7022749-1988_51_05.jpg
Digital In Arbeit

Lieber, hochverehrter Simon Wiesenthal,

Werbung
Werbung
Werbung

Zw meinem Schrecken habe ich am 15. Dezember im Fernsehen des ORF (Inlandsreport) nicht nur zu meiner Freude ein wohlgelungenes Simon-Wiesenthal-Porträt zu sehen, sondern zu hören bekommen, daß zwar die zivilisierte Welt von Präsident Reagan abwärts, daß große Universitäten Ihnen anläßlich Ihres achtzigsten Geburtstages alle verdienten Ehren erweisen, daß aber das offizielle Osterreich nichts Derartiges geplant hat.

Ich fühle mich nicht nur als Ihr Kollege, weil Sie ein wesentlicher Schriftsteller sind, sondern auch als einer, der in dem abgelaufenen Jahr achtzig und vielfach geehrt wurde. Das hat mich sehr gefreut, aber jetzt freut mich diese Freude nicht mehr.

Ich möchte gern von jeder Ehrung, die mir zuteil wurde, die Hälfte abschneiden, zu einem Bukett binden und Ihnen zu Ihrem Geburtstag überbringen.

Als Sie sich im Zusammenhang mit dem derzeitigen Herrn Bundespräsidenten so klug und maßvoll äußerten, war ich sehr glücklich und habe gedacht: Jetzt gehört er ganz zu uns, jetzt ist er nicht nur de iure, sondern de facto ein Österreicher, gleichrangig mit den Besten dieses

Landes, wo immer sie stehen mögen.

Auch ich bin (war) nicht immer mit Ihnen einverstanden, und Sie mit mir auch nicht. No und?Ich kenne ein Buch von Ihnen, zu dem ich mit Freude eine rühmende Einleitung geschrieben habe; unter den Büchern meiner Bibliothek befindet sich ein anderes Buch von Ihnen, das Sie mit einer Dedikation versehen haben...

... ich will nicht weiter ins Detail gehen, ich will nur zusammenfassend sagen: Sie sind ein Demokrat.

Und ich frage mich, wozu wir eben ein Antifaschismus-Denkmal enthüllt haben und einen der ganz großen lebenden Antifaschisten nicht nur im Wort, sondern auch in der Tat und im Leid, links — nein: rechts liegen lassen.

In einer Josefstadt-Matinee haben Sie im Gespräch mit Dr. Franz-Ferdinand Wolf unvergeßlich Ihr Leben und Ihren Standort dargestellt. Und es ist schade, daß Sie als Österreicher vom „österreichischen Schicksal“ heimgesucht sind. Das heutige Establishment kann die Benennung einer Wiener Straße nach Ihnen nur verzögern, doch nicht verhindern.

Auch mir ist's, nicht nur apropos Simon Wiesenthal, jetzt oft bitter ums Herz. Doch ich weiß, daß es überall, nicht nur unter politisch Orientierten, sehr, sehr viele Österreicher gibt, ich möchte sie „Masse“ Österreicher nennen, die denken wie ich, die in ehrlicher Zustimmung an Sie denken.

Eine Minderheit sein — das wissen wir beide — ist nicht immer einfach, aber es kann uns auch stolz machen. Sie und ich und die Schar der „klassen“ Österreicher sind viel wert, lieber, verehrter Simon Wiesenthal. Wir können Ihnen nichts verleihen und Sie zu nichts ernennen, aber es möge Ihnen wohltun, daß Sie in guter Gesellschaft sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung