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Lieber Grips als Chips?
Die Industrienationen haben eine neue Technologie-Offensive gestartet. Die Europäische Gemeinschaft etwa gibt Milliardenbeträge für Informationsverarbeitung und neue Software-Technologie aus. Die USA wollen in den nächsten fünf Jahren mehr als eine Milliarde Dollar in die Entwicklung ihrer Halbleiterindustrie investieren. Und Japan fördert mit einem Zwei-Müli-arden-Schilling-Programm die Biotechnik.
Für die Zukunft gehe ich davon aus, daß der Gradmesser der Konkurrenzfähigkeit einer
Volkswirtschaft nicht mehr der Motorisierungsgrad oder der Energieverbrauch, sondern die Beherrschung der Informationstechnik sein wird. Damit ist die
Frage entscheidend: Wo stehen Europa, der Ferne Osten und Amerika heute in dieser Branche?
Eines ist unbestritten, wie immer man es ausdrücken will: In der Durchdringung mit Informationstechnik sind die Amerikaner den Europäern und Japanern noch einige Jahre voraus. Aber genausowenig wie die stärkere Motorisierung Amerika dazu geführt hat, daß amerikanische Autos besser sind als deutsche oder japanische, genausowenig sagt die relativ starke Durchdringung mit Informationstechnik etwas über die Kompetenz Amerikas in Forschung und Entwicklung, in der Fertigung und in der Software aus.
Und man muß differenzieren zwischen der Grundlagenforschung, der Fertigung und der Software. In der Grundlagenforschung liegen die Amerikaner klar an der Spitze. Ich glaube, daß ein Grund dafür die ungebrochene Innovationsdynamik des amerikanischen Systems ist
In der Produktion sieht das schon ganz anders aus. Hier sind die Ostasiaten die Schrittmacher. Und wenn wir nicht aufpassen, werden sie bald die einzigen sein, die noch auf der Rennbahn sind. Tatsächlich kommen heute schon mehr Personal Computer und Bildschirme aus Taiwan oder Südkorea als aus Japan. Insgesamt werden in Fernost rund 84 Prozent aller PC's produziert. Was die Großsysteme betrifft: In das Design eigener Architektur investieren die Japaner relativ wenig. Bestehende Systeme werden nachgebaut und in den Importländern Europas mit nationalen Etiketten versehen. Die kreative Software-Entwicklung überlassen sie anderen. Was aber die Fähigkeit betrifft, effizient und in großer Stückzahl zu produzieren - da sind die Japaner nachahmenswert.
Wo führt das alles hin?
In dieser strategisch wichtigen Branche wird wohl keiner der drei Blöcke einem anderen die Führung überlassen. Das ist auch die Begründung für meine These, daß das unterschiedliche Niveau geglättet wird. Jeder lernt zur Zeit vom Besten. Die Japaner müssen dazu in der Forschung aufholen. Ich glaube, daß die Informationstechnik die erste Branche sein wird, in der das japanische Erfolgsrezept der Markteroberung ohne vorgeschaltete Grundlagenforschung nicht durchzuhalten ist.
Aber Japan wird aufholen. Sein Forschungsbudget hat in den vergangenen Jahren schon um zirka sieben Prozent pro Jahr zugenommen. . Die ersten Erfolge zeigen sich in der amerikanischen Patentstatistik. Ein Viertel aller US-Patente ist im vergangenen Jahr an Japaner vergeben worden. Jedem, der nicht vergleichbare Anstrengungen macht - seien es Amerikaner oder Europäer —, wird es schwerfallen, der Konkurrenz aus dem Fernen Osten in der Fertigung standzuhalten. Abschließend drei grundsätzliche Anmerkungen:
• Die von einigen propagierte Formel „Grips statt Chips“ ist naiv und gefährlich. Naiv, weil Fortschritte in der Software und den Anwendungen nur möglich waren durch große Preis- und Leistungssprünge in der Technik. Und das wird sicher so bleiben. Gefährlich, weil sich dahinter das Abdanken des Technologiestandortes Europa und die total strategische Abhängigkeit vom Fernen Osten versteckt.
• Der europäische Binnenmarkt muß auch auf dem Kommunikationssektor Wirklichkeit werden. Es gibt zum Beispiel so viele unterschiedliche Normen und Systeme wie Postgesellschaften. Und es gibt so viele Postgesellschaften wie Länder. Und praktisch jedes europäische Land betreibt eigene Entwicklungsarbeit für das Telefon.
• Das japanische Telecom Unternehmen NTT ist, gemessen am Börsenwert, die weitaus mächtigste Organisation der Welt. NTT wird auch nach Europa kommen— wir können ihr nur durch europäische Konzentration oder Kooperation begegnen.
Der Autor ist Generaldirektor der IBM Österreich. Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Referat im Haus in der Industrie vom 16. November.
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