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„Leuchtet im Osten das Morgenrot“

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Ein wunderschöner Maiabend. Das Meer dunkelt, blauschwarz, die Klippen leuchten, überspFiiht vom Gischt der Wogen. Der Ginster blüht, goldengelb und rot. Ich sehe hinaus, über das Meer, denke: hier ist die Wiege unserer Sagen, unserer Mythen-Frau Holle und König Arthus und Parzifal und Tristan und Isolde, und Avalun, das Land der Seligen, der Toten. Und ich denke an die Plantagenet, das königliche Geschlecht: sie trugen den zauberstarken Ginsterzweig aus Gold (planta de genet) am Helm.

Tiefer Friede in meiner Brust. Ich kehre in die Stellung ein, zwischen St. Brieuc und St. Briac, hier an der Kanalküste. „Sofort zum Kommandeur“. - Dieser: „Heer, können Sie russisch?“ Eine Landkarte von Südrußland auf seinem Tisch, gedruckt in einer französischen Druckerei.

Später denke ich: Wie lange hat es gebraucht, bis dies von der Resistance noch London gemeldet wurde? Noch später erfahre ich: London bombar

dierte Stalin buchstäblich mit Nachrichten, nannte auch richtig den Tag X.

Eine wunderschöne Juninacht. Unvergeßlich der Mond. Ein Honigmond, sanft umspielt von einer Aura. Still der mächtige Fluß. Ich höre nicht das Strömen seiner Wellen. Nach Mitternacht eine kurze Zigarettenpause. Der LKW steht still, die Landser, meist Schlesier, sprechen mit mir. Nun dies: Raketen, Leuchtraketen, steigen über den Fluß. Kein Laut.

Die Landser fragen mich, was das bedeute. Ich: „Das ist der Krieg mit Rußland".

Im Morgengrauen bei Husi, hier an der Grenze Bessarabiens (von den Sowjets besetzt) und Rumäniens, über den Pruth. Hier wurde Codreanu, der Chef der Eisernen Garde, geboren. Der Erzengel Michael erschien ihm, um ihm seine Mission zu zeigen. Der Erzengel Michael, auf dem Monte Gargano in einem uralten Heiligtum verehrt, war im Mittelalter der Schutzengel des Heiligen Römischen Reiches. Das. Unternehmen, das nun startet, erhielt den Tarnnamen „Barbarossa“.

Im Sommer 1938 sitzt im Kriegsarchiv in Wien ein Mann, der sich Sorgen macht. Das Reichskriegsministerium in Berlin hat da 1937 „Zwei Briefe des Generals von Clausewitz“ veröffentlicht, die „Militärwissenschaftliche Rundschau“ hat sie mit Begleitworten versehen, die, mit verwandten einschlägigen Veröffentlichungen, eine zynische Verachtung der Sowjetischen Armee bekunden. So meint die „Deutsche Wehr“: „Die Führer der Roten Armee könnten sich mit Führern nach westeuropäischen Begriffen natürlich nicht im Entferntesten messen“.

Der Mann in Wien arbeitet eine Entgegnung aus, warnt Berlin - über die Adresse des Potsdamer Reichsarchivs-, indem er „Clausewitz-Studien“ verfaßt, die zeigen, daß der große Clause

witz sehr anders dachte als die „Strategen“ in Berlin. Eine Antwort ist nicht erhalten. Der Mann in Wien ist Theodor Körner (1873-1957), General, erster Bürgermeister Wiens nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Bundespräsident der Zweiten Republik.

Es ist verständlich und richtig, mit dem Entschluß zur Invasion in der Sowjetunion den furchtbaren Österreicher zu belasten, der im April 1923 sich bereits so äußerte: „Im nächsten Krieg wird es die wichtigste Aufgabe sein, sich der Getreidegebiete Polens und der Ukraine zu bemächtigen“.

