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Libretti für junge Komponisten

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„Die Bücher von der Oper sind für 20 kr. beym Logenmeister zu haben.“ Derartige Aufschriften zierten früher die Ankündigungen von Opernaufführungen, zu einer Zeit, in der die Opernhäuser intimer, die Orchester in der Regel kleiner waren als heute und dementsprechend auch die Voraussetzungen für die Verständlichkeit des gesungenen Wortes günstiger. Dennoch war die Beschäftigung mit dem Libretto eine Selbstverständlichkeit und der Dichter oft die angesehenere Persönlichkeit als der Komponist.

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„Die Bücher von der Oper sind für 20 kr. beym Logenmeister zu haben.“ Derartige Aufschriften zierten früher die Ankündigungen von Opernaufführungen, zu einer Zeit, in der die Opernhäuser intimer, die Orchester in der Regel kleiner waren als heute und dementsprechend auch die Voraussetzungen für die Verständlichkeit des gesungenen Wortes günstiger. Dennoch war die Beschäftigung mit dem Libretto eine Selbstverständlichkeit und der Dichter oft die angesehenere Persönlichkeit als der Komponist.

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Im 19. und 20. Jahrhundert schlug das Pendel nach der anderen Richtung aus: Obwohl gerade die bedeutendsten Komponisten auf eine sorgfältige Textausarbeitung größten Wert legten (und demgemäß ihre Texte nicht selten selbst verfaßten), begnügte sich das Publikum in zunehmendem Maße mit dem Genuß der Musik, ohne sich über deren Anlaß allzu viele Gedanken zu machen. Selbst bei einem Meister des Operntextbuches wie Hugo von Hofmannsthal stehen einer elitären Gruppe von Kennern und Bewunderern all jene gegenüber, die, salviert durch das Schlagwort von der — angeblichen — Unverständllchkeit etwa einer „Frau ohne Schatten“ oder „Ägyptischen Helena“, einen wesentlichen Teil des Gesamtkunstwerkes Musiktheater aus ihrem Bewußtsein verdrängen. Zwar gibt es das Operntextbuch nach wie vor — im Fachhandel und gelegentlich auch bei den Billeteuren —, aber seine Lektüre bleibt auf eine Minderheit beschränkt. Allenfalls sucht man die Kurzinformation durch eine sogenannte Inhaltsangabe. Diese aber kann über eine Dichtung bestenfalls referieren; ersetzen kann sie diese nicht.

Unter einem solchen Gesichtspunkt erscheint die sogenannte literarische Oper, die das Musiktheater unseres Jahrhunderts weitgehend geprägt hat, in einem neuen Licht: Neben dem Wunsch der Komponisten nach Texten gehobener Qualität, wie sie das Schauspiel anbietet, tritt nunmehr gleichwertig der Aspekt des bereits durch die Sprechbühne Bekannten, das das Manko der mangelnden Libretto-Lektüre wettmachen soll. Kein Geringerer als Igor Strawinsky hat dieses Verfahren mit „Oedipus rex“ schon in den zwanziger Jahren auf die Spitze getrieben. Daneben aber hat es immer schon das Bemühen gegeben, originale Stücke für das Musiktheater zu schaffen, nur sind die Resultate dieser Bestrebungen in vielen Fällen dem am Musiktheater Interessierten nur schwer zugänglich. Hier wird ein Autor präsentiert, der auf den verschiedensten literarischen Gebieten mit beachtenswerten Werken hervorgetreten ist, in dessen Schaffen aber dennoch das Musiktheater eine zentrale Stellung einnimmt, da Musik, wie er sagt, „alles darstellen kann, was nicht wirklich oder nicht wahrscheinlich ist, aber darum nicht minder wahr“.

Es mag auf den ersten Blick vermessen erscheinen, die Unvergleichbaren dennoch zu vergleichen und Richard Bietschacher in einem Atemzug mit Hugo von Hofmanns-thal zu nennen. Aber sehen wir davon ab, Qualitäten gegeneinander aufzuwiegen wie Äpfel und Birnen, so bleibt doch ein gemeinsamer Nenner: Es gibt kaum andere österreichische Autoren unseres Jahrhunderts, die die Oper derart dominieren wie Hofmannsthal und Blet-schacher. Dabei, und das ist schon wieder ein Unterschied, wurde Hofmannsthal zum kongenialen Partner eines einzigen, allseits anerkannten Meisters, während Bietschacher der Animator einer ganzen Generation aufstrebender zeitgenössischer Komponisten ist.

