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Licht und Schatten

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Er kommt auf uns zu. Er naht. Er ist fast schon da. Wir können nicht an ihm vorübergehen, ohne ...

Ohne der eigenen klassischen Bildung zu gedenken, ohne uns selbst zu feiern, denn zu irgend etwas muß sie ja gut sein, diese Bü-dung, die — wie die Frau Wissenschaftsministerin gesagt hat — keinen Anspruch auf Privilegien begründet, keinen elitären An-

spruch, somit das Gehalt eines Hilfsarbeiters mit dem Unterschied, daß es Honorar heißt oder Gage.

Goethe ist also gestorben. Am 22. März 1832, vor 150 Jahren. Die Versuchung, ein so trauriges Ereignis wie einen Sterbetag zu feiern und dabei zumindest in der Konversation ziemlich pietätlos und witzig zu sein, kommt keineswegs aus seinem der heiteren Klänge nicht entbehrenden gewaltigen Werk, sondern aus dem üppigen Schulgebrauch, den ganze Lehrer- und Germanistengenerationen von ihm gemacht haben.

Erst die jüngste Gegenwart hat sich an dem Goethe-Boom der Katheder durch grausame Ignoranz gerächt. Auf die Frage, wer denn eigentlich daran schuld sei, daß neuerdings Maturanten und Hochschüler von Grass bis Enzensberger interpretieren und von Comic-strips bis Jandl eifrig zitieren können, von Goethe aber keine Ahnung haben, gab einer die treffende Antwort: eben Goethe.

Denn Goethe ist nicht relevant. Goethe ist nicht „in". Die Lehrer haben ihn aus der Mode gebracht.

Doch Goethe kommt. Und es wird nicht an Beweisen fehlen, daß er aktuell ist, noch aktuell, wieder aktuell, wie es beliebt, aktuell muß er ja jedenfalls sein oder werden, ohne Aktualität geht gar nichts.

Die Medien werden schon nachhelfen. Goethe unlängst im Fernsehen, dieser Faust, ein Skandal sage ich Ihnen, aber gut gespielt.

Die Bühnen gehen nicht vorbei. Sie verfügen ja zumindest bei uns noch über ein Reservoir von mittleren und älteren Mimen, denen Goethe wie ein Jungbrunnen ist. Selbstverständlich muß man ihn bearbeiten. Wozu haben wir denn progressive Regisseure?

Faust im Rollkragenpulli ist ein alter Hut. Vielleicht Gottvater als Kreisky, oder Gretchen als Feministin, oder Mephisto als Reagan? Aktuell, wie gesagt. Und Striche, wenn ich bitten darf, Striche und nochmals Striche. Als Kulisse böte sich auch die Silhouette des AKH an. Aber nur andeutungsweise. Es kann auch ein Konferenzzentrum sein.

Um die Politik kommen wir ohnehin nicht hinweg. Die forschen Germanisten und Kulturpolitiker aus der DDR werden uns schon sagen, daß wir westlichen Kapitalisten kein Recht haben, Goethe für uns zu vereinnahmen. Weimar liegt ja nicht zufällig drüben.

Aber deswegen wird denen der freie Westen nichts schuldig bleiben. Frankfurt ist nicht von gestern. Ob sie die Startbahn vergrößern dürfen oder nicht, die Zeitungen sind jedenfalls großflächig genug für die geistige Startbahn eines neuen Goethe-Bildes. Entschlackt, versteht sich. Ein paar ordentliche Gesamtausgaben zur Buchmesse und fünf Dutzend Bände Sekundärliteratur. Nur bitte nicht das öde „Goethe und N.N.". Das hatten wir schon.

Goethe in Comic-strips. Das hatten wir noch nicht. Oder Goethe als Umweltschützer. Goethe und der Nord-Süd-Dialog. Goethe und das Schlankheits-Menü. Goethe und die Spontis.

Wir in Osterreich haben ja leider nur die Denkmäler und die Straßen. Immerhin Schauplätze, vor denen sich Rednerpulte aufbauen ließen. Und Komponisten haben wir, und Sänger, und Chöre. Welcher Knab' sah da kein Röslein stehn?

An der Sekundärliteratur haben wir auch immer kräftig mitgemacht. Nicht zu vergessen das Ewig-Weibliche. Es war ja einst das Liebesleben Goethes die einzige erlaubte Obszönität an den Schulen. Heute hat sich das

gründlich geändert. Deswegen ist Goethe auch nicht mehr so notwendig.

Daß das populärste Zitat Goethes zumindest mündlich gebraucht nicht mehr unter Strafsanktion steht, hatte freilich zur bedauerlichen Folge, daß die Kenntnis Goethes bei provinziellen Juristen abgenommen hat und die Entrüstung der Gerichtssäle über die Knebelung der literarischen Freiheit auch nicht mehr das ist, was sie einmal war. .

Nur in der Lyrik, da ist er unerreicht. Nicht mehr ganz zwar. Doch die Scharte auszuwetzen, daß hierzulande Fritz Hermanns Goldlawur und Gerhard Ruhms Tulpengedicht populärer sind, das zumindest erwarte ich mir vom Goethe-Jahr.

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