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Leitfaden für Manager

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Allgemeine Aussagen über Wirtschaftsethik sind sehr abstrakt. Daher erscheint es notwendig, mehr denn je die Einzelbereiche und die darin tätigen Menschen in ihrer jeweils persönlichen Verantwortung zu sehen. Ansonsten lege ich Wert darauf, festzustellen: Die katholische Kirche hat keine wirtschaftlichen Konzepte, wohl aber weist sie hin auf ethische Imperative. Dabei ist sich auch die Kirche -und sind es wohl alle Christen - bewußt, daß das Ordnungsgefüge des

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in der heutigen Welt ein sehr komplexes Geschehen ist.

In diesem Zusammenhang darf ich erinnern, daß nicht nur eine Hochschule von St. Gallen in der Schweiz eine eigene Forschungsstelle für Wirtschaftsethik eingerichtet hat, sondern daß eine Reihe von amerikanischen Universitäten Wirtschaftsethik zum normalen Curriculum ihrer Ausbildung zählen. In der Welt des Islam wurde in den letzten zehn Jahren ein „Institut für islamische Ökonomie" eingerichtet. In Mailand wurde im Vorjahr ein „First network" für Wirtschaftsethik eingerichtet. Ein Mitglied der japanischen Management-Association (Kobayashi) hat unlängst auf das Geheimnis der japanischen Wirtschaftsführung hingewiesen und dabei festgestellt: Die am meisten geschätzte Lektüre im japanischen Top-Management sei noch immer Konfuzius. Seine Ethik, seine Staatsethik bleibt in der erfolgreichen japanischen Industrie noch immer wegweisend

Solche Zeichen eines neu erwachten Interesses bleiben aber nicht unwidersprochen.

Daß ethische Gesinnung von wirtschaftlicher Bedeutung sei und ihre Prozesse beeinflusse, das, so wendet man ein, galt vielleicht einmal für eine bäuerlich-handwerkliche Gesellschaft. Heute hat sich das aber radikal geändert. In einer Wirtschaft hoher Technik und einer weltweiten Verflochtenheit der Märkte wird der Wirtschaftsprozeß von selbständig funktionierenden Strukturen und Mechanismen bestimmt. Hier, so wendet man wieder ein, kann man mit Ethik nicht viel anfangen.

Ich persönlich bin allerdings der Meinung, daß es sich hier eher um Mißverständnisse handelt.

Wirkliche oder scheinbare Widersprüche zwischen Wirtschaft und Ethik (ethischen Grundsätzen), halte ich nicht für unlösbar. Das ist vor allem dann der Fall, wenn beide Fachbereiche ihre Grenzen einhalten und in einem Dialog mit entsprechender Sachkenntnis die offenen Fragen aufgegriffen werden.

Ansatzpunkte für einen solchen Dialog sind nach meiner Meinung durch drei ethische Imperative gegeben. Es sind Grundsätze, die auch auf die christliche Gesellschaftslehre zurückgehen:

1. Wirtschafte sachgerecht.

2. Wirtschafte menschengerecht.

3. Wirtschafte gesellschaftsgerecht. Die ständisch gegliederte Ordnung des Mittelalters war überzeugt, daß bei der Knappheit der Güter wirtschaftliche Sachgesetze notwendig seien, die man beachten müsse. Aber sie waren vielleicht mehr davon überzeugt, daß diese von sich aus nicht automatisch das Problem lösen würden, sondern daß dazu ethische Normen der wirtschaftlichen Strukturen und des persönlichen Verhaltens notwendig seien.

Der Begründer der klassischen Nationalökonomie, Adam Smith, hat im wirtschaftlichen Umbruch

seiner Zeit, zu Beginn der Industriewirtschaft, der Überzeugung die Wege geebnet, daß ein sachgerechtes Handeln für seine Zeit keinen vielschichtigen Kodex ethischer Normen brauche, die den gerechten Preis oder das Zinsverbot betreffen. Ein sachgerechtes Verhalten würde nach ihm durch eine unsichtbare Hand gelenkt und bedingt durch folgende Fakten: im Gesetz von Angebot und Nachfrage, in der Relation zwischen Sparen und Investieren, drittens in der Beziehung zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung kämen andere Gesetze zum Vorschein. Wichtig war damals aber schon die Überzeugung, daß in einer arbeitsteiligen und beweglichen Industriegesellschaft der Wirtschaftsprozeß selbst nicht so sehr vom guten oder schlechten Willen des Menschen abhängig sei, sondern von der Befolgung der gegebenen Sachzwän-ge. Das allein führte zu einer neuen Sicht der Wirtschaft und Ethik. Das heißt, die Wirtschaftsethik mußte die geänderten Voraussetzungen, als Grundlage für ihre Orientierung zur Kenntnis nehmen. Adam Smith selbst aber war überzeugt -was vielleicht heute zu wenig beachtet wird - daß die Sachzwänge allein noch nicht das wirtschaftliche Geschehen hinreichend bestimmen. Er nennt dafür drei Voraussetzungen:

• Mitgefühl und Sympathie unter den arbeitenden Menschen müsse vorhanden sein, um Ungerechtigkeiten zu verhindern.

• Es gibt ein Grundgesetz der Gerechtigkeit, das durch Erfahrung und Vernunft allein erfaßbar ist.