Der erste, mit dem Bietschacher, 1959/60 noch als Co-Autor, zusammenarbeitete, war Peter Ronnefeld, der Frühvollendete: Am 26. Jänner 1935 in Dresden geboren, trat er schon mit vierzehn Jahren als Konzertpianist vor die Öffentlichkeit, erhielt — nach Studien unter anderem bei Boris Blacher in Berlin und Oliver Messiaen in Paris — mit zwanzig eine Professur am Salzburger Mozarteum, als Vierundzwanzigj ähriger debütierte er an der Wiener Staatsoper als Dirigent, wurde 1961 Chefdirigent in Bonn, 1964 in Kiel, und erlag bereits am 6. August 1965 einem tückischen Leiden, bis zuletzt rastlos schaffend. Zu seinen Werken zählen die Oper „Nachtausgabe“, die Ballette „Peter Schlemihl“ und „Spirale“ sowie Stücke für Kammermusik und Orchester. „Die Ameise“, die auf einem amerikanischen Witz basiert, gelangte an der Deutschen

Oper am Rhein in Düsseldorf am 21. Oktober 1961 zur Uraufführung. Ronnefeld dirigierte selbst, Regie führte Wolfgang Liebeneiner. Weitere Inszenierungen gab es in Kiel und in Linz — Ronnefeld sollte sie nicht mehr erleben.

Auch die zweite Arbeit Bietschachers für die Opernbühne war noch kein ganz eigenständiges Werk: 1961/62 schrieb er, ursprünglich ebenfalls für Ronnefeld, eine Opernfassung von Büchners „Leonce und Lena“. Nach dem Tode Ronnefelds übernahm der am 11. August 1938 in Melk geborene Schiske-Schüler In-gomar Grünauer diese Fassung zur Vertonung.

Mit den 1964/65 entstandenen „Seidenraupen“ tritt uns Richard Bietschacher erstmals mit einem vollkommen eigenen Operntext entgegen, in dem sich seine überströmende Fabulierlust und seine differenzierte Begabung für Fremdsprachen in gleicher Weise austoben.

Über das Sujet sagt der Autor: „Teile der Handlung wurden dem mittelalterlichen Volksbuch von König Rother entnommen, in welchem Gestalten und Ereignisse aus sechs Jahrhunderten mit Phantasie und Naivität unglaubwürdig gemacht werden; anderes, kaum weniger Erstaunliches wurde aus den registrierten Schätzen der Geschichte entliehen (etwa die Tatsache, daß germanische Hünen in Byzanz als Leibwache des Kaisers dienten, daß einem persischen König eine Dame unadeligen Blutes als byzantinische Prinzessin zugeführt wurde, daß ein Brautwerber westlicher Kaiser abgewiesen wurde, obwohl er eine Wasseruhr als Werbegabe überbrachte, daß dagegen der Fliederstrauch aus Byzanz nach Europa kam und die Seidenraupen aus dem Osten nach Byzanz und vieles andere), einiges ist auch — zugegebenermaßen — erfunden und erlogen; das Ganze jedenfalls ist durchaus vergangen und unwiederholbar und hat mit dem Leben unserer Tage nur das gemeinsam, wovon behauptet wird, es sei nicht zu ändern.

Den Philologen wird der Hinweis interessieren, daß die hier wiederholt verwendete „babylonische Sprache“ streng nach der Rechtschreibung der Enzyklopäderassa Baby-lotta aufgezeichnet Ist. Das genannte Werk ist erschienen bei Kolurabbi und Schwiegersohn, Babylon, im Jahre des doppelten Nashorns. Dem aufmerksamen Leser wird sehr bald klar, wie falsch die weit verbreitete Meinung ist, das Babylonische sei durch eine Verwirrung und Vermischung anderer Sprachen entstanden. Es Ist vielmehr verblüffend zu erkennen, wie vieles aus dem sprachmütterlichen Reservoir des Babylonischen in das Vokabular der überlebenden Sprachen eingeflossen ist.“'

Ivan Eröd, am 2. Jänner 1936 in Budapest geboren, war ebenfalls Kompositionsschüler von Karl Schis-ke an der Wiener Musikakademie und trat bereits 1960 mit einer Kurzoper („La doncella, 11 marlnero y el estudiante“ nach Garcia Lorca) an die Öffentlichkeit. Als hervorragender Pianist konzertierte er in zahlreichen europäischen und asiatischen Ländern, zur Zeit ist er außerordentlicher Professor für Komposition und Musiktheorie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz. „Die Seidenraupen“, für die Eröd 1971 den österreichischen Staatspreis für Musik erhielt, wurden im Rahmen der Wiener Festwochen am 20. Mai 1968 im Theater an der Wien uraufgeführt. Dirigent war Gerd Albrecht, Regie führte Richard Bietschacher.

Sein nächster Operntext, „Gomor-ra“, als dessen hauptsächlichste Quelle er die Tageszeitungen angibt, entstand 1969/70 für den am 3. Jänner 1943 in Wien geborenen Heinz Karl Gruber, der von 1963 bis 1969 als Solokontrabassist des Nieder-österreichischen Tonkünstlerorchesters tätig war und heute Mitglied des ORF-Symphonieorchesters Ist. Gruber hat unter anderem bei Alfred Uhl, Hanns Jellnek und Gottfried von Einem studiert. Zu seinen zahlreichen Kammermusik- und Orchesterwerken zählt auch das Melodrama „Die Vertreibung aus dem Paradies“, dessen Textautor ebenfalls Richard Bietschacher heißt. Über „Gomorra“ schreibt der Komponist: „Da sich in der Musik einige der Pop-Musik verwandte Elemente befinden, war ich früher geneigt, das Stück als Musical zu bezeichnen. Ein pathosgeschultes Opernensemble wird den Anforderungen jedoch gerechter werden, denke ich, das heißt, ein Heldenbariton wagnerischer“ Prägung als Feuerwehrhauptmann und ein strahlender Heldentenor mit verdiesker Glut als Oberzündler bei entsprechend ergänzter übriger Besetzung könnten den Absichten der Autoren bestens gerecht werden.“ Heinz Karl Gruber gründete 1968 gemeinsam mit Otto J. M. Zykan und Kurt Schwertsik das Ensemble „MOB art & tone ART“, das neben musikalisehen Aufgaben auch darstellerische im Sinne Kagels erfüllt.

Kurt Schwertsik, am 25. Juni 1935 in Wien geboren, studierte gleich Grünauer und Eröd bei Karl Schiske, zu dessen ersten Schülern er zählte, wie er zuvor einer der letzten Schüler von Joseph Marx war. Engagements als Hornist im Niederösterreichischen Tonkünstlerorchester und bei den Wiener Symphonikern, denen er auch heute noch angehört, wechselten mit Studienaufenthalten am elektronischen Studio in Köln und am österreichischen Kulturinstitut in Rom. 1959 gründete er gemeinsam mit Friedrich Cerha auch das Ensemble „die reihe“, 1965 mit Otto J. M. Zykan die Salonkonzerte, die zeitweilig zu einer profilierten Wiener Einrichtung wurden. 1966 hielt er Gastvorlesungen an der Uni-verslty of California in Riverside. Seine Lieder, Kammermusik- und Orchesterstücke tragen meist sehr eigenwillige, eine individuelle Note verratende Titel, wie zum Beispiel „Draculas Haus- und Hofmusik“ für Streichorchester oder die Symphonie „für Audifax und Abachum“. Schwertsik ist auch der Komponist der Musik zur Austrovision im österreichischen Pavillon der Weltausstellung von 1967 in Montreal. „Der lange Weg zur Großen Mauer“ ist seine erste Oper. Den Text hierzu schrieb Bietschacher 1970/71 nach einem alten chinesischen Märchen.

Ausgangspunkt für die Gestaltung der „Vertrrungen des schönen Mahän“ (1971/72) war eine Erzählung aus den „Haft paikar“ des persischen Dichters Mohammed Elyäs ebn-e Yusof Nezämi (um 1140 bis 1209), die jedoch von Bietschacher in eine andere Zelt und in ein anderes Land verlegt und frei abgewandelt wurde. Der Komponist Francis Burt wurde am 28. April 1926 in London geboren. Er studierte zunächst Physik, Chemie und Mathematik und wandte sich erst mit zweiundzwanzig Jahren der Komposition zu, die er bei Howard Ferguson und später in Berlin bei Boris Blacher erlernte. Seit 1956 lebt Francis Burt in Wien. Er ist nicht nur mit der Kantate „The Skull“, einem Streichquartett und mehreren Orchesterstücken, sondern auch mit drei Bühnenwerken hervorgetreten: mit den Opern „Volpone“ (Stuttgart i960, weitere Inszenierungen in London, Oldenburg und Graz) und „Barn-stable“ (Kassel 1969) sowie mit dem Ballett „Der Golem“, das 1965 in Hannover herauskam und in der Folge auch in Graz, Wien, Marseille, Belgrad und Santiago de Chile aufgeführt wurde.

Ronnefeld, Grünauer, Eröd, Gruber, Schwertsik, Burt — möge die Lektüre dieser Theaterstücke für Musik von Richard Bietschacher auch den Zugang zum Schaffen ihrer Komponisten weisen und damit zu einem neuen Kapitel In der Geschichte des Musiktheaters.

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