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Leuchtturm der Freiheit

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Die sowjetische Zustimmung zum Staatsvertrag überraschte praktisch alle. Tatsächlich waren im März 1955, knapp vor dieser unerwarteten sowjetischen Wendung, viele von uns in der amerikanischen Botschaft besorgt über die Möglichkeit, daß Österreich wie Deutschland geteilt werden könnte. -

Diese Angst beruhte auf der damaligen sowjetischen Propagandakampagne. Idh persönlich war von dieser Gefahr so überzeugt, daß ich es, als ich damals nach Berlin versetzt wurde, für klug hielt, einige der von meiner Frau geerbten Besitztümer von ihrem Familienhaus in Mödling nach Berlin zu übersiedeln,, das damals gewiß nicht zu den sichersten Orten in Europa gezählt wurde.

Nach Abschluß des Staatsvertrages unternahm ich eine lange, gründliche und wissenschaftliche Untersuchung der Gründe, warum die Sowjets einen Vertrag gerade zu diesem Zeitpunkt wünschten, nachdem sie ihn länger als acht Jahre erfolgreich blockiert hatten. Im Rückblick wurde manches klar, das keiner von uns vorher bedacht hatte.

Zum ersten einmal benötigte die Sowjetunion eine Entspannung, um die NATO dazu zu veranlassen, ihre als Ergebnis des Korea-Krieges beschlossene Aufrüstung zu verlangsamen.

Die UdSSR wollte eine Verlangsamung dieses Trends im Westen, um aufholen zu können. Um einen Geist der Entspannung zu verbreiten, strebten die Sowjets eine Gipfelkonferenz an.

Präsident Eisenhower stellte klar, daß es ohne ein konkretes Zeichen des guten Willens seitens der Sowjetunion keinen Gipfel geben würde, und er erwähnte den Österreich-Vertrag (ebenso wie einen deutschen Friedensvertrag) als ein mögliches Zeichen dieser Art.

Der Staatsvertrag führte im Sommer

1955 zur Genfer Konferenz. Der dabei entwickelte „Geist von Genf wurde durch andere entspannungsfördernde Maßnahmen (etwa die Freilassung deutscher Kriegsgefangener und die Preisgabe des Porkala-Stützpunktes in Finnland) angereichert und begann, seine Früchte zu zeitigen, bis ihn die ungarische Revolution im Herbst 1956 wieder vertrieb.

Geht man von öffentlichen sowjetischen Erklärungen aus, vor allem von jenen des Außenministers Molotow in Wien bei der Vertragsunterzeichnung, dann könnte man Deutschland, im besonderen die Bundesrepublik, als Hauptziel der Staatsvertrags-Diplo-matieansehen: Wenn Österreich neutral würde, warum dann nicht auch Deutschland (oder wenigstens die Bundesrepublik)?

Das Bemühen, durch den Staatsvertrag ein Entspannungs- oder starkes Pro-Neutralitätsklima in Westdeutschland zu erzeugen, schlug fehl, aber die Sowjets wurden eines dauerhaften Vorteils gewahr, der beträchtliche strategische Konsequenzen hatte.

Der Staatsvertrag spaltete die NATO geographisch nahezu in zwei Hälften. Ein neutraler Keil wurde von Preßburg bis Genf zwischen Italien und Deutschland getrieben und (vom sowjetischen Standpunkt aus) durch Frankreichs militärischen Rückzug aus der NATO später in seiner Wirkung noch vergrößert.

Nach 1955 konnten die NATO-Streitkräfte nicht mehr Menschen und Material über den Brenner-Paß transportieren oder alliierte Flugzeuge ohne vorherige Genehmigung über Österreich fliegen lassen, was sich während der Libanon-Krise 1958 als peinlich erwies, als die USA Nachschub von Westdeutschland in die Türkei fliegen wollten.

War der Staatsvertrag, wenn man alles in Rechnung stellt, vom österreichischen Standpunkt aus ein Plus qder ein Minus?' Nach 25 Jahren scheint die Antwort offenkundig.

Österreich ist es gelungen, konsequent am Status der militärischen Neutralität festzuhalten und gleichzeitig eine stabile und verläßliche Bastion der westlichen Demokratie sowie ein Leuchtturm der Freiheit für Osteuropa zu bleiben, mit dem es so viele geschichtliche und kulturelle Beziehungen verbinden.

Statt Neutralitätswünsche in der Bundesrepublik zu wecken, wurde Österreichs Neutralität 1956 von den ungarischen Freiheitskämpfern als ein Vorbild gesehen. Die ungarische Revolution war übrigens auch die erste Erprobung der österreichischen Neutralität. Österreich verhielt sich großartig und zeigte erheblich mehr Mut und Entschlossenheit als die westlichen Großmächte.

Im Rückblick kann man sagen, daß alle am Abschluß des Staatsvertrages Beteiligten auf irgendeine Weise davon profitierten. Das österreichische Volk und seine mutigen und phantasievollen Führer verdienen ein hohes Maß an Anerkennung für die Herbeiführung und wirksame Durchführung des Staatsvertrages.

Heute ist es unendlich wichtig, daß junge Österreicher die Geschichte ihres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg bedenken, um die vielen Leistungen ihres kleinen, aber wichtigen Staates richtig würdigen zu können.

Dr. William Lloyd Stearman war 1947 bis 1950 amerikanisches Mitglied der Alliierten Kommission für Österreich, 1956 bis 1962 an der US-Botschaft in Bonn. 1962 bis 1965 Botschaftsrat für sowjetische und osteuropaische Angelegenheiten im l 'S-Aul'enamt und ist derzeit Direktor des russischen Programms an der Georgetown University \in Washington.

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