• Es braucht Gesetze, die im Notfall eingreifen, um Ungerechtigkeiten zu verhindern.

Das heißt also, daß richtig erkannte Sachzwänge immer hineingestellt sind in das gemeinsame menschliche Verhalten, also in ein ethisches Verhalten. Smith selber

und viele seiner Schüler haben daher die Wirtschaft nicht nur als einen Sachprozeß gesehen, nach Art eines blinden Mechanismus, sondern als einen Prozeß, der nicht losgelöst zu sehen ist vom menschlichen Verhalten.

Für unsere Zeit heißt das: Technik und Weltmärkte haben ihre Gesetze, die ich nicht ungestraft ignorieren kann. Übrigens hat auch das Zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kirche ausdrücklich eine Autonomie der wirtschaftlichen Sachbereiche festgehalten. Man kann daher auch nicht sagen, daß der Fortschritt heute zu weit gegangen ist, solange es noch so viele Menschen gibt, die in bedrük-kenden, menschenunwürdigen Verhältnissen leben.

Wirtschafte also sachgerecht! Das ist zugleich eine Voraussetzung für ethische Ausrichtung und Orientierung. Daran schließt sich der zweite wirtschaftsethische Imperativ, der mit dem vorausgehenden eng verbunden ist: Wirtschafte menschengerecht!

Hier scheint'mir in diesem Zusammenhang beachtenswert, zu hören, wie das Zweite Vatikanische Konzil in seinem großen Dokument über Kirche und Welt diese Zusammenhänge sieht: Ich zitiere wörtlich: „Aufgabe und Ziel der Wirtschaft besteht weder ausschließlich in der vermehrten Produktion als solcher, noch in der Erzielung übermäßiger Gewinne, noch in der Ausübung von Macht, -sondern letztlich im Dienst am Menschen, und zwar am ganzen Menschen, im Hinblick auf seine materiellen Bedürfnisse. Aber ebenso auch im Hinblick auf das, was er für sein geistiges, sittliches, spirituelles und religiöses Leben benötigt. Das gilt nachdrücklich für alle Menschen... ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel der Wirtschaft." Ich gehe grundsätzlich vom Standpunkt eines christli-

chen Menschenbildes aus: Der Mensch als der von Gott aufgerufene, weltliche Partner Gottes; von Gott geschaffen und zu ihm unterwegs; der Mensch, der aus dieser Tatsache seine Würde herleitet, ist auch Partner der Wirtschaft und als solcher auch Arbeitskraft. Jede Wirtschaft muß mit Arbeitskräften rechnen. Die Arbeitskraft aber ist nicht vom ganzen Menschen mit seinen geistigen, seelischen undkör-perlichen Kräften zu trennen.

So gehört zum ganzen Menschen nicht nur die Vernunft, sondern auch die Freiheit und die Verantwortung.

Eine Wirtschaftsethik muß also davon überzeugt sein, daß der Einbau von Freiheit und Verantwortung, von Kreativität und Solidarität direkt zusammenhängt mit wirtschaftlicher Sachgerechtigkeit und Wirksamkeit. Und sie muß weiter davon überzeugt sein, daß das Menschenbild, auf dem eine freie Gesellschaft beruht, in allen Bereichen des Lebens gültige Ausrucksformen finden müsse, nicht nur in den Reservaten der Freizeit.

Wirtschafte gesellschaftsgerecht! Heute spricht man wiederholt von einem „Öffentlichkeitsmandat" der Wirtschaft. Ein amerikanisches „Comittee for economic development" stellt einen Katalog von gesellschaftspolitischen Aufgaben der Wirtschaft zusammen. Dieser beginnt zum Beispiel mit Bildungsarbeit im Betrieb, bis hin zur Mitverantwortung, etwa in der Stadtsanierung.

Damit soll gesagt werden, daß Unternehmen sich heute nicht mehr nur auf die Lösung rein ökonomischer Probleme, von Produktionsverfahren und Absatzstrategien, zu; beschränken haben, sondern ihre Aufmerksamkeit zugleich auch auf die gesellschaftlichen Folgerungen ihres Verhaltens zu richten haben. Unternehmen müssen heute Rücksicht nehmen auf Umwelt, auf kommunale und soziale, wie moralische Aspekte. Ein bloßes „Sich beschränken" auf weitere Rationalisierung und Spezialisierung, sowie bessere Märktbeziehungen reicht für ein modernes Unternehmen nicht mehr aus.

Damit ist auch gesagt, daß Wirtschaft nicht nur ein Sachprozeß ist, sondern wesentlich ein Kulturprozeß. Daher muß der Wirtschaft auch daran gelegen sein, daß die in der Gesellschaft geltenden Werte erhalten und verteidigt werden; daß sie im Notfall wiederhergestellt werden, nicht zuletzt deshalb, weil die Wirtschaft selber von ihnen abhängig ist. Aber weil Wirtschaft auch, nicht nur, sondern auch - ein Kulturprozeß ist, haben die drei ethischen Imperative: „Wirtschafte sachgerecht, menschengerecht und gesellschaftsgerecht!" ihre ständige Berechtigung.

Auszug aus einem Vortrag vor dem World Economic Forum (Genf), gehalten am 28. und 29. November 1990 im Haus der Industrie und im Palais Schwarzenberg in Wien, veranstaltet vom Austria Forum.

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