht nur Sanktionen sind es, sondern die subkutanen Angriffe, Stiche und Schnitte, durch die Russlands Führung verstehen lernen muss, dass sie sich viel, aber nicht alles leisten kann. Es mag schwarze politische Pädagogik sein und anrüchig – sei’s drum, es wird wirken.
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