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Leopoldine die Gründerin

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Der glänzende kaiserliehe Hofstaat hatte sich in der Augustinerkirche; zum exotischen Epilog des Wiener Kongresses versammelt, zur „Brasilianischen Hochzeit par procura-tion“. Die Blauaugen der kleinen Leopoldine schienen völlig ruhig zu blicken. Man bedauerte sie insgeheim als Opferlamm, vermerkte auch, ihr Vater habe während der Zeremonie verstohlen gegähnt und mokierte sich beim folgenden Galaempfang über den britischen Botschafter, trug er doch zum besternten Rotrock eine noch staubige Sporthose „de basin blanc“. Als aber Leopoldine über den Atlantik segelte, erfuhr man, sie reise gerne, sogar „enchantee“, ihrem tropischen Traumziel entgegen. Das „Korsett und Gürtel abgeneigte“ Naturkind litt weder an Seekrankheit noch Meerfurcht, hatte in ihrer Schiffskabine jedoch seelenruhig für den Fall des Falles drei Särge eingestellt. Angesichts dieses memento mori studierte und musizierte die künftige Kaiserin, „lusitanisierte“ sich sprachlich und schien nur besorgt, ob wohl das Hochzeitsschiff an ihrem oder Prinz Pedros Geburtstag in Rio de Janeiro einlaufen werde.

Wie es in und um Rio aussah, konnte Wien von heimkehrenden Hofdamen kaum erfahren, da portugiesische Etikette ihnen Landaus-flüge oder Stadtfahrten nicht gestattet hatte. Wollten sie auch nur Chinoiserien besorgen, mußten Händler sie ins Haus liefern; Graf Eitz fand nicht einmal Gelegenheit, ein köstliches Wiener Repräsentationsservice auszupacken. Gräfin Khuenburg hatte den Fuß nicht unangenehm überrascht an Land gesetzt, bot ihr doch alsbald ein alter Bekannter den Arm und plauderte über Viennensia, als hätte man sich eben erst am Graben oder im Prater getroffen. Doch Brasiliens Farbenreichtum gewahrte sie fast nur in Gestalt kontrastierender Couleurs portugiesischer Hoftoiletten. Der Ehrendamen blaue Jupons mit roter Traine oder grüne Tupons mit gelber Traine schienen ihr „papageienfar-ben“, auch brachte sie aus Brasilien kaum mehr mit als einen geschenkten Papagei. Gleich ihr ernteten auch andere Heimkehrer in einem „Pays ni des etonnements ni de l'enthousiasme“ ohnehin keinen Saloneffekt. Auch das Leopoldine-bild begann der Heimat zu verblassen. Man hörte gelegentlich, Erneuten, Revolten und manch eilige Flucht hätten ihre überseeische Existenz verdüstert, zu der sie mit so bemerkenswerter „sere-nit6“ aufgebrochen war, ihr geliebter Pedro habe sie nicht glücklich gemacht und vor seiner Mätresse müsse die Palastwache unters Gewehr treten. Als 1826 die Nachricht ihres frühen Todes eintraf, gedachte man nur noch flüchtig einer hellhäutigen Blondine mit unaimabel ernsten Zügen. Ihr gesellschaftlicher Nachruf beschränkte sich darauf, sie sei eine „sehr studiöse Prinzessin“ gewesen.

