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Leszek sei Dank!

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Leszek Walesa, der „alte“ Lech, verhandelt wieder. Polens Innenminister Czeslaw Kiszczak höchstpersönlich braucht das Arbeiteridol, um Ruhe im Land wiederherzustellen. Und Leszek sei Dank, müßte Polens angeschlagene Regierung ausrufen, das Symbol Walesa hat seine Autorität noch nicht eingebüßt. Die junge Arbeitergeneration, Hitzköpfe allemal, begeht die gleichen Fehler wie die Walesa-Generation acht Jahre vorher. Alles oder nichts, scheint wieder die Losung; denn nichts hat man schon, es kann nur. besser werden.

Walesa, der zeitweilig so müde scheint, wollte gegenwärtig keine Machtprobe. Er fand den Augenblick für ungünstig. Jugendliche Illusionisten setzten auf Streik. Die politischen Köpfe der strukturlosen Solidarnosc drängten nicht zum Kampf. Sie bremsten.

Warum verhandelte Walesa?, war die meistgestellte Frage im Polen dieser Tage neben: Was hat das Ganze gebracht? Mit der Ubereinkunft zwischen Walesa und dem Innenminister, über gewerkschaftlichen Pluralismus zu verhandeln und das bisherige Tabuthema Solidarnosc nicht auszuklammern, haben beide Seiten das Gesicht gewahrt.

Da die Streikfront abbröckelte, konnte man nicht allzuviel einfordern. Und die Regierung brauchte einen Vermittler, um nicht brutal mit paramilitärischen Einheiten vorgehen zu müssen.

Walesa ist sich des Risikos bewußt, mit in die Verantwortung gezogen worden zu sein. Er braucht bald ein reales Zugeständnis der Herrschenden, um gegenüber der jugendlichen Basis glaubwürdig zu bleiben. Und ein General Wojciech Jaruzelski wird ihm, wenn er klug und mutig ist, wohl dazu verhelfen müssen. Sonst stehen Polen wirklich trübe Zeiten bevor. Partei- und Regierungszeitungen konnten es sich tagelang nicht verkneifen, von „kriminellen“ und „vorbestraften

Elementen“ zu sprechen, die die Streiks angezettelt hätten, um „Anarchie“ zu verbreiten.

Erst nach zwei Wochen, auf einer Plenartagung des Zentralkomitees der Partei, kamen neue Töne auf: „Es ist angebracht, den Oppositionsbegriff neu zu überdenken. Konstruktive Opposition kann dem Lande dienen, während aber destruktive Opposition ihm nur schadet“, so General Kiszczak, der wenige Tage davor die Behörden in den Streikgebieten zur Verhängung nächtlicher Ausgangssperren aufgefordert und sie zu anderen repressiven Maßnahmen ermuntert hatte.

Dann kam — am 31. August — plötzlich das Gespräch mit Walesa. Aber am Abend in der Nachrichtensendung im Fernsehen nicht einmal ein flüchtiges Bild des Nobelpreisträgers, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Ein Solidarnosc-Führer in Oberschlesien zur FURCHE: „Ich rief Leszek an und fragte: Wie weiter? Er sagte nur diesen einen Satz: ,Ich flehe, ich fordere, beendet die Streiks und sehnt euch wie ich nach Verständigung und Dialog.' “

„Der pathetischen Worte habe ich genug“, meint Kascha, ein Mädchen, gerade 19 Jahre alt geworden. Ihr Vater, der in Libyen arbeitet, scheffelt für polnische Verhältnisse viel Geld. „Doch ich wollte etwas Gutes für mein Vaterland tun.“ Deshalb hat sie mitgeholfen, Flugblätter für die Streikenden zu drucken. Jetzt ist sie verwirrt. Sie versteht nicht, was auf der großen Bühne der Politik ausgehandelt wird, und niemand kann es ihr erklären.

Bogdan Klich, Herausgeber der Samizdatzeitschrift „Tumult“ meint: „Die jungen und die alten

Kämpfer der Gewerkschaftsbewegung verstehen einander nicht

— und die Mehrheit der Bevölkerung schaut dem Spiel teilnahmslos zu. Ich weiß nur, in Walesas Haut möchte ich nicht stecken.“

Ist es der polnischen Regierung mit ihrer Gesprächsbereitschaft ernst? Es gibt Indizien, die nahelegen, daß die geplante.Umstruk-turierung des — als Dialogforum der gesellschaftlichen Kräfte eigentlich nicht funktionierenden — Konsultativrats beim Präsidenten in einen Rat für Dialog und Versöhnung mehr ist als eine Neu-Etikettierung.

Ein Mitarbeiter im Sekretariat der Polnischen Bischofskonferenz, die mit Weihbischof Jerzy Dobrowski einen Zeugen des Wa-lesa-Kiszczak-Gesprächs hat, zur FURCHE: „Wir sind optimistisch, was die angekündigten Round-table-Gespräche mit der Opposition betrifft. Ob es die Regierung ehrlich meint, hängt von diesem Dialog ab. Wir wollen Demokratie, politischen Pluralismus. Es ist lächerlich, daß man in Polen gegenwärtig alles schreiben, alles lesen, aber nichts tun kann.“

Innenminister Kiszczak hat jedenfalls nach Walesa auch andere Leute der Opposition konsultiert

— so Marcin Krul, den Chefredakteur der zugelassenen Oppositionszeitung „Res publica“, oder Henryk Szienkiewicz, den Berater der Streikenden in Schlesien. Ein Gerücht sagt, daß auch der frühere Chef der katholischen Vereinigung „Pax“, Ryszard Reiff, von Kiszczak konsultiert worden sein soll. Reiff steuerte während der Solidarnosc-Ära einen regimekritischeren Kurs mit der als regimetreu geltenden „Pax“-Bewegung.

Jetzt muß Polens Regierung Farbe bekennen: Ging es ihr nur um eine äußerst fragwürdige kurze Ruhe — oder erkennt man jetzt endlich die Dringlichkeit einer tiefgreifenden Reform unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte?

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