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Digital In Arbeit

Lenin & Lincoln

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Die Vereinigten Staaten im Würgegriff der Sowjets. Eine Fernsehserie malt dieses Schreckensbild und trifft damit einen empfindlichen Nerv der US-Bürger.

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Die Vereinigten Staaten im Würgegriff der Sowjets. Eine Fernsehserie malt dieses Schreckensbild und trifft damit einen empfindlichen Nerv der US-Bürger.

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Was drei Jahre in Arbeit war und 40 Millionen Dollar verschlungen hat, erhitzt die Gemüter Amerikas, wie kaum ein anderes Fernseh-Opus es je getan hat, und am außergewöhnlichsten erscheint es, daß das breitest-denk-. bare politische Spektrum protestiert: Konservative wie Progressive, mit Chrysler ein Teil der US-Industrie, die Sowjets wie auch die UNO. „Newsweek“ kommt deshalb mit Recht zu der Vermutung, daß „Amerika“ die wohl „größte Protestlawine in der Geschichte des Fernsehens“ ausgelöst hat.

„Amerika“ ist eine ABC-Fern-sehserie von insgesamt mehr als 14 Stunden Dauer, deren erste Folge am Sonntag, dem 15. Februar, ausgestrahlt wird - „Amerika“ schildert das Leben in Sowjet-

Amerika, nachdem die Roten — oder: ein Regime von Moskaus Gnaden — in Washington an die Macht gekommen sind, übrigens durch einen unblutigen Staatsstreich.

Chrysler-Boß Lee Iacocca, dem irrigerweise noch immer präsi-dentielle Absichten für 1988 nachgesagt werden, hat den materiellen Protest gewählt, wobei man sich fragt: Wußte er gar nicht, als er sich finanziell so hoch engagierte, um was es geht?

Er hat jedenfalls alle geplanten 36 je 30sekündigen Chrysler-Werbespots zurückgezogen, die ihn rund sechs Millionen Dollar gekostet hätten. Der TV-Konzern ABC versucht zwar, die Lücke zu füllen, sucht also andere zahlungswillige Sponsoren — jedoch: Gelingt das nicht oder nur zum Teil, werden die ABC-Anwälte Chrysler und Iacocca zur Kasse bitten.

Die Vereinten Nationen haben den bekannten amerikanischen Rechtsanwalt Theodore C. Soren-son, einstiger Sonderberater von Präsident Kennedy, verpflichtet, um gegen die Fernsehserie „Amerika“ zu protestieren und zu versuchen, Drehbuchänderungen durchzusetzen. Die Weltorganisation stößt sich vor allem daran, daß in der Serie UNO-Friedens-truppen als Mörder, Vergewaltiger und Brandstifter gezeigt werden: Die pro-sowjetischen, diktatorischen Kräfte in Washington sind in der Serie mit Hilfe von militärischen Verbänden an die Macht gekommen, die sich als UNO-Friedenstruppen ausgeben.

Die früheren US-Außenminister Alexander Haig, Edmund Muskie und Dean Rusk übrigens haben sich dem UNO-Protest durch einen Brief angeschlossen: Die UNO-Friedenstruppe als „brutale Unterdrücker“ darzustellen, meinen sie, „unterminiert

einen der wertvollsten Aspekte der UNO-Arbeit“.

In der Serie klingen Parallelen an die sowjetische Machtübernahme in Ost-Europa an, dann beispielsweise, wenn nationale Helden für die Rote Revolution „vereinnahmt“ werden — die Rotfront-Banner etwa, die bei Umzügen und Aufmärschen durch eine fiktive amerikanische Kleinstadt in Nebraska getragen werden, zeigen die Bildnisse Abraham Lincolns, sechzehnter Präsident der Vereinigten Staaten, und Lenins.

Die USA sind mit einem Netz von KZ's und Straflagern überzo-

Der mündige Konsument

gen, und aus einem wird „Devin Milford“, vor dem „Umsturz“ Friedensaktivist und Präsidentschaftskandidat, nach mehrjähriger Inhaftierung entlassen.

Er findet eine teilweise demoralisierte US-Gesellschaft vor, von

„Die Vereinten Nationen versuchten Drehbuchänderung durchzusetzen“

der seine Schwester sagt: „Wir wollen überleben—deshalb nichts Heroisches, keine Charakterstärken, kaum noch Würde.“ Es gibt iprlnr+i pinpn PartisanpnwiHpr-

stand gegen das Rote Washington-Regime, das von KGB-Offi-zieren dirigiert wird und seine eigene, SS-gleiche Sturmtruppe unterhält.

Es sind — bisher — rund 150 amerikanische Gruppen und Grüpp-chen, die Protest haben laut werden iassen. Die Liberalen fürchten, so unterstreichen sie, daß die Serie anti-sowjetische Senti-ments fördert, konservative Kräfte wiederum halten es für eine „Zumutung“, daß überhaupt ein Sowjet-Amerika dargestellt wird. Besonders rechts stehende Grup-

pen wiederum sind der Meinung, die Sowjets kämen in der Serie zu gut weg, würden als zu freundlich porträtiert.

Auch die Sowjets haben Protest angemeldet, beschweren sich darüber, wie sie dargestellt werden — trotzdem verhandeln sie über die

Rechte: Sie wollen, so verlautet aus sowjetischen UNO-Kreisen, „Amerika“ zumindest auszugsweise in ihrem Fernsehen zeigen, um zu dokumentieren, wie „verzerrt“ und „verlogen“ das US-TV sein kann.

Die Hauptdarsteller (Kris Kri-stofferson, Robert Urich, Sam Neill, Christine Lahti), Drehbuchautor und Regisseur Donald Wyre und vor allem ABC sind von dem Aufruhr unbeeindruckt: Die Serie wird unverändert gezeigt — sie fühlen sich auch dadurch ermutigt, daß im Gegensatz zu Chrysler Firmen wie General Foods und Northwestern Mutual Life Insurance zu ihrer Sponsor-Gefolgschaft stehen.

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