Sein Werk „Mein Kampf“ spricht aus, was er plante. Dennoch sind seine Erfüllungsgehilfen, seine Generale, seine Offiziere, nicht zu entlasten. Wohl waren einige edle Preußen von

Entsetzen erfüllt. Sie hatten auch nicht vergessen, daß Preußen seinen Aufstieg zur europäischen Macht Rußland verdankte. Und sie erinnerten sich, wie Hindenburg Tuchatschewski die Hand gab.

Goebbels stand nicht allein da, der seinen Mitarbeitern am Vormittag des 22. Juni 1941 erklärte: Der Führer habe* ihm versichert, in vier Monaten sei der Rußlandfeldzug vorüber: „Ich aber sage Ihnen, er dauert nur acht Wochen“.

„Es wird ein kurzer, harter Feldzug sein, im Herbst sind wir wieder in Frankreich“. So „meine“ Offiziere zu der Truppe, bei der ich am 22. Juni stand. Wir hatten Kommandos zurückgelassen, um unsere Winterquartiere in der Bretagne instandzuhalten.

Haider, kein Hitler-Fan, Franz Haider, der den großen Preußen und deutschen Patrioten Beck als Chef des Generalstabs abgelöst hatte, vermerkt am 3. Juli in seinem Tagebuch, daß der Feldzug gegen Rußland in vierzehn Tagen gewonnen worden sei.

Hitler zu seinem Gefolge: „Praktisch hat er - der Russe - den Krieg schon verloren“. Er rühmt sich, wie gut es sei, „daß wir die russischen Panzer und Luftwaffe gleich zu Anfang zerschlagen haben. Die Russen können sie nicht mehr ersetzen“.

Generale sind, damals, der Überzeugung: der Krieg kann nur noch einige Wochen, höchstens ein, zwei Monate dauern. Nun dies - heute von erregender Gegenwartsbedeutung: im Pentagon, wo viele Hitler-Bewunderer als amerikanische Generale sitzen, meint man, die Rote Armee könnte vielleicht gerade noch vier Wochen durchhalten.

Heute, 1981, wird in aller Öffentlichkeit natoseits von einem Krieg „mit begrenzten Atomwaffeneinsätzen“ in Mitteleuropa gesprochen: ein Krieg, der so nebenbei auch Österreich liquidieren würde. Die militärische Kurzsichtigkeit von heutigen Erfüllungsgehilfen dieser „Politik“ ist dieselbe wie die des einzigen bedeutenden Strategen, den Hitler besaß, des Feldmarschall Erich von Manstein, der den

Krieg allein als eine militärische Sache verstand und sich strikt weigerte, ihn auch politisch zu sehen. Blinde Fachidioten führten Hitlers Heere ins Nichts.

Am 2. Oktober 1941 steht der Sieg für Hitler fest, er begibt sich nach Berlin. Am Tag drauf verkündet er im Sportpalast seinen Sieg: „Am 22. Juni

morgens setzte nun der größte Kampf der Weltgeschichte ein“. Alles sei genau nach Plan gelaufen. „Ich spreche das hier heute aus, weil ich es heute sagen darf, daß dieser Gegner bereits gebrochen ist und sich nie wieder erheben wird“!

Zum Zeugen und Garanten seines Sieges beruft er den „Herrgott“, in seiner österreichischen Heimatsprache. Am 6. Oktober ist er wieder in der Wolfsschanze. Zwei Tage später befiehlt er, da er die Einnahme Moskaus erwartet, daß kein einziger deutscher Soldat die Stadt betreten darf. „Diese Stadt wird zerstört und vom Erdboden ausgetilgt werden“.1

Sieg, Sieg, Sieg! Nun: Wiener Buben wissen es besser. In diesem späten Herbst 1941 verfertigt der Wiener Jungkommunist Alfred Rabofsky-ein Bruder des bekannten Wiener Univer- sitätsprofessors Eduard Rabofsky-ein Flugblatt. Es zeigt eine Karte des riesigen sowjetischen Reiches und seine Randgebiete, die Hitler besetzt hat, mit

der Inschrift: „Hitler hat seinen Krieg bereits verloren“.

