6903893-1980_37_16.jpg
Digital In Arbeit

Lieben Sie Zuckerbrot?

Werbung
Werbung
Werbung

„Ihr Anzug gefällt mir", sagte mein Chef. „Aber setzen Sie sich doch, machen Sie's sich ruhig bequem."

Erstaunt über das Kompliment wegen meines dreijährigen Anzuges nahm ich im großen Besuchersessel Platz.

„Es freut mich", sagte mein Chef, „daß Sie heute Zeit für mich haben. Ich fühle mich in Ihrer Nähe ausgesprochen wohl. Zigarre?"

Dankend lehnte ich ab und erklärte: „Ich rauche seit drei Jahren nicht mehr."

„Großartig", sagte mein Chef. „Ihren Durchhaltewillen möchte ich haben. Ja, ich bewundere Sie wegen Ihres außerordentlichen Durchhaltewillens."

Mir war nicht mehr wohl in meiner Haut. Während mich der Chef mit weiteren Komplimenten überhäufte, fragte ich mich, ob er vielleicht plötzlich erkrankt sei. Doch sein Gesicht strahlte Ruhe und Zufriedenheit aus.

„Nun denn", sagte mein Chef, „ich möchte Ihnen verraten, warum ich Sie zu mir gebeten habe. Aber ich sehe, daß Sie offenbar etwas bedrückt. Was fühlen Sie im Moment? Versuchen Sie, Ihre Gefühle und Gedanken, die Sie jetzt gerade haben, auszudrücken! Keine Angst, probieren Sie's!"

„Ja, also, eigentlich, ich weiß nicht so recht", stotterte es aus meinem Mund.

„Nur Mut, mir können Sie doch sagen, was Sie im Augenblick denken oder fühlen."

„Also eigentlich, nein, mir ist es eigentlich so ziemlich unbehaglich zumute. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Ihr Verhalten ist so ganz anders, als man's gewohnt ist."

„Sehr gut, ausgezeichnet", rief mein Chef, „jetzt sind Sie auf dem richtigen Weg. Natürlich verstehe ich, daß Ihnen mein Verhalten fremd ist. Ich habe mich in der Vergangenheit oft ganz falsch verhalten. Ich weiß das jetzt. Und nun wird sich das alles ändern."

„Aber.. ."

„Kein Aber", erklärte mein Chef. „In unserem Betrieb gibt es zu viele Konflikte. Diese müssen ausgetragen werden. Denn wir alle sollen uns doch wohl fühlen bei unserer Arbeit. Wir verbringen ja den größten Teil unserer Zeit am Arbeitsplatz. Deshalb werden wir in Zukunft Gruppenaussprachen abhalten. Übrigens wird am nächsten Montag bei uns ein Kommunikations-Designer eintreten. Eine Art Ombudsmann für unseren Betrieb, Sie verstehen. Einfach toll, nicht wahr?"

„Ich weiß nicht so recht", sagte ich, „ich blicke da nicht ganz durch, um ehrlich zu sein."

„Keine Angst, nur keine Angst", trompetete mein Chef lachend. „Auch Sie werden noch einsehen, daß alles viel besser geht, wenn man nur will. Und wir wollen. Wir sind ein fortschrittlicher Betrieb. In Amerika hat man schon ausgezeichnete Erfahrungen mit Kommunikations-Designern gemacht."

„Das freut mich aber", murmelte ich unsicher.

Der Chef bot mir abermals eine Zigarre an. „Nein danke", wehrte ich ab.

„Wissen Sie", sagte mein Chef, „man muß einfach mehr Rücksicht nehmen, die Vorgesetzten gegenüber den Mitarbeitern, die Mitarbeiter unter sich. Aktives Zuhören, sage ich bloß. Aber das werden Sie noch kennenlernen. Man muß seine Gefühle artikulieren können, man muß zu seinen Gefühlen stehen. Jeder Mensch hat Gefühle, zu Hause und am Arbeitsplatz. Gefühle sind zu wichtig, als daß man sie verdrängen dürfte. Klar, das muß gelernt sein. Wir werden uns deshalb in Arbeitsgruppen mit der Transaktionsanalyse beschäftigen und Kommunikationskurse organisieren. Sprechen kann ja jeder, aber psychologisch richtig kommunizieren, das will gelernt sein. Und durch diese Kurse schaffen wir dann den Schritt vom manipulierenden • zum aktualisierenden Ich. Dadurch werden die Konflikte in unserem Betrieb ausgeschaltet, die zwischen-

menschlichen Konflikte. Nun, was sagen Sie jetzt?"

Ich zögerte. „Ich?" sagte ich. „Ich staune. Soll unser Betrieb ein Psychotherapiezentrum werden? Nur noch Aussprachen, nett sein zueinander, keine Arbeit mehr?"

„Aber nein doch", meinte mein Chef. „Ich verstehe ja Ihre Vorurteile. Aber Sie werden diese abbauen. Es wird Ihnen so ergehen wie mir. Als ich vor zwei Wochen in dieses Managementseminar für interne Betriebskommunikation ging, hatte ich ähnliche

Vorurteile. Aber heute bin ich voll von dieser Sache überzeugt. Sehen Sie doch, ich bin während dieses zweiwöchigen Seminars ein ganz neuer Mensch geworden." Ich schwieg.

„Also", sagte mein Chef, „dies alles habe ich Ihnen nur aus Informationsgründen erzählt. Ich hoffe, daß auch Sie sich von unserem neuen Betriebsgeist begeistern lassen. Natürlich sind Sie als Abteilungsleiter einer der ersten, der sich mit unseren Neuerungen vertraut machen darf, Sie sind schon bei unserer ersten Selbsterfahrungs- und Kommunikationsgruppe dabei. Alles klar?"

„Nein", sagte ich, „aber das wird sich wohl noch geben."

„Richtig", meinte mein Chef, dann verabschiedete er sich von mir.

Während ich durch den Gang schlenderte, überlegte ich, warum wohl unser alter Sklaventreiber plötzlich so viel von Menschlichkeit am Arbeitsplatz hält. Plötzlich ging mir ein Licht auf: Zwischenmenschliche Konflikte im Arbeitsalltag vermindern die Produktivität der einzelnen Mitarbeiter, und wenn man diese Konflikte - dank Kommunikations-Designer und Selbsterfahrungsgruppen - ausschalten kann, arbeitet die Belegschaft mehr und besser. ( Die investierte Zeit in Gruppengespräche und das investierte Geld in Kommunikations-Designer und Kurse trägt Zinsen! Einfach großartig, wie man sogar die Menschlichkeit merkantil verwerten kann.

Als ich an meiner Sekretärin vorbei in mein Büro ging, sagte ich zu ihr: „Ein schönes Kleid haben Sie aber heute." Erstaunt blickte sie mich an. „Vielen Dank", sagte sie, „ist sonst alles in Ordnung?"

Lachend erwiderte ich: „Ja, aber ini unserem Betrieb wird jetzt das Zeitalter der Freundlichkeit und der Liebenswürdigkeit ausbrechen. Welche Blumen mögen Sie? Ich möchte Ihnen morgen ein Sträußchen mitbringen." Wütend schlug meine Sekretärin in die Tastatur ihrer Schreibmaschine. Zum Glück rettete mich die Bürotür vor den tötenden Blicken meines Vorzimmerdrachens.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung