Wir und die Anderen: Von Impfgegnern und Identitätspolitik

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Geimpfte und Impfgegner(innen) haben längst kollektive Identitäten entwickelt – angefeuert von der Politik. Soll diese Pandemie ein Ende haben, muss simples „Othering“ endlich aufhören.

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Geimpfte und Impfgegner(innen) haben längst kollektive Identitäten entwickelt – angefeuert von der Politik. Soll diese Pandemie ein Ende haben, muss simples „Othering“ endlich aufhören.

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Die Menschen in diesem Land hätten die „Fähigkeit, miteinander einen Weg des Zusammenlebens zu finden, der zwar von Matschkern, aber nicht von scharfen Kontroversen bestimmt ist oder davon, dass die Bevölkerung wirklich in Teile zerfällt, die nicht mehr zusammenhalten“: Das sagte einer, aus dessen Mund man es nicht erwartet hätte – der in der Vorwoche verstorbene linke Intellektuelle Caspar Einem. Seine Worte im FURCHE-Interview des Jahres 1999 verblüffen umso mehr, als Einem selbst als roter Innenminister einem politmedialen Sperrfeuer ausgesetzt gewesen war: Die Krone hatte ebenso gegen ihn und seine Ressentiment-aversive Politik gehetzt wie der aufstrebende Jörg Haider.

Hört man sich heute um, dann wirkt Einems freundliche Diagnose wie aus der Zeit gefallen. Gut eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie haben sich zwei gesellschaftliche Gruppen formiert, zwischen denen es keine Berührungspunkte mehr gibt – außer die gemeinsame Erfahrung, dass Impfdebatten in kürzester Zeit eskalieren und nichts anderes hinterlassen als Zorn und das Gefühl absoluter Entfremdung. Der „nationale Schulterschluss“ von gestern ist hingegen nur mehr eine blasse Erinnerung, ebenso wie Polizeiautos, die mit Megaphon „I am from Austria“ in die lockdown-geleerten Straßen brüllen. Gemeinsam, so die einstige Hoffnung, würde man diese Krise schon bewältigen und womöglich sogar gestärkt daraus hervorgehen.

Was ist schiefgelaufen?

Heute stehen wir vor den Trümmern dieser Hoffnung: Das für Sommer proklamierte Ende der Pandemie ist eine Schimäre, längst fegt die vierte Welle in der „Sicherheitsphase“ die frisch geöffneten Schulen leer: Rund 400 Klassen wurden bereits teilweise in Quarantäne geschickt, erfahrene Eltern rechnen mit dem Schlimmsten.

Die politisch Verantwortlichen scheinen derweil die Welt nicht mehr zu verstehen. Was ist hier schiefgelaufen? Warum ist die Zahl der Impfunwilligen deutlich größer als gedacht? Während der Gesundheitsminister im zweiten Jahr der Pandemie erstmals laut an „persönliche Aufklärungsgespräche“ durch Hausärztinnen und -ärzte denkt, bespielen die Freiheitlichen gekonnt die vorherrschende Skepsis. Eine nachvollziehbare Strategie: Alle anderen Themen, die im rechtskonservativen Spektrum verlässlich für Zustimmung sorgen (von Migrations- bis zu Islamkritik), hat sich bereits die Neue Volkspartei einverleibt, wie Ulrich Körtner vergangenen Sonntag in „Im Zentrum“ richtig feststellte.

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