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Lenin

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Über den Revolutionär in Zürich.

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Über den Revolutionär in Zürich.

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Gelegentlich eines Aufenthaltes in Zürich habe ich auch das berühmte Cafi Odeon besucht, in dem schon die Väter des Dadaismus und andere Künstler, aber auch Lenin verkehrten. Heute noch ist dieses Cafe ein Tummelplatz der Boheme.

Gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Jubiläumsfeiern zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution habe ich mich daran erinnert, daß Lenin in Zürich Zeit und Muße hatte, sein revolutionäres Programm für Rußland auszuarbeiten. Deshalb verdient die Zeit Lenins in Zürich auch jene Aufmerksamkeit, die ihr unter anderem der große russische Romancier und Kommunismuskritiker Alexander Solschenizyn in einem großen literarischen Werk zuteil werden ließ.

Lenin hat allerdings nicht geahnt, daß er durch den schnellen Gang der Ereignisse und die Kurzsichtigkeit des deutschen Generalstabes, der Lenin nach Rußland einschleuste, so bald in die Lage kommen würde, seine Programme in die Tat umzusetzen. Er hielt noch im Jänner 1917 im Züricher Volkshaus vor der Schweizer Arbeiterjugend eine in seinen Gesammelten Werken enthaltene Rede, in der er unter anderem sagte: „Wir, die Alten, werden vielleicht die entscheidenden Kämpfe dieser kommenden Revolution nicht erleben.“

Wenige Monate später war Lenin in der Lage, die Revolution zu machen, die ohne seine Ankunft und sein Zutun mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zustande gekommen wäre oder eine ganz andere Gestalt angenommen hätte.

Lenin mußte freilich auch bald erkennen, daß er diese Revolution unter falschen Annahmen gestartet hatte, daß es nicht zu der erwarteten revolutionären Anschlußwirkung im Westen kam, daß die russische Revolution isoliert blieb. Er mußte auch, besonders nach seinen Schlaganfällen, die ihn zur Untätigkeit verurteilten, erleben und gegen Ende seines Lebens einsehen, daß Rußland auch im Inneren nicht den von ihm erhofften und befürworteten Weg ging.

Die Bürokratie, die Lenin mit der Revolution beseitigen wollte, erhob ihr Haupt und verkehrte die Revolution als Prozeß der demokratischen Emanzipation der Massen in ihr Gegenteil.

Es blieb Lenin erspart, das ganze Ausmaß der Entartung, die das Sowjetsystem unter Stalin nahm, mitansehen zu müssen. Er hätte sie, auch wenn er am Leben geblieben wäre, wohl nicht verhindern können.

Welch unheimliche Mechanik der Macht! Am Anfang standen Kaffeehausgespräche und Verschwörungen, deren Saat ganz anders und ganz woanders aufging.

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