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Lieben Sie Guttuso ?

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Lieben Sie Guttuso? Ich hörte die Frage damals, im Juli, vor fünf Jahren, immer wieder. Sie klang weder neugierig noch zerstreut, sondern leise lauernd, war Teil einer Prüfung, konnte den Fremden zwingen, endlich Farbe zu bekennen. Die Absicht wurde freilich durch den leichten Tonfall einer launigen Konversation getarnt. Die fragenden Stimmen flöteten oder gurgelten matt und gelangweilt; in diesem Kreis war es nicht üblich, Interesse zu zeigen; man sprach lediglich aus Höflichkeit, wartete auf keine Antwort, ließ das Geplauder von einem Gegenstand zum anderen hüpfen, wechselte von einem Satz zum anderen auch die Sprache. Was englisch begonnen hatte, verwandelte sich ins Italienische, wurde französisch fortgesetzt, machte mitunter auch einen Abstecher ins Deutsche. Lieben Sie Guttuso? Es genügte, mit dem Kopf zu nicken, und die Damen und Herren waren mit der Antwort zufrieden.

Wir befanden uns alle in einem leichten Spiel der Verstellung. Die Damen und Herren, in deren Kreis ich mich verirrt hatte, wohnten, von der zahlreichen und wohlerzogenen Dienerschaft betreut, in den Villen und Hotels der Küste. Die Vülen lagen hinter kargen blaßgrauen Olivengärten versteckt, oder sie zeigten eine schmale, bescheidene Straßenfront, erinnerter, auf den ersten Bück an Garagen oder an Bunker. Die Hotels zeigten dörfliche Bescheidenheit; das teuerste erinnerte an den Häuserhaufen eines Fischerdorfes. Man trug schäbige Blue jeans, billige Baumwollhemden, alte Tennisschuhe. Die Dienerschaft erschien dagegen in diskreter Eleganz.

Die Insel, weitab im Tyrrheni-schen Meer, war ein Refügi-um der Reichen. Alle liebten den Maler Renato Guttuso, den Darsteller proletarischen Elends, den kämpferischen Kommunisten, dessen zuweüen muskelstrotzende halbnackte Arbeiterfiguren dazu geschaffen waren, die dekadente Bourgeoisie zu liquidieren. Alle hebten ihn, aber niemand liebte ihn so sehr wie eine hochgewachsene, nicht mehr ganz junge Dame, die mit ihrem Mann die prächtigste all der Villen bewohnte.

Sie kam den Gästen mit der Herzlichkeit einer hoheitsvollen, aber unermüdlich pflichtbewußten Hausfrau entgegen. An ihrem Hals hing ein schweres, einfach gearbeitetes Kreuz, das man ungestört studieren konnte, da die Dame von der Taille aufwärts keine Kleidung trug. Lieben Sie Guttuso? Ihre Frage klang ein wenig feierlich, und in der Tat geleitete sie die Gäste in ein weiträumiges, zum Meer offenes Wohnzimmer und deutete, während das Kreuz an ihrem Hals durch die energische Bewegung ins Baumeln geriet, auf die beiden großen Wandflächen: da waren sie nun in der Tat zu sehen, die beiden eigens für die Villa konzipierten Fresken des Malers.

Die farbenfrohen Kompositionen zeigten in realistischer Manier das bunte Treiben eines ländlichen Hafens. Mit niedriger Stirn, braungebrannt und athletisch ständen im Vordergrund, malerisch zu Gruppen gefaßt, einige Fischer. Die Frauenfiguren im Hintergrund zeigten durch ihre Körperformen die Kraft unbezwingbarer Fruchtbarkeit. Selbst die Kinder, die Pflanzen, die Häuser, die toten Fische strotzten vor gesunder Vitalität.

Einige hundert menschenkopf-große Pölsterchen, in weißen Spitzenüberzügen, mit Rüschen und Bändchen, lagen unter den beiden Fresken zu einer einzigen lockeren Schanze geordnet: die putzige Masse bildete die Rückenlehne einer weichen Sitzbank, auf der dreißig oder mehr Gäste Platz finden konnten.

Im Speisezimmer stand ein langer Marmortisch für zwanzig Personen. Und so speisen Sie, wenn Sie mit ihrem Mann allein sind? Die Hausfrau zeigte ein jungmädchenhaftes Lächeln und sagte: Wir sind ja niemals allein. Dann zeigte sie auch noch das Schlafzimmer. Das breite Doppelbett stand, von einem Baldachin überwölbt, auf einem Podium wie auf einer Bühne; eine lebensgroße Madonna aus weißem Marmor diente als Schmuckablage.

Unter einer schattigen Pergola wurde das Mittagessen verzehrt. Als Mundschenk trat der Hausherr in Erscheinung, ein bescheidener schweigsamer Fabrikant, der jedes leere Glas augenblicklich wieder füllte. Der vorzügliche Wein wuchs auf seinen Gütern in Venetien. Das Gespräch drehte sich längere Zeit um Enrico Berlinguer. Der Generalsekretär der Kommunistisehen Partei kreuzte auf seiner Yacht gerade in der Nähe der Insel. Viele kannten ihn persönlich. „Ein süßer Mann”, sagte auf deutsch meine Tischnachbarin. Die Speisen wurden von Farbigen serviert. Die dunkelhäutigen Lakaien trugen allerdings keine Livree, sondern Ruderleibchen und Blue jeans.

Erst nach dem Essen ging man ans Meer hinunter. Man konnte sich nun ein wenig ausstrecken. Drei Messingbetten standen im Sand; das Metall funkelte; die festen Matratzen waren bald besetzt.

Spät nachts während der Heimfahrt gewahrten wir die zerklüfteten Felsenmassen, die dunkel schimmernde Oberfläche des Wassers in der Tiefe, das starke Funkeln der Sterne über uns. Wir sahen Wachleute. Polizisten, Nachtwächter und die Privatpolizei der Villenbesitzer bildeten einen dreifachen Kordon.

Renato Guttuso ist vor ein paar Wochen gestorben. Die Nachricht setzt die Erinnerung in Bewegung. Das Stück Vergangenheit taucht wieder auf: eine Insel, nicht nur von Wasser, sondern auch vom breiten Strom der Bilder des Erlebens umgeben, und wieder fragen die feinen Damen und Herren, fiebernd vor Lust am eigenen Untergang: Lieben Sie Guttuso?

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