An seinem letzten Lebenstag, am 19. September 1944, im Landesgericht Wien, bittet er den Seelsorger im Gefängnis, Pfarrer Hans Rieger, ihm „das evangelische Abendmahl“ zu „reichen“. Der Pfarrer hat keinen Talar, keine Hostie, keinen Abendmahlskelch.

Alfred Rabofsky: „Aber, Herr Pfarrer, das alles brauchen wir doch nięht. Hat der Herr Jesus einen Talar gehabt, als Er Seinen Jüngern das Abendmahl gespendet hat?“ Und: „Schauen Sie, wieviele Brotstückl unserer letzten Mahlzeit da auf dem Tisch liegen. Nehmen Sie so ein Bröckerl Brot und wir haben das Heilige Abendmahl, wie es der Herr Jesus selbst gehalten hat…“

Pfarrer Riegler schildert diese letzte Kommunion in: „Die Stimme des Menschen (Briefe und Aufzeichnungen aus der ganzen Welt 1939-1945)“, herausgegeben von Hans Walter Bahr, R. Piper und C., München.

Zwischen Hitlers „Endsieg“ im Oktober 1941 und diesem September 1944 verrecken, verröcheln, verbluten, erfrieren, verkommen Millionen Menschenkinder: Russen und Angehörige der anderen Nationalitäten des sowjetischen Reiches, Deutsche, Ungarn, Italiener, Spanier, Rumänen. Auch nicht

wenige Österreicher in diesem ungeheuren Geschehen. Eine außerordentliche Schilderung von der anderen Seite findet sich in den beiden Bänden „Kriegstagebücher“ des Konstantin Si- monow (deutsch bei Kindler 1979).

November 1941, immer noch Rückzug der Sowjets. „Die Frauen .waren in den Dörfern zurückgeblieben. Sie ka- *- men an die Straße, hielten den Wagen an, holten irdene Krüge mit kühler Milch aus den Kellern, gaben uns zu trinken, bekreuzigten uns, und plötzlich, als geniere sie auf einmal nicht mehr, daß wir Militärangehörige und Genossen waren, sagten sie zu uns: ,Der Herr beschütze euch. Möge Gott euch helfen*!“

Hitler verkündet, wieder, seinen Sieg, in der Jubiläumsrede in München am 9. November. Stalin beschwört am 7. November auf dem Roten Platz in Moskau „unsere großen Vorfahren, von Alexander Newski, Dimitri Dons- koi, Minin und Poscharsky, Alexander Suworow und Michael Kutusow“.

Stalin beruft für den Großen Vaterländischen Krieg die Heiligen, die Erzväter des Heiligen Rußland - Alexander Newski, den Sieger über westliche Heere, 1241 und 1242. Bald, wird die russische orthodoxe Kirche zu Ehren ihres großen Heiligen die Panzerbrigade Alexander Newski ausrüsten.

1981: Heldenfriedhöfein Österreich. Die Toten von 1914-1918 und die von 1939-1945 werden zusammengesehen. Wann werden die Kinder, die Schulkinder und die Mittelschüler und ältere Kinder in Österreich, erfahren, wie groß das Verbrechen war, das Verbrechen des Krieges von 1939-1945, der

1941 zum Weltkrieg wurde - der Krieg eines Mannes, der heute wieder, von beiden Amerika’ bis ins arabische Afrika und mitten in unserem Mitteleuropa, von manchen auf den Schild gehoben wird?

„Leuchtet im Osten das Morgenrot“ So sangen sie, meine Landser, die nicht mir gehörten, im Ausmarsch in ihren Tod. Wann wird in Österreich und Umgebung das Licht der Wahrheit aufleuchten, das heute bereits wieder weithin verdunkelt wird?

Dieser Krieg war ein Verbrechen, an dem viele Österreicher teilgenommen haben.

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