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Libretto zur Klagenfurter Literatur-Hitparade

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Gert Jonke hatte die Lacher auf seiner Seite, als er in Kla- genfurt seinen Ersten Entwurf zum Beginn einer sehr langen Erzählung präsentierte: „Bestehen Sie uhbedingt weiter darauf, von unserem Hause mit Informationszetteln auch über den heutigen Tag hinaus versorgt zu werden? Oder würden Sie die Zukunft auch ohne die Versorgung mit Zetteln aus unserem Hause zu bewältigen sich Zutrauen? - Keine Zettel, erwiderte Burgmüller, keine Zettelwirtschaft.“

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Gert Jonke hatte die Lacher auf seiner Seite, als er in Kla- genfurt seinen Ersten Entwurf zum Beginn einer sehr langen Erzählung präsentierte: „Bestehen Sie uhbedingt weiter darauf, von unserem Hause mit Informationszetteln auch über den heutigen Tag hinaus versorgt zu werden? Oder würden Sie die Zukunft auch ohne die Versorgung mit Zetteln aus unserem Hause zu bewältigen sich Zutrauen? - Keine Zettel, erwiderte Burgmüller, keine Zettelwirtschaft.“

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Den Juroren, die in Klagenfurt einen Preisträger für den sogenannten In- geborg-Bachmann-Preis suchten und fanden, erschien Jonkes Prosa als eine vielfältig auslegbare Parabel: nicht zuletzt (so Marcel Reich-Ranicki, der - laut eigener Auskunft - nicht unter seinem Niveau lachte) als Satire auf den Literaturbetrieb.

Eine Sintflut von Zetteln, die umgefüllt wird in eine neue Zettelsintflut: Damit sich zeigt, wie recht Jonke hat, ließ man in Klagenfurt dem Lachen die Taten folgen. Was im Juni dieses Jahres im Namen Ingeborg Bachmanns geschah, kann nun nachgelesen werden.

Allerdings nur zu 43,478 Prozent. Denn von den 23 Autoren, die sich auf die Wettbewerbsbedingungen einließen und lasen, sind nur zehn vertreten. Jene, die „in die engere und engste Auswahl“ kamen. Eine Hitparade also.

An erster Stelle stehen natürlich die Preisträger (G. Jonke, H. J. Fröhlich,

R. Schostack), für die anderen gilt die Gerechtigkeit des Alphabets (V. Ivan- ceanu, M.-Th. Kerschbaumer, J. Lae-’ derach, G. Meier, P. Schalmey, R. Schneider, G. Schramm). Das Ganze wird vom Herausgeber-Triumvirat (H. Fink, M. Reich-Ranicki, E. Willner) „Klagenfurter Texte“ genannt, ist mit einer Menge von Photos versehen und enthält (eine Auswahl von) Pressestimmen zur spektakulären Veranstaltung. Eine Werbebroschüre also.

Ginge es nicht um mächtige (Ei- gen-)Reklame, hätte das Buch immerhin eine Dokumentation sein können. Nachlesen zu können, was beispielsweise Karin Struck, die verbittert die Szene verließ, wirklich gelesen hat, wäre nicht uninteressant. Mit welchen Texten die anderen nicht in die engere und engste Auswahl kamen, kann man bis auf weiteres nur wissen, wenn man dabei war. Schade um die Chance.

Jonkes Figur Burgmüller will keine

Zettelwirtschaft Aber: „Schon hört man,“ - so Reich-Ranicki - „daß einzelne Autoren und Verleger, die es 1977 für richtiger hielten, nicht nach Klagenfurt zu kommen, nunmehr bereit seien, 1978 mitzumachen.“ Was wohl zu beweisen war. Sich zu beweisen war: der Erfolg. Das Buch ist eine Kärntner Erfolgserzählung besonderer Art: „Nicht die Pessimisten haben recht behalten, sondern die Optimi-- sten,“ lehrt Reich-Ranicki im Vorwort. Wenn ein ehrbarer Kritiker dergleichen tautologische Uberredungslogik strapaziert, muß er einen Grund dafür haben. Der Grund heißt: Selbstbestätigung. Bestätigt wurde die Tüchtigkeit des Vermarktens. Zugegeben wird sie allerdings nicht. Das Feigenblatt heißt: „der Literatur eine Öffentlichkeit verschaffen“. Als hätte die Literatur ohne den Ingeborg-Bach- mann-Preis keine.

Kein Zweifel: die Literatur bedarf der Öffentlichkeit, der Vermarktung und der Preise. Kein Zweifel: der Literaturbetrieb bedarf der Zettelwirtschaft. Kein Zweifel: die Kritiker bedürfen des Astes, auf dem sie sitzen. Der Klagenfurter Wettbewerb war unter anderem der Versuch, dies effektvoll zu vertuschen. „Im äußersten Winkel des . deutschsprachigen Raums“, schreibt Reich-Ranicki, Apologet in eigener Sache, „ist der Versuch, in Gegenwart des Publikums und vor den Mikrophonen des Rundfunks und den Kameras des Fernsehens einen literarischen Wettbewerb durchzuführen, eindeutig gelungen.“ Wohlgemerkt: Nicht nur gelungen. Sondern eindeutig gelungen!

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