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Liebe zwischen Last und Lust

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Das Thema Sex bewegt wie immer die Gemüter. Zuletzt gab es dazu Kirchenkritisches im „profil“ und in Feichtlbauers „Klipp und klar“. Zu bei-dem ein Kommentar.

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Das Thema Sex bewegt wie immer die Gemüter. Zuletzt gab es dazu Kirchenkritisches im „profil“ und in Feichtlbauers „Klipp und klar“. Zu bei-dem ein Kommentar.

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Peter Michael Lingens, Herausgeber und Chefredakteur des „profil“, setzte sich zweimal mit der Einstellung der Kirche zu Fragen der Sexualität (32 und 34/ 1986) auseinander — kritisch versteht sich. Man mag seine Ansichten schätzen oder nicht, jedenfalls sollte man sich mit ihnen auseinandersetzen. „Klipp und klar“ tat dies Hubert Feichtlbauer (FURCHE 34/1986), vertrat dabei aber weitgehend denselben Standpunkt wie Lingens. Fehlt also eine Gegendarstellung.

„Niemand müßte sich sein Christentum absprechen lassen, weil er die Pille nimmt oder aus purer Lust an der Liebe ins Bett geht“, meint Lingens, und Feichtlbauer ergänzt: .. lebt niemand gegen die Kirche, wenn er aus Gewissensgründen die künstliche Empfängnisregelung praktiziert.“ Wir halten beim Hauptpunkt der Kritik: der Enzyklika „Humanae Vitae“.

„Ich halte die Pillen-Enzyklika für eine unchristliche Vorschrift“, geht Lingens einen Schritt weiter. Ein Hauptgrund: die drohende Uberbevölkerung.

Die meisten Kritiker der Enzyklika haben sie nicht gelesen. Da verkündet nämlich nicht ein machtbesessener Herrscher über Christengewissen drakonisch Lustfeindlichkeit. Vielmehr sorgt sich da ein Papst (Paul VI.) um das Heil der Mann-Frau-Beziehungen, tut sich schwer, gegen die Experten zu entscheiden, ringt um das Verständnis seiner Zuhörer. Die Lektüre von „Humanae Vitae“ war einer der Gründe, warum ich die Befürwortung der künstlichen Empfängnisverhütung aufgab.

Feichtlbauer hat recht: Das Gewissen entscheidet. Es hat „Vorrang vor der Kirchenvorschrift“. Nur: Das Gewissen fällt nicht fertig vom Himmel. Es muß gebildet werden. Und die Richtung dazu weist die Lehre der Kirche. Dabei ist die Bezeichnung „Kirchenvorschrift“ allzu juristisch. Wege zu einem erfüllten Leben—und zu einer erfüllten Sexualität sollen gewiesen werden.

Daß mancher in einer besonderen Situation der Wegweisung nicht folgen kann, ist unproblematisch; er muß nur wissen, wo es lang geht, wenn die besonderen Lebensumstände wegfallen.

Nun sei aber die Ablehnung der Sexuallehre ein Massenphänomen: „Die meisten Katholiken leben an der Sexuallehre der Kirche vorbei“, diagnostiziert Feichtlbauer. Lingens findet diese Haltung scheinheilig. Die kirchliche Autorität werde untergraben, „wenn sich Millionen Katholiken damit abfinden, daß Papst und Theologen in einer Fundamentalfrage der menschlichen Existenz irren...“ (Feichtlbauer).

Als ob sich die Lehre nach Mehrheitsentscheidungen richten könnte! Da stünden wir bald schön da, säkularisiert bis auf die Knochen: Wer dürfte noch von Auferstehung des Fleisches und vom ewigen Leben reden? Da müßte die Seligpreisung der Armen und Friedfertigen aus der Bergpredigt gestrichen, das Gebot der Feindesliebe als Illusion entlarvt werden. Wer lebt das schon?

Und: Sind Übertretungen jemals ein berechtigter Grund, sinnvolle Vorschriften abzuschaffen? Längst müßte das Autolenken nach Alkoholgenuß, das Steuerhinterziehen und das Schwarzfahren gesetzlich gestattet sein, wenn das Verhalten der Menschen der Maßstab für gut und böse sein soll.

Uber fundamentale Fragen kann nicht abgestimmt werden. Und: Macht man der Kirche nicht ohnehin den Vorwurf, allzu leicht dem Zeitgeist zu folgen? Man meint damit zwar immer den von vorgestern, dem heutigen gegenüber sind aber viele großzügig. War es etwa gut, nicht mehr vom Fasten zu reden? War die Kirche da nicht ein Opfer des Konsumismus? Soll die Kirche bezüglich der Sexualität denselben Irrtum begehen?

Bei der Empfängnisregelung verkündet sie die Grundwahrheit, daß der Geschlechtsakt ein ganzheitliches Geschehen ist: Quelle neuen Lebens, Ausdruck der Liebe der Partner vermittelt er auch intensive Lustgefühle. Alle drei Aspekte sind wichtig — keiner darf (ohne Schaden für die anderen) eliminiert werden.

