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Lieber Linke als Schiiten

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Im Libanon hat sich der von Saudi-Arabien und den USA mit den Syrern vermittelte Waffenstillstand im großen und ganzen bewährt: Die Feuerpause wird nicht nur in den durch Israel zu seinem Neujahrstag 5744 anfangs September geräumten Schuf- Bergen, sondern auch in Beirut und dem nördlichen 1 Tripolis weitgehend eingehalten.

Leidtragende in diesen Tagen des Aufatmens für alle Libanesen sind hingegen wieder einmal die Palästinenser. Syrien benützt die gesicherte Waffenruhe, um sich der Anhänger von Jasser Arafat in seiner Besatzungszone zu entledigen. Ähnlich geht seit Anfang Oktober der Drusenführer Walid Dschumblat vor. Dabei war ihm bei seinem dreiwöchigen Kampf um das Schuf und einen Zugang der Drusenregion zum Meer von der PLO ganz entscheidend geholfen worden.

Der nach der Waffenruhe gebildete Viererrat aus Vertretern von Regierungsarmee, maronitischen Kataeb-Milizen (Phalangen), Drusen und Schiiten hat sich bereits mehrmals getroffen. Auch hier ist man sich über einen Zwangsexodus der Rest-PLO aus Libanon einig und versucht den Palästinensern nach wie vor die fast alleinige Schuld an allen Schrecken für die Libanesen zwischen Februar 1975 und September 1983 in die Schuhe zu schieben.

Ähnlich haben inzwischen auch Außenminister Elias Salem vor der Vollversammlung der UNO und der maronitische Kirchenführer, Patriarch Antun Cho- reisch, auf der Bischofssynode in Rom getönt.

Wenig ist hingegen noch in der viel wichtigeren Richtung geschehen, die Feuerpause zu einem festen inneren Frieden auszubauen. Immerhin haben sich die Unterhändler auf die Wiedereröffnung der Küstenstraße von Beirut nach dem Süden, die Heimkehr der Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten und endlich auch darauf geeinigt, daß das Internationale Komitee vom Roten Kreuz die über tausend Leichen vom September einsammeln darf. Bisher waren die sterblichen Überreste von Regierungssoldaten und Drusen, Maroniten und Kämpfern der schiitischen Amal-Miliz zwischen den Fronten den Schakalen und Aasgeiern preisgegeben.

Ebenso einig ist man sich auch darüber geworden, daß die politische Basis der Zentralregierung von Beirut verbreitert werden muß. Präsident Amin Dschumael aus dem rechten Lager der maronitischen Kataeb hatte sich zwar erst nach den Verlusten seiner Mi lizen im Schuf und unter massivem Druck der Amerikaner überhaupt dazu bereit erklärt, nach der von ihm erbetenen Feuereinstellung auch Verhandlungen mit seinen politischen Widersachern aufzunehmen. Nach dem Rücktritt seines islamischen Ministerpräsidenten Schafik al-Wazzan soll die im wesentlichen maroni- tisčh-sunnitische Führungskoalition von Beirut um die Drusen in weiteren Schlüsselstellungen erweitert werden.

Damit würde sich die politische, geografische und militärische Position von Präsident Dschumael erheblich verbessern. Und für die drusische Seite ist es nur zu verlockend, im meistens dissonanten Konzert der vielen Religions- und Volksgemeinschaften Libanons endlich eine erste Geige zugeteilt zu erhalten: betrachten sie sich doch als älteste Gruppe und erheben damit auch den Anspruch, die eigentlichen Landesherren zu sein.

Religiös gesehen, sind die Drusen — die ebenfalls der größeren schiitischen Glaubensfamilie angehören — in Libanon zwar kaum mehr als 200.000 Seelen stark. Seit den Tagen von Dschumblat senior, dem Gründer der „Progressiven Sozialisten“, kontrollieren sie jedoch die gesamte libanesische Linke quer durch den sonstigen Dschungel der vertikalen Bindung aller öffentlichen Ämter an eine bestimmte Religionszugehörigkeit.

Dieser sogenannte „Nationale Pakt“ aus den zwanziger Jahren des Grand Liban wird also zugunsten der Drusen revidiert werden. Hingegen wollen es die gegenwärtigen Machthaber aus dem maronitischen und sunnitischen Lager sowie ihre baldigen drusischen Partner sichtlich weder auf eine Gesamtrevision des konfessionellen Proporzsystems nach dem derzeitigen Zahlenverhältnis, noch auf die Einführung eines überhaupt säkularen Regierungssystems ankommen lassen.

So wird es wahrscheinlich zu gar keiner „Konferenz für die nationale Aussöhnung“ mehr kommen. Auf ihr gäbe der maronitische Außenseiter Raymond Edde mit seinem Ruf nach der freien Zugänglichkeit aller staatlichen Positionen den Ton an. Sicher wird für Libanon einmal die Stunde einer solchen Säkularisierung schlagen müssen, im Grunde je früher desto besser. Im Moment scheinen sich aber alle Seiten vor einem solchen Sprung ins Ungewisse zu fürchten.

Dasselbe gilt für eine totale Neuverteilung des Proporzsystems. Sie würde die Ämter des Staats-, Armee- und Geheimdienstchefs in die Hände von Libanons Schiiten bringen, die nach Chomeinis Pfeife tanzen.

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