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Digital In Arbeit

Lernen bleibt eben Lernen

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Der Mensch, nicht die Maschine, ist entscheidend. Logisches Denken erlernt man nur durch kontinuierliches „Nachdenken“, nicht durch die Anschaffung eines Computers.

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Der Mensch, nicht die Maschine, ist entscheidend. Logisches Denken erlernt man nur durch kontinuierliches „Nachdenken“, nicht durch die Anschaffung eines Computers.

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Die Frage nach unserem Umgang mit den Neuen Techniken und deren „Technologien“ hat neuerdings auch die Verhaltenspsychologen auf den Plan gerufen. Als ein solcher hat sich auf dem letzten Kongreß der deutschen Gesellschaft für Pädagogik und Information auch Professor Felix von Cube, bislang als unbeirrbarer Verfechter einer kybernetischen Pädagogik bekannt, geäußert.

Er ging einer aktuellen Frage nach, die in die Vergangenheit führte: „Warum sehen Millionen TV-Konsumenten die Schwarz-

waldklinik?“, diese milde Mischung aus — ein wenig - Unglück und - gerade ausreichend viel — Glück, und nicht die rundherum gesellschaftskritische „Lindenstraße“? Die Natur des Menschen ist dafür verantwortlich, meint von Cube, und seine Gewohnheiten.

Werden diese möglicherweise durch die neuen, die mikroelektronischen Techniken, die Neuen Medien, verändert?

Darüber muß man nachdenken, bevor man über informationstechnische Bildung und die Veränderung von Lehrplänen und Studienordnungen nachdenkt. Zu den sich möglicherweise verändernden Gewohnheiten könnten „Informationsgewohnheiten“, wie beispielsweise Lese- oder Lerngewohnheiten, gehören. Auch „Kommunikationsgewohnheiten“, Schreib- und Diskussionsgewohnheiten, könnten sich durchaus ändern.

Hierfür gibt es in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele. Sie entbehren allesamt der Dramatik, die man bei Beurteüung der „neuen Gewohnheiten“ verspüren mag. Die Möglichkeit, Informationen in Schriftform zu speichern und zu transportieren, hat mit Sicherheit die Informations-undKommunikationsgewohnhei-ten des Menschen „grundsätzlich“ verändert.

Das Aufkommen des Telefons hat die Bedeutung des Schriftstückes als Vehikel für den Informationstransport sicherlich beeinträchtigt. Das Bildtelefon und der Fernkopierer werden ähnliche Einflüsse haben. Die Veränderungen sind absehbar: Die Bedeutung der schriftlichen Dokumentation und der schriftlichen Verteüung von Information wird abnehmen. Warum auch nicht? Nicht alles, was gesagt und gedeutet werden kann, muß auch geschrieben und beschrieben werden.

Insoferne sich die Gewohnheiten der Informationsaufnahme ändern — hier spannt sich ein Bogen von der „Märchentante“ zum

„Fantasy-Video“ -, ändern sich auch die Lerngewohnheiten. Sonst freilich nicht, solange man überhaupt am „menschlichen Lernen“ festhält, und alles spricht dafür, daß man dies in den nächsten 15 bis 20 Jahren durchaus tun wird. Menschliches Lernen läuft in (mindestens) drei Stufen ab: Man muß etwas erfahren, man muß es erfassen, und man muß sich zum gegebenen Zeitpunkt an das Erfahrene und Erkannte auch erinnern, man muß es sich also merken.

An diesem Zusammenhang ändern auch die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik nichts. Computer können zwar Wissen speichern, aber wenn man den Zugang vergißt, dann beginnt stets alles von vorne — trotz aller „künstlichen Intelligenz“.

Ein pädagogischer Zusammenhang wird auch in naher und mittlerer Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch gelten: So wie man schnelles und ausdauerndes Rennen nur durch kontinuierliches und systematisches Lauftraining erlernen kann und keinesfalls durch Anschaffen eines Motorrades, so kann man logisches, systematisches Denken nur durch kontinuierliches und syste-

matisches „Nachdenken“ erlernen - und keinesfalls durch Anschaffung eines Computers.

Menschliches Verhalten hängt unter anderem von Informationen ab, von Inhalten und deren Form, nicht aber von Informationstechnik. Für Menschen ist die inhaltliche und formale Kommunikation entscheidend, nicht aber der Entwicklungsgrad der Kommunikationstechnik. Diese schafft Voraussetzungen, Möglichkeiten, jene ist der Sinn, der Zweck, das Ziel.

Die Neuen Informations- und Kommunikationstechniken bieten mehr Möglichkeiten: Die Chance zum Wissenserwerb steigt, die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von Wissen in (eigene) Bildung nimmt jedoch nicht zu; sie nimmt freüich auch nicht ab, sie bleibt gleich. Die Gefahr für Kommunikation und Information droht viel weniger von den Maschinen als von den Menschen.

Im Herbst letzten Jahres veröffentlichte der nordrhein-westfä-lische Kultusminister das von Experten konzipierte Rahmenkonzept „Neue Informations- und Kommunikationstechnologien in der Schule“. Die dort aufgenommenen Überlegungen, die Vorstellungen und Vorgaben, aber auch

die Begründungen sind bemerkenswert.

Gräßlich freüich ist die Sprache, in der man über die Informationstechnik in der Schule informiert wird. So muß man zum Beispiel lesen: „Bei abnehmenden Chancen, eigene Erfahrungen über unmittelbare Teilnahme an Ereignissen und selbständiges Handeln zu gewinnen, steht dem die Gefahr der zunehmenden Undurchschaubarkeit der vermittelten Information und der abnehmenden Entscheidbarkeit gegenüber, ob die übermittelten Nachrichten Realität oder Fiktion darstellen.“ Und leider noch viel mehr der gleichen Art.

Haben hier zu viele Sachverständige, zu viele Professoren die Feder geführt, oder hat der infor-mationstechnische und kommunikationssoziologische Jargon auch schon auf die oberste Bü-dungsverwaltung übergegriffen? Gleichviel: Wir sollten uns alle miteinander trotz aller „Neuer“ Informations- und Kommunikationstechnik auch gelegentlich um die „uralte“ kümmern: um die Sprache nämlich.

Prof. DDr. Gerhard E. Ortner arbeitet als Wissenschaftler an der Fernuniversität in Hagen und ist als Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin und der Wirt-schaftsuniversität Wien tätig.

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