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Liberale Abgrenzung

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Zwei Wochen dauerte es, ehe die DDR mit einem bissigen Kommentar im Zentralorgan „Neues Deutsehland“ auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe über den Grundvertrag reagierte. Diese lange Frist kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, daß man auf östlicher Seite im Umgang mit dem Grundvertrag und mit dem anderen deutschen Staat noch nicht sehr sicher ist. Eine Unsicherheit, die um so deutlicher wird, als die DDR mit ihrer entschiedenen Ablehnung der bundesdeutschen Höchstgerichtsentscheidung ohnedies nur das gesagt hat, was auf westlicher Seite sofort nach Verkündung des Urteils erwartet worden war.

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Zwei Wochen dauerte es, ehe die DDR mit einem bissigen Kommentar im Zentralorgan „Neues Deutsehland“ auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe über den Grundvertrag reagierte. Diese lange Frist kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, daß man auf östlicher Seite im Umgang mit dem Grundvertrag und mit dem anderen deutschen Staat noch nicht sehr sicher ist. Eine Unsicherheit, die um so deutlicher wird, als die DDR mit ihrer entschiedenen Ablehnung der bundesdeutschen Höchstgerichtsentscheidung ohnedies nur das gesagt hat, was auf westlicher Seite sofort nach Verkündung des Urteils erwartet worden war.

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In der Bundesrepublik wiederum waren die Auseinandersetzung um die Benützung der Transitstraßen nach Berlin als Fluchtwege sowie der Streit um die Auslieferung der jungen Vatermörderin Ingrid Brückmann an die DDR, sowie die Unsicherheit des weiteren Schicksals der sogenannten „Treuhandstelle“ für den innerdeutschen Handel, die derzeit in West-Berlin angesiedelt ist, Zeichen dafür, daß auch Bonn in seinem Umgang mit der DDR zaudert.

Allgemein war nach Abschluß des Grundvertrags betont worden, daß sich die neu geregelten innerdeutschen Beziehungen erst einspielen müßten. Die ersten Erfahrungen zeigen, daß diese Warnungen nicht unbegründet waren. Auf der einen Seite gibt sich die DDR, trotz neu gewonnener Anerkennung, die bald in der Aufnahme in die UNO gipfeln wird, noch immer empfindlich und damit aggressiv. Auf der anderen Seite weiß man in Bonn — durch die sommerliche Abwesenheit zahlreicher Spitzenpolitiker gefördert — nicht so recht, wie hart oder sanft mit dem Grundvertragspartner umgegangen werden soll.

Der Streit um die Benützung der Transitstraßen nach Berlin als

Fluchtwege zeigte die Problemlage besonders deutlich. Auf östlicher Seite wurde massiv versucht, die verkehrstechnisch weitgehend problemlos gewordene Lage West-Berlins wieder zu problematisieren. Viel zu spät erst wurde in der Bundesrepublik erkannt, daß hinter der DDR-Kampagne sehr eindeutige Ziele versteckt waren. Zunächst hatte man den Klagen aus der DDR, in denen sowohl allgemein die Flüchtlingszahlen wie die Flucht über die Transitstraßen im besonderen unrichtig dargestellt waren, jedoch Glauben geschenkt und durchaus im - Sinne der DDR mit Maßnahmen gegen diese Fluchtbewegung gedroht. Die Oppositionskreise, die diese Auseinandersetzung um die DDR-Flüchtlinge zu lautstarkem Protest nutzten, bestärkten die DDR in ihrer Unsicherheit.

Für die Regierung war es nicht zuletzt der designierte erste Beauftragte der Bundesrepublik in der DDR, Ex-„Spiegel“-Chefredakteur Günther Gaus, der die Affäre auf ihr rechtes Maß zurechtrückte. Mit der nachdrücklichen Betonung, daß das Recht auf Freizügigkeit von der Bundesregierung für alle Deutschen als unverzichtbar betrachtet werde,

wirkte er auch dem Eindruck entgegen, daß Bonn hier Abstriche zu machen bereit sei.

Die Haltung von Gaus, dessen Berufung auf den Posten eines Bonner Vertreters in Ost-Berlin nicht zu Unrecht mit gemischten Gefühlen betrachtet worden war, kann dabei in der jüngsten Entwicklung des Verhältnisses von Bundesrepublik und DDR als Positivum betrachtet werden. Gerade er, dem Willfährigkeit gegenüber der DDR und noch Schlimmeres nachgesagt worden war, erwies sich in einer Phase leichter Konfusion in Bonn als besonnener Kopf.

