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Leviathan wird gezähmt

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Im Grunde wäre es gar nicht so schwierig, Verständnis für das österreichische Transitproblem in Brüssel zu wek- ken. Nach wie vor fehlt uns allerdings eine eindeutige Verkehrspolitik.

Freiheit und Grenzenlosigkeit sind die tragenden Elemente der Faszination über das EG-Binnen- marktkonzept. Mit der feierlichen Proklamation des Zieles, bis zum 31. Dezember 1992 einenRaum ohne Binnengrenzen zu schaffen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital entsprechend den Bestimmungen des EWG-Vertrages gewährleistet wird, gelang EG-intern der Durchbruch vom Stillstand zurAufbriich- stimmung. Waren es in der ersten Hälfte der achtziger Jahre nahezu ausschließlich negative Nachrichten, mit denen die EG in Schlagzei- lengeriet-Schlagworte: Butterberge, Milchseen, ungelöste Haushaltsprobleme oder Überbürokratisierung - wurde mit der Vorlage des Weißbuches „Vollendung des Binnenmarktes“ durch die Kommission im Juni 1985 und der mit 1. Juli 1987 in Kraft getretenen „Einheitlichen Europäischen Akte“ der Stimmungsumschwung mit der Signalstellung auf Grün erreicht.

Bereits im Juni vorigen Jahres haben die Staats- und Regierungschefs aller EG-Mitgliedsländer einhellig die Auffassung vertreten, „daß der Prozeß der Verwirklichung des Binnenmarktes im Sinne der Einheitlichen Akte nun so weit vorangeschritten ist, daß er unumkehrb ar geworden ist; dies wird von allen Kreisen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens als Tatsache akzeptiert“. Soweit der Bericht der EG-Kommission.

Darin heißt es weiter: „Alle Gemeinschaftsorgane haben nunmehr die Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese Feststellung auch tatsächlich zutrifft und bis zum endgültigen Erfolg zutreffend bleibt.“

Diesem „volle Kraft voraus“ der EG setzt Österreich ein Gedackel entgegen, bei dem sich die Geister daran scheiden, ob dem Vize- oder Bundeskanzler die EG-Koordinie- rungsfunktion zukommt oder ob die Agrarsubventionen auf gegenwärtigem Niveau festgeschrieben oder nicht doch erhöht werden sollen.

DieStrahlkraftdesBinnenmarkt-

Konzeptes bekommt jeder Österreicher unvermittelt zu spüren, der an einem der unzähligen Kongresse über das Europa 1993 als Gast teilnimmt. Zwar wird zum Beispiel im Verkehrsbereich beklagt, mit den Harmonisierungsbestrebungen - Stichwort „europäische Tempolimits, Alkoholgrenzwerte, Gurtan- legepfhcht oder wiederkehrende technische Fahrzeug-Überprüfung“ —kraß in Verzug zu sein. Die Österreicher stoßen aber mit ihren Vorstellungen über Nachtfahrverbote gelinde gesagt auf Unverständnis.

Mitverantwortlich dafür ist sicher eine alles andere als klare Position Österreichs in Verkehrsfragen: Ist nicht der ehemalige Bautenminister Sekanina um direkte Baukostenzuschüsse für die Ihnkreis-Pyhmau- tobahn in Brüssel vorstellig geworden? Eine Position, die kurze Zeit später vom damaligen Verkehrsminister Lacina korrigiert wurde in: „Keine EG-Infrastruktur-Kosten- beteiligung in Österreich, dafür Ausbau Bahninfrastruktur in Deutschland und Italien“. Wer erinnert sich nicht an das Transitkorridor-Konzept der österreichischen Bundesregierungaus dem Jahr1984, mit dem vor allem durch die rollende Landstraße zwischen 1984 und 1989 knapp zehn Millionen Tonnen Transitverkehr auf die Schiene verlagert werden sollten? Diese Kette der Widersprüche und unerfüllter Plansolls reicht herauf bis zu den Verkehrsminister-Beratungen über einen EG-Basistunnel im April dieses Jahres inUdine, denen ein Monat später unverhofft die Nachtfahrverb ots-Ankündigung folgte.

Dabei ist im Grunde genommen Österreichs Verhandlungsposition im Verkehrsbereich gar nicht schlecht: zwar stellt die Freizügigkeit des Verkehrs noch eine der wesentlichen Säulen des Binnenmarktkonzeptes dar. Die EG- Rechtsordnung räumt aber die Möglichkeit zu Verkehrsbeschränkungen ein, wenn diese zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen notwendig sind.

Hinzu kommt ein langsam beginnendes EG-internes Umdenken: Herausgefordert von der Schweiz und Österreich, die Maßnahmen wie Verkehrs-Umlenkung, Nachtfahrverbote und hohe Straßengebühren bereits erlassen oder angekündigt haben, um wenigstens einen Teil des Güterverkehrs über die Alpen von sich femzuhalten, hat der baden- württembergische Ministerpräsident Späth einen europäischen Verkehrsleitplan gefordert Mit seiner Hilfe sollen Engpässe im Straßen- und Luftverkehr behoben werden. Das Motiv für diese Forderung wurde klar auf den Tisch gelegt: „Im alpenquerenden Nord-Süd- Verkehr erweisen sich verkehrspolitische Interessenkollisionen zwischen EG-Landem und EFTA-Staa- ten in zunehmendem Maße als Hindernis für einen freien Warenaustausch. Die angestrebten Vorteile der wirtschaftlichen Arbeitsteilung in Europa werden durch diese Entwicklung ernsthaft in Frage gestellt.“

Verkehrsbeschränkungen auf der Straße muß mit anderen - neuen — Organisationsformen begegnet werden; Dabei kommt es im kombi-

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