All dies findet sich — mit einer Ausnahme — nicht im neuen Leo-poldinebuch Johanna Prantners, sondern in einer graziösen französischen Leopoldlneskizze der Baronin du Montet, deren zeitgenössische Beobachtungen als solche manchen Wert behalten, zugleich aber verdeutlichen, wie man Leopoldine heute nicht sehen sollte. Die neueste österreichische Darstellung stammt, wie billig, von weiblicher Hand. Sie fußt aber auf eingehender Zusammenschau österreichischer wie brasilianischer Quellen und auf eigenen Forschungsergebnissen und sie hält mehr, als der Titel verspricht. Ihr Anliegen ist nicht eine neue Leopoldinebiographie wie Olga Obrys älterer, aber lesenswerter „Grüner Purpur“ (1958), sondern ein erweitertes Leopoldinebild, das die gesamte konstitutive Kaiserphase Brasiliens von 1820 bis 1889 umgreift, aber anders, als Florian Kienzls „Kaiser von Brasilien“ (1942), den Entwicklungsbeitrag Leopoldines, ihres Hauses, ihres Sohnes und österreichischen Geistesgutes zusammenfaßt. Dieses Anliegen Johanna Prantners wurde 1968 anläßlich einer vom Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten und dem Salzburger Institut für Universalgeschichte — des Schreibers dieser Zeilen — veranstalteten Tagung unter dem Thema „Österreich in Übersee“ durch einen Vortrag angekündigt.

Ein verdienstlicher Vorzug des neuen Heroldbuches liegt darin, daß es nicht nur Lesern aus Österreich und dem deutschen Sprachraum dient. Abgesehen von einer ausführlichen Bibliographie bieten zahlreiche deutsche wie brasilianische Originalzitate im vierzigseitigen Anmerkungsteil günstige Vergleichsmöglichkeiten. Dank der Sprach-und Landeskenntnis der Verfasserin ist ihr Werk ebenso Brasilianern von Nutzen, und das um so mehr, als es keineswegs rein retrospektiv angelegt ist; zudem ist ihr jenes Taktgefühl, das sie in Leopoldines Wirken rechtens erkennt, selbst zu eigen. Sie setzt sich offensichtlich keine polemischen Tiefschläge zum Ziel. Ihr Buch könnte ein aktuelles, sachlich begründetes austro-brasi-lianisches Verständnis anbahnen, so daß seine Übersetzung ernstlich erwünscht wäre.

Die dargebotene Erkenntnis- und Materialfülle sei in Umrissen angedeutet. Brasiliens Entwicklung vom kolonialen Küstenland zu einem Territorium geradezu kontinentaler Ausmaße im sechzigjährigen Zeitalter der Casa de Austria (1580 bis 1640) dient zur Einführung. Treffend geschildert wird der Sondercharakter seiner Sozialstruktur, die zur Zeit der atlantischen Hochzeitsfahrt Leopoldines (1817) zu drei Vierteln auf schwarzer Sklavenarbeit fußte. Das politische Hauptverdienst der Österreicherin wird darin erblickt, daß sie sich frei von kolonialistischen Vorurteilen in die brasilianischen Unabhängigkeftsbewegungen einlebte und sie hingebend förderte. In der ungemein schwierigen Spannungslage zwischen Cortes und Krone, Absolutismus und Freimaurerei, bewährte sie sich mit fraulicher Beharrlichkeit als kluge Beraterin ihres Gemahls Dom Pedro. In sieben Aktionen der turbulenten Entscheidungsjahre (1820—1822) .wird ihr Eingreifen erkennbar: in der Ablösung des seit dem napoleonischen Kriege allmächtigen britischen Armeeoberkommandanten und Gouverneurs von Portugal; in der Verhinderung ihrer Trennung vom Kronprinzen anläßlich der vom Mutterland erzwungenen Heimkehr ihres königlichen Schwiegervaters; in der Gewinnung des ihr kongenialen führenden Staatsmanns Jose Bonifacio de Andrada; in der Aufstellung landeseigener brasilianischer Freiwilligentruppen; in der Umstimmung ihres nach Portugal abberufenen Gemahls zum „erlösenden Zauberwort“: „Ich bleibe!“; im Beschwörungsbrief an Dom Pedro, den entscheidenden Schritt zu wagen und damit in dessen Unab-hängigkeitsschwur am Hügel von Ipiranga; endlich auch in der Wahl der neuen Nationalfarbe Grün-Gold, aber auch österreichischer Züge des kaiserlichen Krönungszeremonials und der neuen Heeresuniformen.