Zeigte die Regierung in der Flüchtlingsfrage wenig Souveränität, so bewies die CDU/CSU-Opposition in der Auseinandersetzung um den Fall der Jugendlichen Ingrid Brückmann, der die Ermordung ihres Vaters vorgeworfen wird, wenig Augenmaß. Die Entscheidung, das Mädchen an die DDR auszuliefern, vom höchsten zuständigen Gericht auf Grund der Rechtslage verfügt, wurde von den Unionsparteien heftig kritisiert. Dabei erfolgte gerade diese Auslieferung auf Grund eines Übereinkommens, nach dem die DDR von der Bundesrepublik ausdrücklich nicht als Ausland betrachtet wird. Gerade im Sinne der Theorie, daß die beiden deutschen Staaten füreinander nicht Ausland sind, die für die Unionsparteien ein Kernstück ihrer Deutschlandpolitik ist, mußte die Entscheidung für die Auslieferung erfolgen.

Diese beiden Fälle werfen Schlaglichter auf die Problematik des neuen Verhältnisses zwischen Bundesrepublik und DDR. In der Bundesrepublik ist man auf der Regierungsseite ängstlich bemüht, den Grundvertrag und die anderen Abkommen genau einzuhalten und schießt dabei im Entgegenkommen gegenüber der DDR übers Ziel. In Kreisen der Opposition ist man wiederum gerne bereit, jeden Schritt der Regierung, der

irgendwie nach einem Entgegenkommen gegenüber der östlichen Seite aussieht, als „Erfüllungspolitik“ zu brandmarken. Mit einer allzu heftigen Polemik in dieser Richtung wird die Chance vertan, der Regierung in Bonn gegenüber der DDR wirklich den Rücken zu stärken und sie vor falscher Nachgiebigkeit zu bewahren.

Die DDR freilich wird erkennen müssen, daß auch für sie mit dem Grundvertrag nicht alle Probleme gelöst sind. Von der internationalen Staatenwelt allgemein akzeptiert, sieht sie sich nun auch an den Maßstäben dieser Gemeinschaft gemessen. Die Aufregungen um Fluchtversuche an der Berliner Mauer und um die leicht angestiegene Fluchtbewegung überhaupt, zeigen, daß hier für die DDR ein doppelt unangenehmer Punkt besteht. Sie setzt sich damit vor aller Welt in ein schlechtes Licht und muß zugleich sehen, daß die Bundesrepublik nach wie vor auf die DDR-Bewohner anziehend wirkt. Die DDR-Führung steht vor dem schwierigen Problem, auf der einen Seite, frei von dem ständigen Kampf um internationale Anerkennung und damit verbundenen Abgrenzungsbemühungen gegenüber der Bundesrepu-

blik, sich souveräner und liberaler geben zu müssen und zugleich — paradoxerweise — auf der anderen Seite die Annäherung an den anderen deutschen Staat nicht zu weit zu treiben.

Noch sind in Bonn wie in Ost-Berlin nur die ersten Schritte des neuen Miteinander zu registrieren. Auch wenn es sich dabei jetzt schon zeigt, daß man in der Bundesrepublik in manchem der DDR entgegenkommen muß, wo früher klare Konfrontation selbstverständlich war, ist doch nicht zu übersehen, daß für die DDR die Auswirkungen viel größer Sind und von ihr subjektiv als viel bedrohlicher aufgefaßt werden.

Nach außen haben beide Staaten mehr Spielraum gewonnen. Die DDR steuert stolz auf die UNO-Aufnahme zu und die Bundesrepublik kann Außenpolitik frei von Aggressivhaltung gegenüber der DDR betreiben. Schon melden die bundesdeutschen Botschaften, daß ihre Arbeit nun, etwas freier vom Druck der DDR-Propaganda, leichter geworden sei. Pessimisten mögen in der jüngsten Meinungsumfrage zur Wiedervereinigung, in der nur noch ein Bruchteil der Befragten in der BRD das Zustandekommen eines deutschen Einheitsstaates für möglich hielt, freilich die deutlichste Auswirkung des Grundvertrages sehen.

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