Pille, Spirale und ähnliches schalten' die Fortpflanzung zugunsten größerer Lusterfahrung aus. Das käme auch den Partnerbeziehungen zugute: Keine Angst vor ungewollten „Folgen“, sexuelle Vereinigung, wann immer die Stimmung der Partner sie drängt...

Klingt gut, hat aber viele Haken: Zunächst die gesundheitlich bedenklichen Nebenwirkungen der meisten Verhütungsmittel; weiters die Gefahr der „Inflation“ der Vereinigungen — und damit ihrer Entwertung als Zeichen der Liebe; schließlich das Konzentrieren auf Geschlechtsverkehr und die Vernachlässigung aller übriger Zeichen.

Gerade letzteres bringt eine enorme Verarmung der Beziehungen. Wie wichtig wäre doch (gerade auch in den Ehen) eine Kultur der „kleinen Zeichen“. Wer redet überhaupt noch darüber? Immer geht es um das Ganze. Diesen Vorwurf kann man auch der Kirche nicht ersparen: Es reicht nicht, immer wieder klarzustellen, was wir nicht tun sollten. Christen sollten deutlicher für eine Kultur der Zärtlichkeit werben, umso mehr als uns immer noch der Ruf der Leibfeindlichkeit vorauseilt. Die Debatten drehen sich leider immer nur um eines, um den Geschlechtsverkehr: „Es ist möglich geworden, gefahrlos aus purer Lust an der Liebe miteinander zu schlafen...“, kennzeichnet Lingens die Situation. Und Feichtlbauer folgert: „Daß man heute lieben kann, ohne Kinder zu zeugen, erfordert in der Tat eine Neuauslegung des Dekaloggebots ,Du sollst nicht ehebrechen!'“

Ja, um Liebe geht es. Nur: Wird in den beiden zitierten Stellen Liebe nicht synonym mit Geschlechtsverkehr gebraucht? Die „Lust an der Liebe, miteinander zu schlafen“... Und: Lieben, ohne Kinder zu zeugen, konnte man seit jeher: etwa seine Eltern oder seine Kinder...

Um die Klarstellung des Begriffs Liebe geht es also. Und da können Christen nicht beliebige Inhalte einsetzen. Hier geht es um den Kern unseres Glaubens, wird doch von Gott ausgesagt, er sei die Liebe und durch Jesus klargestellt, daß Liebe auf Hingabe des Lebens zielt, Einsatz der ganzen Person. Die sexuelle Hingabe aber ist jenes Zeichen, mit dem Mann und Frau sich diese Zusage der Hingabe körperlich machen.

Hat sich daran etwas geändert, weil es technisch möglich geworden ist, Empfängnis zu verhindern? Wozu also die Zehn Gebote neu interpretieren? Im tiefsten Inneren weiß jeder von uns, daß die sexuelle Vereinigung ein unbedingtes Ja zum Partner, zu seiner Gegenwart und Zukunft ausdrücken sollte. Es sind erlebte Enttäuschungen, die uns zum heutigen Pragmatismus führen.

Man möge doch den jungen Leuten klarmachen, daß „Sünde in der Sexualität vor allem Egoismus jeder Art“ sei, fordert Feichtlbauer. Recht hat er. Genau das geschieht ja, wenn man der Jugend sagt, sie möge Verliebtheit nicht mit Liebe verwechseln und daher auf vorehelichen Verkehr verzichten, weil er mehr ist, als Ausdruck von Hochgefühlen; und weil damit dem Partner die Freiheit zur endgültigen Bindung bleibt.

Sicher, der erhobene Zeigefinger ist zuwenig. Wir Christen müßten es vorleben. Lingens hat recht: „Ich glaube, daß daher entweder die Katholiken ihr Leben oder die Kirche ihre Vorschriften ändern müßten.“

Die Kirche kann die Wege zum Heil nicht anders weisen, also müssen Christen durch ihr Leben zeigen, daß diese Wege zu erfülltem Leben führen. Daher rufe ich ebenso wie Hubert Feichtlbauer dazu auf: „Nicht genießen und schweigen!“

Ihr vielen, die Ihr auf Empfängnisverhütung verzichtet, verschweigt nicht, daß dies zwar ein schwieriger, aber letztlich die Freude an der Sexualität erhaltender Weg der ehelichen Beziehungen ist! Verstummt nicht jedesmal betreten, wenn sich jemand mit sexuellen Abenteuern mit einer Freundin brüstet!

Dann werden andere Mut fassen, denselben Weg zu gehen. Wie viele Frauen leiden doch unter dem dauernden Pillenschluk-ken und Spirale-Einsetzen! Ja, dann werden andere ihr Leben, ihr „Bewußtsein, nicht die Verbotsregel ändern“, wie Feichtlbauer dies zurecht für die Abtreibung fordert.

Warum dies nur für die Abtreibung verlangen? Soll sich die Kirche in 100 Jahren den Vorwurf machen lassen, sie habe sich im ausgehenden 20. Jahrhundert von der bereits damals als Irrtum erkennbaren Sexualisierung anstecken lassen und ihr Mäntelchen nach dem Wind gehängt?

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