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Lieben Sie Kinder?

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„Oftmals macht es ärgerlich, daß da eine Kreatur ist, die ganz einfach lebt und genießt,“ sagte eine Mutter und Psychotherapeutin in einer auflagenstarken deutschen Frauenzeitschrift und meinte damit ihr Kind. Ein Einzelfall?

Das Leistungsdenken scheint sich als Wertungs- und Beurteilungsmaßstab einen Monopolplatz erobert zu haben. Daß es diesen auch bei Menschen, die sich Christen nennen, so erfolgreich verteidigt, wundert mich. Was mich jedoch verblüfft, ist, daß wir das ganz normal finden und nicht im geringsten an unserer Glaubwürdigkeit zweifeln - wir Christen!

Aber nein, wir sind ja nicht so; wir lieben doch unsere Kinder...

Schließlich brauchen wir ja auch jemanden, der einmal unsere Pensionen bezahlt, der sich um uns im Alter kümmert; und es ist doch auch schön, wenn man weiß, wofür man arbeitet -das Kind erbt dann mit dem Namen auch den materiellen Besitz.

Ist das alles? Und das nennen wir selbstlose Liebe?

Wir bejahen ein Kind und erwarten gleichzeitig, daß es uns Freude bringt, daß es unserem Leben einen Sinn gibt. Wir bringen materielle Opfer, erwarten aber auch, daß diese vom Kind mit Dankbarkeit und Zuneigung honoriert werden. Wir bieten dem Kind eine Familie, wollen dafür aber auch kritiklos als Autorität anerkannt sein. Wir lieben das Kind - ja aber lieben wir es auch, wenn es anders denkt, fühlt, handelt, lebt, als wir es uns vorstellen? Wenn es uns, also unsere Welt mit ihren Normen und Werten in Frage stellt?

Bedeutet Liebe nicht vor allem, den anderen - wenn auch jungen - Menschen ernst nehmen?, sich auf Fragen auch dann einzulassen, wenn sie nur dem anderen - dem Kind - ein Anliegen sind? Wir haben ja eigentlich nichts zu verlieren, wenn wir von den Antworten, die wir gefunden haben, überzeugt sind. Nichts außer vielleicht die Zeit und Energie, deren es bedarf, die Meinung so zu formulieren, daß sie für den anderen, auch für ein Kind, verständlich wird.

Dieses „Das verstehst du jetzt noch nicht“ scheint mir ein Zeichen von Feigheit zu sein. Wenn wir nie Zeit haben, sie uns nie nehmen, dann beweisen wir doch nur, daß wir die Fragen und Probleme des anderen nicht ernst nehmen, daß uns andere Dinge wichtiger sind. Dann ist das Kind für uns eben nur eine „halbe Portion“, ein zukünftiger Erwachsener, dessen geheimnisvolle, staunende, entdeckende Gegenwart keinen Platz findet in unserem Kosten-Nutzen-Alltag.

Genügt es wirklich, dem Kind die materielle Existenz zu sichern? Wie weit geht eigentlich unsere Verantwortung als Eltern, als Menschen und als Christen?

Eltern werden ihre Verantwortung vor allem in der Erziehung sehen. Die verschiedenen Methoden und deren Auswirkungen werden in unzähligen Büchern angepriesen und kritisiert. Mir scheint als wesentlichstes Erziehungsziel die Mündigkeit zu gelten. Und Lebensbejahung ist sicherlich Grundbedingung.

Für menschliches Verhalten anderen Artgenossen gegenüber darf wohl vorausgesetzt werden, daß man dem anderen seinen Raum läßt; also alles, was er für sein physisches und psychisches Leben unbedingt benötigt. Und die Leitidee eines christlichen Lebens ist die Liebe, was ich mit Dienst und Beispiel gleichsetze.

Für christliche Eltern sollten sich, glaube ich, diese Verhaltensweisen einander befruchtend zu einem Ziel ergänzen; ein Ziel, das es in jeder Situation neu zu suchen gilt und das man wohl kaum je zur Gänze verwirklichen kann. Das allerdings bewahrt dann auch vor einem Autoritätsanspruch, der Kinder als Besitz betrachtet, über welchen den Eltern uneingeschränktes Verfügungsrecht erwächst.

Ich verstehe Elternschaft (und eigentlich jedes christliche Leben) als Dienst durch Beispiel: wenn meine Grundsätze sich durch mein Leben rechtfertigen - das können sie nur, wenn ich sie als Suchender immer wieder in Frage stelle - dann werde ich gerade für Kinder und Jugendliche auch glaubwürdig sein. Und kann es für Eltern etwas Schöneres geben als miterleben und vielleicht mithelfen zu dürfen, daß ihr Kind sich auf die Suche nach seiner Identität, also nach Gott begibt?

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