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Lieber ins Wirtshaus

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Mit dem größten Interesse nicht nur, sondern geradezu mit Bestürzung entnehme ich der Nr. 21 der FURCHE, daß Österreichs Zahlungsbilanzdefizit alarmierend wächst und daß vor allem das Zurückgehen des Fremdenverkehrs an diesem Abnehmen des Zunehmens weitgehend Schuld trägt. Unsere Gazetten, mit Ausnahme der FURCHE, haben sich's längst angewöhnt, auch dann von einem Wirtschaftswachstum zu reden, wenn davon eigentlich insofern keine Rede mehr sein sollte, als es, statt zu wachsen, schrumpfte. Die Blätter fügen diesbezüglich höchstens verschämt hinzu, daß es geringer geworden ist. Aber sich so auszudrücken, nur damit die Leute vielleicht doch noch irgend eine Investitions- oder Energieanleihe zeichnen, für die sie, an Kaufkraft, in zwei oder drei Jahren ja doch nur noch die Hälfte von dem zurückbekommen, was sie in dieses glänzende Geschäft gesteckt haben, mag zwar politisch bedingt sein, doch moralisch bedingt ist es nicht. Es ist ebenso unmoralisch, wie — sagen wir — eine Anleihe mit dem Nominale 100 um 85 oder 90 herzugeben und zwischen 8 und 10 Prozent pro Anno dafür zu zahlen.

Unmittelbar vor dem Krach, den „Bernie“ Cornfeld mit seinen Praktiken herbeigeführt hatte, holte ich einen Freund in einem der Cornfeldschen Büros ab und las dort an der Wand ein Plakat etwa des Inhalts: „Sie werden doch nicht so dumm sein, Ihr Geld nicht binnen Jahresfrist verdoppeln zu wollen!“ In diesem

Augenblick sah ich Bernie bereits, von innen her, an den Gitterstäben rütteln. Leider aber kann man nicht auch einen ganzen Staat ins Loch sperren. Man sperrt nicht einmal die Leute ein, die am Zurückgehen unseres Fremdenverkehrs weitgehend schuld sind. Zwischen 1914 und 1918 haben wir zwar unser Geld gleichfalls in Gestalt von kupfernen Führungsringen der gegnerischen Infanterie auf die — in allen Ehren — im Grabenkriege verlausten Schädel geschossen, und daß wir dann den Krieg verloren und daß unser Geld weg war, soll schon ein paarmal vorgekommen sein. Jetzt aber geht unser Geld vor lauter „Wachstum“ unserer Wirtschaft ganz ebenso flöten, und dies scheint mir denn doch, was die Verantwortung betrifft, die der Staat für das Geld seiner Bürger eingegangen ist, nicht mehr tragbar zu sein. Ja der Staat selbst spricht sogar mit ganz der gleichen Schamlosigkeit von der Inflation, die er für das Wachstum seiner Wirtschaft braucht, wie unsere Illustrierten vom Geschlechtsverkehr sprechen, als handle es sich dabei um eine Turnübung oder um ein Abführmittel.

Doch das ist sattsam bekannt. Unbegreiflich ist nur, daß die Leute immer noch ihr Geld auf Sparbücher anlegen oder Anleihen zeichnen. Denn es ist nachweislich, daß unser Geld seit den Steinzeittagen, wo wir's noch in Gestalt von Schnüren aus Kauri-muscheln um den Hals trugen, immer weniger und weniger wert geworden ist. Wären die Men-

schen noch so klug wie früher, so trügen sie ihr Geld immer noch straks ins nächste Wirtshaus und versöffen es dort bis zum letzten Groschen. Denn dann hätten sie immer weit mehr davon als vom Geld selbst oder von ihrem fortwährenden Häuserbauen, das demnächst zu einer Wohnungsinflation führen muß, die sich sehen lassen wird.

So weit, so gut, oder vielmehr nicht gut. Was aber gar den Fremdenverkehr betrifft, so gibt es Völker, die ihn besser aushalten als wir, zum Beispiel die Schweizer, und andere, die ihn weniger gut als die Schweizer aushalten, zum Beispiel uns. Wir haben dazu noch nicht die nötige — vor allem moralische — Übung.

Es geht ganz einfach nicht an, daß sich's ein Ort, wie zum Beispiel Sankt Wolfgang, die unsterblichen Mediodien vom „Weißen Rößl“ vor sich hinsummend, glaubt leisten zu können, Dutzende, Ja Hunderte von Zimmern nicht nur einmal, sondern zweimal zu vermieten, und wenn dann die Zweitmieter daherkommen, sitzen die Erstmieter bereits in den Zimmern und lassen niemand anders hinein, es entsteht, wie etwa 1970, ein sogenannter „Fremdenverkehrsskandal“, so daß Anzeige erstattet werden muß, aber immer noch „liegt“ das Verfahren in Wels, der Geschäftsführer des Fremdenverkehrsverbandes hat inzwischen von der Gemeinde ein anderes Amt erhalten und ein ganzes Haus für sich selber gebaut, der Vizebürgermeister und Obmann des Fremdenverkehrsverbandes hat inzwischen das seine aufgestockt, und wenngleich dem Ort durch die ganze Geschichte ein Defizit von mehreren Hunderttausenden erwachsen ist, spricht niemand mehr von der. Sache, sondern hat den Blick fest auf das zukünftige

weitere „Wachstum“ des Fremdenverkehrs gerichtet, neben welchem Kleinigkeiten wie die oben geschilderte bloß quantites negli-geables einer ins Wirtschafthch-Geniale geratenen Bauerngemeinde sind.

Das Schönste aber ist, daß der ebengenannte „Vize“ und „Obmann“ das vorhin erwähnte Haus nicht nur aufgestockt, sondern daß er es an einer Stelle errichtet hat, an der, laut Befund des Bauamtes der Landesregierung, überhaupt kein Haus errichtet werden durfte; und als die Sache weiterging und der Verwaltungsgerichtshof dahingehend entschied, daß das Haus abgetragen werden müsse, kamen die „biderben Pau-ren“ der Landgemeinde mit einem neuen Flächenwidmungs-plan daher, gingen über das oberstgerichtliche Urteil ganz einfach hinweg und bildeten sich ein, nun könne das Haus eben doch stehenbleiben...

So geht das alles eben nicht. Der Fremdenverkehr, so heilig er uns auch ist, ist trotzdem keine Offenbarung wie in anderen heiligen Fällen, Begnadung genügt hier nicht, sondern er will ganz einfach studiert sein, und wird er nicht studiert, so darf man sich auch nicht wundern, wenn er in einer Welt, in der, sonst, bekanntlich alles immer besser und besser wird, immer weiter und weiter zurückgeht.

Nun schütze uns Gott bloß noch vor der weiteren Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche! Medizinisch und sanitär geschickt genug, sie aus dem Burgenlande herauszulassen, waren wir ohnedies schon.

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