War auch Leopoldine nun Brasiliens erste Kaiserin geworden, so wurde sie doch eben damals im Herzen ihres Gemahls entthront. Was von ihrem leiderkauften Lebenswerk blieb,1 war nächst der Mitgründung, wenn nicht Gründung der Unabhängigkeit ihres neuen Vaterlandes, dessen kulturelle Förderung. Dank ihrer gediegenen Bildung und Interessenvielfalt hatte sie hiefür beste Voraussetzungen mitgebracht. Sie hatte Österreichs große naturwissenschaftliche Brasilienexpedition angeregt, an der aus hausver-wandtschaftliehen Gründen auch Gelehrte aus Bayern und der Toskana teilnahmen. Ihr Naturalienkabinett zu Säo Christophäo wurde zur Keimzelle des brasilianischen Nationalmuseums und die Sendungen zum neuen „Brasilianum“ Wiens gingen durch ihre Hand. Die Bestände fielen freilich, gleich dem Werk Natterers, des ertragreichsten Südamerikaforschers, dem Sturmjahr 1848 zum Opfer, doch blieben die Arbeitsergebnisse Pohls und Helmreichens, des Nachfolgers Natterers, erhalten. Dieser Salzburger wirkte bereits unter Leopoldines Sohn, dem seiner Mutter nachgeratenen „Philosophenkaiser“ Pedro IL, der noch als Kind durch sein bloßes Dasein ein Riesenland zusammenhielt, das unter seiner Regierung zweihundert Entwicklungsjahre aufholte. So muß das austro-brasilianisehe Zusammenwirken unter Mutter und Sohn als Einheit gesehen werden. Die unter LeopoTdine einsetzende Sied-lungstätigkeit überlebte nicht nur in Städte- und Landschaftsnamen, sondern entfaltete sich zum größten deutschen Sprachgebiet in Übersee. Die zu ihrem Gedenken gegründete Leopoldinestiftung diente vornehmlich der Mission in den Vereinigten Staaten, schien doch in ihrer Person die Brücke zwischen Österreich und Amerika überhaupt gegeben. Der Sohn ihres Lehrers Schüch wurde Direktor des aufstrebenden Tele-graphiewesens, Dafert wirkte als Agronom. Österreichs malerische Komponente reichte von Ender und Frühwirt bis Krumholz, die musikalische vom Haydn-Schüler Neukomm, Gründer der „Escola Nacio-nal de Müsica“, bis Thalberg. Mutmaßlich wären Brasiliens Beziehungen zu Österreich noch intensiver geworden, wäre Leopoldine nicht früh gestorben und hätte Wien sich angesichts ihrer Leiden nicht zweimal geweigert, Brasilien eine neue Kaiserin zu geben. Auch der Heiratsplan Maximilians von Mexiko, der Bahiä und Rio besuchte, fand bei seinem Salzburger Bruder keine Gegenliebe. Damit zerrann zugleich die großgedachte Vision einer Restaurierung der zerfallenen Einheit ganz „Lateinamerikas“.

1911 und 1925 wurden die Uberreste Leopoldines und ihres Sohnes am Ipiranga und in Petropolis beigesetzt. Brasilien bewahrt beiden ein dankbares Gedenken, nicht etwa nur in den Namen der ersten und größten Bahngesellschaft „Leopoldina“, der „Leopokiina Railway“ und der 1958 vom Stapel gelaufenen „Impe-ratrix Leopoldina“, oder der Schulen des Sklavenbefreiers Pedro II. und seines „Instituto His'törico e Geo-gräphico Brasileiro“; es ehrt in der Mutter eine Gründerin und im Sohn den größten Brasilianer.

Das Buch Johanna Prantners trägt dazu bei, durch unbefangene Würdigung der Vergangenheit auch in Brasiliens und Österreichs Zukunft völkerverbindend zu wirken.

KAISERIN LEOPOLDINA VON BRASILIEN. Von Johanna Prantner. 250 Seiten, 16 Abbildungen, Ln. S 298.—, DM 34.80. Herold-Verlag, Wien-München.

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