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Liebe statt Gewalt

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Das Regime in Chile sei „diktatorisch“ , imd eine Entwicklung wie auf den Philippinen (dort trug die Kirche bekanntlich entscheidend zum Sturz des Diktators Fernando Marcos bei) sei wünschenswert. Mit diesen Aussagen sprach Papst Johannes Paul II. schon auf dem Flug von Rom nach Montevideo vielen Katholiken aus der Seele.

Das in Lateinamerika übliche WechselspiÄ von mehr oder weniger stabilen Diktaturen mit mehr oder weniger stabilen Demokratien ging auch in Uruguay, dem ersten Ziel der 33. Auslandsreise dieses Papstes, vor sich. 1973 hatten die Militärs die Macht übernommen, 1984 wurden erstmals wieder Wahlen zugelassen, aus denen der rechtsliberale Julio Sanguinetti als Sieger hervorging. Seine Generalamnestie für die Menschenrechtsverbrechen des Jahrzehntes davor ist umstritten.

Umstritten war auch der Besitz von drei Inseln im Beagle-Kanal an der Südspitze Südamerikas. In Montevideo brachte man 1979 die Kontrahenten Chile und Argentinien an den Verhandlungstisch, 1985 wurde nach Vermittlung des Vatikans ein Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen den beiden Ländern geschlossen. Nun erinnerte der Papst in Montevideo an diesen Friedensschluß als ein Beispiel dafür, „daß es immer Möglichkeiten des Verhandeins mit der Aussicht auf echte und für alle ehrenvolle und annehmbare Lösungen gibt“ .

Während Uruguay (drei Millionen Einwohner, davon 79 Prozent Katholiken) wieder zur Demokratie zurückgekehrt ist, wird in Chile (zwölf Millionen Einwoh-

ner, davon 85 Prozent Katholiken) seit dem Militärputsch 1973 eine Politik der Menschenverachtung betrieben. Oppositionelle werden mit aller Brutalität verfolgt. 0

Mit 23 Prozent Arbeitslosen hat Chile die höchste Arbeitslosenrate Lateinamerikas. Aus der Verantwortung für das öffentliche Wohl hat sich der Staat weitgehend zurückgezogen. Schulen und

Krankenhäuser sind zu Waren geworden, klagen kirchliche Stellen. Die Kirche nimmt sich derer an, die sonst der sozialen Verwahrlosung ausgesetzt wären, und verzeichnet einen starken Zustrom, vor allem aus den Elendsvierteln der Hauptstadt Santiago.

Chiles Präsident General Augusto Pinochet hatte jüngst das politische Engagement dei» chileni-

schen Bischöfe kritisiert und gemeint, „sie sollten besser 90 Prozent ihrer Zeit mit Beten verbringen“ . Bereits im Anflug auf Montevideo hatte Johannes Paul II. sinngemäß erklärt, man könne die Kirche nicht von ihrem Auftrag, für soziale Gerechtigkeit einzutreten, trennen und ihr nahelegen, „in der Sakristei“ zu bleiben.

Der Wunsch des Papstes nach einer baldigen Rückkehr Chiles zur Demokratie war imüberhör-bar, sein Dank an die Vertreter des Solidaritätsvikariates, der katholischen Menschenrechtsorganisation in Santiago, die ihm jüngst einen umfassenden Bericht über Menschenrechtsverletzungen und Folter in Chile vorgelegt hatte, war demonstrativ.

Auch in Lateinamerika verkündete Johannes Paul II. unermüdlich seine Botschaft: Absage an künstliche Empfängnisverhütung, Abtreibung, Ehescheidung und Gewalt. Er tritt kompromißlos für soziale Gerechtigkeit und Freiheit ein, aber auf dem Weg der Liebe, nicht der Gewalt. Er weiß die Schrift zu deuten und zwischen jenen zu unterscheiden, die vor Pontius Pilatus „Barab-bas“ beziehungsweise „Jesus“ gerufen haben.

Daß der Papstbesuch in Chile Augusto Pinochet Prestigegewinn gebracht hat, wie anfangs befürchtet wurde, darf man heute mehr denn je bezweifeln. Aber das heißt leider noch lange nicht, daß diese Diktatur bereits am Ende ist.

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