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Lieber illiquid als pleite

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Was wäre die Unterhaltungsliteratur für Jugendliche ohne Karl May? Kaum denkbar, aber möglich, wenn der Autor seinerzeit Mitglied eines alten Sprachvereins gewesen wäre. Er hätte jedoch als Purist, als „Kämpfer gegen die Fremdwörter“, kaum eine Chance gehabt, mit seinen Werken weltbekannt zu werden. In sämtlichen Bänden nämlich geht's quer durch alle Fremd-

wortbereiche, von „Amphibium“ über „humanitär“ zu „Kanaille“ und „Nugget“. Ohne diese sprachlichen Farbtupfer wären seine Bücher fade geworden oder aber doppelt so dick, weil jedes fremde Wort durch eine umständliche Beschreibung hätte ersetzt werden müssen.

Das meint jedenfalls der deutsche Sprachwissenschaftler Uwe Förster aus Wiesbaden. Er zeigt auf, welche sinnvollen Anwendungsbereiche das Fremdwort in der deutschen Sprache heutzutage hat.

„Bestrebungen, die Sprache völlig .rein' zu erhalten, hat es schon oft gegeben. Das erste Mal vor mehr als 350 Jahren“, berichtet Förster. Genau ein Jahr vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ist die „Fruchtbringende Gesellschaft“ in Weimar gegründet worden. Ihre Satzung forderte, daß man die ,.Hochteutsche Sprache mit ihrem rechten wesen und stände, ohne einmischung fremb-der ausländischer Wort aufs möglichste und thunlichste enthalte“. Aber immer wieder geriet die „Reinheit der deutschen Sprache*4

in Gefahr, wie die zahlreichen Sprachvereine beweisen, die im Laufe der folgenden Jahrhunderte stets aufs neue gegründet wurden.

Förster gibt dem Begriff Sprachreinheit neue Inhalte. Er will ihn umfassender verstanden wissen und bringt ihn auf eine verblüffend simpel klingende Formel: Sprache soll verständlich sein. Er hält ein Fremdwort nur dann für untauglich, wenn der Sprechpartner es nicht versteht.

Damit wird die Fremdwortfrage zur Verstehensfrage mit „sozialem Touch“; sie wurde 1970 auf den modischen Begriff „Sprachbarriere“ getauft. „Aber ist es eine echte Sprachbarriere“, fragt Förster, „wenn das Fremdwort für einen notwendigen Wechsel im Ausdruck gebraucht wird?“ Er kennt kein bedeutungsgleiches Wort im Deutschen, sondern nur Fremdwörter für Mundart (Dialekt), Wochenende (Weekend), Preisgericht (Jury), Enthaltsamkeit (Abstinenz) oder Feinkost (Delikatessen).

Der Sprachwissenschaftler beweist auch, daß wir aus den Sprachen aller Nationen, mit denen wir je kulturellen Kontakt hatten, Gastwörter aufgenommen haben. Sie sind stilistisch so treffend, daß sie sogar auf eine ganz bestimmte Epoche verweisen. Dazu gehören Wörter für neue Zivilisationsformen und Lebensgefühle aus der englischsprachigen Welt (Job-Sharing, No-Future-Generation, Suryivaltraining) ebenso wie verbale Atmosphäreträger aus dem Skandinavischen (Loipe, Om-budsman, Smörrebröd).

Auf die dreißiger Jahre der Sowjetunion weist die „Kolchose“ hin, der „Zarewitsch“ auf die Zeit

davor, die französischen „Belle epoque“ in die Jahrhundertwende. Das „Ancien regime“ gehört zu Frankreich vor der großen (Französischen) Revolution (1789), und die .Allongeperücke“ wurde dort schon in der Zeit des Barock aufgestülpt. Die „Latifundien“ führen zeitlich zurück ins alte Rom, der „Areopag“ sogar ins antike Griechenland.

Mit diesen Beispielen will Förster beweisen, daß fremdwortfrei in diesem Zusammenhang kenntnislos bedeutet. Er ist auch der Meinung, daß Dinge, „die fast unsagbar“ sind — das Vokabel dafür ist das aus dem Polynesischen stammende Tabu - leichter durch ein Fremdwort gesagt werden können. Werde heute auch alles, was die Sexualsphäre betrifft, unverblümt beim Namen genannt, so entschuldige der Arbeitgeber den Umstand, daß Lohnauszahlungen auf sich warten lassen, mit den Worten, er sei illiquid, und es drohe ein Bankrott. Mit dem Fremdwort lassen sich offenbar heikle, unangenehme und peinliche Dinge leichter aussprechen.

Daß das Fremdwort auch stilistisch eine Hilfe zu Abstufungen in der Ausdrucksvielfalt sein kann, führt der Sprachwissenschaftler ebenfalls an. Drückt doch der Begriff Elaborat mehr zurückhaltenden Spott aus als das deutsche Gegenstück Geschreibsel. Auch die Gazette hat einen Hauch von Ironie, das Groschenblatt dagegen nicht. Dies sind einige Möglichkeiten, mit dem Fremdwort in der deutschen Sprache sinnvoll umzugehen. Sprachlich und stilistisch bereichernd, soll es seinen Platz in der deutschen Sprache haben.

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