Ungeimpfte als Feindbild: Die Last der Wahrheit

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Ungeimpfte sind das neue Feindbild schlechthin. Zu Recht? Jein. Jeder sollte die Freiheit auf seine eigene Weltsicht haben – aber auch bereit sein, die Konsequenzen dafür zu tragen.

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Ungeimpfte sind das neue Feindbild schlechthin. Zu Recht? Jein. Jeder sollte die Freiheit auf seine eigene Weltsicht haben – aber auch bereit sein, die Konsequenzen dafür zu tragen.

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Ein Mann reitet auf einem Esel, sein kleiner Sohn geht neben ihm. Sie stoßen auf eine Gruppe, die den Vater als Unmenschen beschimpft. Sie sagt, es sei hartherzig, dem Kind den Fußweg zuzumuten. Daraufhin überlässt der Vater seinem Sohn den Sitzplatz. Wenig später treffen sie auf eine andere Gruppe. Die beschimpft den Sohn. Ein vitaler Heranwachsender solle seinen Vater schonen, heißt es. Vater und Sohn setzen sich schließlich gemeinsam auf den Esel. Nun begegnen sie einer Tierschützergruppe. Diese bekrittelt die schwere Last, die die beiden dem Esel zumuten...

Es war der Philosoph Paul Watzlawick, der anhand dieser Geschichte zu erklären versuchte, wie schwierig die Frage „Gibt es eine objektive Wahrheit?“ zu beantworten ist. Denn wahr ist, was wahrgenommen wird. Und die subjektive Wirklichkeit ist geprägt von sozialen Erfahrungen, der Erziehung, dem Umfeld, kulturellen Prägungen. Auf die gegenwärtige Impfquote in Österreich übersetzt heißt das: Wer sich nicht impfen lässt, hat Gründe. Viele davon sind nachvollziehbar. Andere verstünde man vermutlich erst, wenn man tief eintauchte ins Unterbewusste seines Gegenübers.

Ungeimpfte (die theoretisch impfbar wären) sind zum neuen Feindbild mutiert. Mit Recht? Oder müssten deren Weltsichten vielmehr als gleichwertig anerkannt werden? Das wäre der Zugang des radikalen Konstruktivismus, den Watzlawick mitbegründete. Die Antwort ist klar: Jein! Unser gegenwärtiges gesellschaftliches Zusammenleben ist kein Testlabor für philosophische Theoreme. Gleichzeitig muss jedem die Freiheit gelassen werden, seine eigene Wahrheit zu leben. Fußnote: solange seine Mitmenschen keinen Schaden nehmen.

Kollektive Menschenrechtsverletzung

Die Freiheit des einen darf nicht in die Unfreiheit des anderen münden. Geschlossene Schulen, Kontaktbeschränkungen, verschobene OPs, fehlende Intensivbetten, überforderte Eltern oder Einsamkeit, die sich Bahn bricht, sind keine Option mehr. Auf Durchseuchung zu bauen und alle unter 12-Jährigen einem unkalkulierbaren Risiko auszusetzen, käme indes einer kollektiven Menschenrechtsverletzung gleich.

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