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Digital In Arbeit

Lieber mehr Basisarbeit

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Wie sehr die geplante Novelle zum Arbeitsverfassungsgesetz von Sozialminister Alfred Dallinger wichtige Fragen offenläßt, beweist ein Club-Abend des steirischen ÖAAB.

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Wie sehr die geplante Novelle zum Arbeitsverfassungsgesetz von Sozialminister Alfred Dallinger wichtige Fragen offenläßt, beweist ein Club-Abend des steirischen ÖAAB.

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Originelle Einfälle zugunsten eigener Imagepolitur zu haben und vorzustellen, gehört mit zur Strategie eines geschickten Politikers. Als solcher versteht sich auch Sozialminister Alfred Daliinger, wenn er seine Katze aus dem Sack läßt: Er legt ein Maßnahmenpaket vor, das die soziale Sicherheit einschränkt. Gleichzeitig lanciert er eine Novelle zum Arbeitsverfassungsgesetz, die zum überwiegenden Teil einer Erweiterung der Mitbestimmung dient.

Wie sehr diese geplante Novelle wichtige Fragen sowohl inhaltlich als auch in der Vorgangsweise offenläßt, bewies Bundesobmann Herbert Kohlmaier im Rahmen einer Diskussionsrunde, zu der der „Club AAB” des steier-märkischen Arbeiter- und Angestelltenbundes ins Grazer Bildungszentrum eingeladen hatte. Koreferenten waren der Leitende Sekretär des ÖGB, Fritz Verzet-nitsch, und Martin Mayr, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der Bundeswirtschaftskammer. „Die Wirtschaft sind wir alle”, plagiierte Verzetnitsch als Werbung für die gesammelten Wünsche seines Ministers und gleichzeitig als Zuckerbrot für die Betriebsräte.

Das Arbeitsverfassungsgesetz in seiner heutigen Form trat vor mehr als zehn Jahren in Kraft. Zu einer Zeit also, als Technik und wirtschaftliches Wachstum noch alle Möglichkeiten zu bieten versprachen. Diese Euphorie ist mittlerweile einer Ernüchterung gewichen. Die technische Entwicklung rolle unausweichlich, und man versuche nun, so Verzetnitsch, den Einsatz neuer Technologien durch Mitbestimmung zu steuern.

Das Grundanliegen der Mitbestimmung stehe, wie Herbert Kohlmaier eingangs betonte, in jedem Fall außer Streit. Es sei in der christlichen Soziallehre und im partnerschaftlichen Denken verankert. Im Sinn der Punktation des Sozialministers hingegen erscheine die Mitbestimmung all-

Zwangsbeglückung zusehr auf Dallinger selbst zentriert. Meinungsumfragen jüngeren Datums hätten ergeben, daß das diesbezügliche Anliegen der Arbeitnehmer zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder als besonders groß noch als vordringlich empfunden werde. Somit entstehe der Verdacht, daß die einschränkenden Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit (Pensionsverkürzung, abgeänderte Bemessungsgrundlage) eines Trostpflasters bedürfen. Eine Reform der Arbeitsverfassung brauche, wie jede andere gesetzgeberische.Maßnahme, eine sachliche Fundierung. Eine Sammlung von Gewerkschaftswünschen allein genüge nicht in einer Demokratie. Betrachtet man eine schrittweise Erweiterung und Vertiefung der Mitbestimmung, so müßten sich alle, die diese Schritte mitmachen, über das Ziel einig sein oder zumindest ihre Ziele deklarieren. Gesellschaftspolitisch betrachtet, könnten sich laut Kohlmaier zwei Zielperspektiven ergeben:

• Die Herstellung einer „Wirtschaftsdemokratie” oder

• die allmähliche Umwandlung des Dienstverhältnisses vom „Verkauf der Arbeitskraft” zu einer qualitativ anderen Rechtsform mit Elementen des Gesellschaftsvertrages.

Was versteht man laut Kohlmaier unter „Wirtschaftsdemokratie”? Die am Gewinn orientierte Unternehmensentscheidung wird durch eine an anderen Kriterien orientierte politische Entscheidung ersetzt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß ein Unternehmen weder zivil- noch strafrechtlich haftbar gemacht werden kann, da ihm ja betriebswirtschaftliche Entscheidungen aufgezwungen werden. Solche erzwungenen Entscheidungen treffen sowohl Großbetriebe als auch Kleinbetriebe. Auf diese möchte der Sozialminister den Kündigungsschutz ausdehnen, was besagt, daß auch der kleine Unternehmer zur Aufrechterhaltung eines Dienstverhältnisses gezwungen wäre.

Die sogenannte Wirtschaftsdemokratie könnte aber auch das Rollenbild des Betriebsrates weitgehend ändern: Dieser gerate in eine Art Arbeitgeberrolle und wäre in zunehmendem Maße dazu angehalten, auch unpopuläre Maßnahmen gegenüber der Belegschaft zu vertreten.

Die zweite Zielsetzung, die völlige Umgestaltung des Dienstverhältnisses, bedingt eine Abänderung des Arbeitsvertragsrechtes in die Richtung einer systematischen Förderung der Beteiligung des Arbeitnehmers. Eine Grundströmung in Richtung Entpoliti-sierung und Privatisierung zeichnet sich bereits ab (Entdiskrimi-nierung der Aktie).

Reformbedürftiger als alles bisher Genannte aber erscheint die Struktur der Basisdemokratie, wie es ein Betriebsrat der Vereinigten Edelstahlwerke (VEW) formulierte:

• Die Koexistenz von christlicher und sozialistischer Fraktion innerhalb der Gewerkschaft sollte dem ÖGB ein vordringliches Anliegen sein.

• Mehr demokratisches Reglement im Betriebsrat sollte das rücksichtslose Ausspielen der Mehrheit ersetzen und kleineren Fraktionen helfen, an der Meinungsbildung mitzuwirken.

• Durch die Einführung des amtlichen Stimmzettels in allen Betrieben sollte die Betriebsratswahl mehr Objektivität erhalten.

• Der Beitritt zum ÖGB sollte mehr der freien Entscheidung überlassen werden.

Hier der Betriebsalltag, dort das Sozialministerium. Des einen Beglückungstendenzen müssen nicht die Anliegen der anderen sein. Die Basis braucht Selbstverwirklichung auf ihre Weise. Ihr scheint die Haut des guten Arbeitnehmervertreters näher zu sein als das Hemd mit 29 Punkten.

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