6875415-1978_42_04.jpg
Digital In Arbeit

Lieber nicht wählen als die Partei wechseln

Werbung
Werbung
Werbung

Die Interpretation von Wählen war immer schon ein Kunststück, und man versteht, daß es vom Standpunkt einer Partei besonders dann schwierig ist, sie zu interpretieren, wenn sie verlor. Immerhin muß man zugeben, wenn man unvoreingenommen die Arbeiter-Zeitung liest, daß man dort einen ehrlichen, was heißt, auch weitestgehend selbstkritischen Versuch unternahm, mit dem Problem der Verluste fertigzu-werden, zum Unterschied etwa zu Kanzler Bruno Kreisky, dem ein selbstkritisches Moment hinsichtlich der Rolle seiner eigenen Person völlig abzugehen scheint.

Da das Verhalten des Wählers, hat er nun gewählt oder sich der Wahl enthalten, Motiven entspringt, ist es ein durch und durch psychologisches Problem, im engeren Sinne ein politisch-psychologisches.

Nun wurde im Zusammenhang mit der Interpretation des Wahlverhaltens nach Motiven geforscht, jedoch hiezu eine ganze Reihe von Naivitäten geäußert, die es nahelegen, daß man sich fachkundig mit ihnen befaßt. So ist etwa die Frage, war es das Wetter oder Protest? insofern naiv, als das eine ja nicht das andere ausschließt.

Denn es ist eine sehr grundlegende Fehlannahme, daß menschliches Handeln von einem, ja auch nur von wenigen Motiven bestimmt wird. Praktisch in jedem Falle wird das Handeln von einer ganzen Reihe von Motiven determiniert, positiven und negativen, bewußten und unbewußten.

Und Wahl oder Nichtwahl einer Partei, wenn auch in einem bestimmten Zusammenhang (Landtag) wird nicht allein durch Wetter, Parteivorsitzende und Spezialprobleme bestimmt, sondern von einem ganzen Bündel von Motiven; wobei jedoch die Frage der jeweiligen Prävalenz, das heißt, der Wirkungsintensität der einzelnen Motive, sich sicher nicht quantifizieren läßt. Denn natürlich wirken bei den einzelnen Wählern die Motive insofern verschieden, als bei einzelnen dies, bei anderen jenes Motiv mehr ausschlaggebend ist.

Nehmen wir als Beispiel das schöne Wetter, das natürlich in Wien, wo keine Wahlpflicht besteht, sicherlich wichtig war. Es stimulierte natürlich nicht zum Wählen einer bestimmten Partei, vielmehr zum Nichtwählen irgendeiner Partei. Aber das Wetter allein langt als Motivation auf keinen Fall. Denn ein zur SPÖ neigender Wähler wußte ebenso wie einer, der einer anderen Partei nahestand, was er „seiner“ Partei antat, wenn er nicht wählte. Und damit kommt in jedem Fall ein Stütz- oder Hemmungsmotiv dazu. Ein Stützmotiv, wenn er ohnehin nicht zur Wahl gehen wollte, ein Hemmungsmotiv, weil er vielleicht ein schlechtes Gewissen hatte, wenn er nicht ging.

Nun fragt es sich, welche Stützmotive ein SPÖ-Nichtwähler (so wollen wir jene nennen, die die SPÖ, wäre das Wetter nich so schön gewesen, gewählt hätten) gehabt haben kann,

um nicht zu gehen, und welche ein ÖVP-Nichtwähler haben konnte.

Damit kommt sofort die ganze übrige Motivationsbatterie ins Spiel. Ohne in einer solchen Kurzstudie auch nur annähernd ihren ganzen Fächer entfalten zu können, ist zunächst folgendes zu sagen:

Die SPÖ-Nichtwähler sind unter anderem das Hoffnungspotential der ÖVP, FPÖ und sogar der KPÖ. Denn in Wien ist traditionelle Parteitreue, also ein konservatives Wahlverhalten außerordentlich verbreitet, die Wechselwählerschicht zwar wachsend, aber wohl auch geringer als etwa in der Steiermark oder in Vorarlberg.

Bevor man eine andere Partei wählt als die, die man traditionell wählt, wählt man zunächst gar nicht, weil das mit geringeren Schuldgefühlen verknüpft ist. In einem weiteren Wahlgang jedoch ist das Schwellenerlebnis zur anderen Partei hin erheblich geringer geworden. Gelingt es der SPÖ nicht, ihre alten Wähler von einer Änderung ihrer Grundhaltungen zu überzeugen, kann es sein, daß ein erheblicherTeil, vorallem zur ÖVP, abwandert.

Anders liegt die Situation bei den ÖVP-Nichtwählern. Die Neigung dieser Leute, nicht zu wählen, wurde zunächst primär von der entmutigenden Situation in Wien bestimmt. Denn im Gegensatz zu den mythi-

sehen Erwartungen, die man von Seiten des Liberalismus von der Konkurrenz hegt, muß man psychologisch sagen, daß Konkurrenz nur dort stimuliert, wo die Ausgangslage der Konkurrierenden gering differiert. Eine allzugroße Differenz in der Ausgangslage entmutigt dagegen. Und ein ÖVP-Wähler sagte sich etwa: Es ändert sich ohnehin nichts, in Wien hat die SPÖ eine viel zu solide Mehrheit.

Daß dieser Effekt, der natürlich erst recht für die FPÖ-Wähler maßgebend war, diesmal bei der ÖVP nur in verhältnismäßig geringem Maße sich als wirksam erwies, hat nun mit weiteren Motiven zu tun.

Einerseits waren die Aggressionen gegen die SPÖ und speziell verschiedene Führer dieser Partei stark intensiviert worden. Man spürte einen ganz anderen Wind wehen, und weiters überzeugte der neue Mann in Wien (Erhard Busek) mit seinen Detailprogrammen (Pro Wien), daß er durchaus fähig war, der SPÖ in Wien wenigstens sehr lästig zu fallen.

Bei den Pro- und Kontra-Motiven tauchte auch die Frage auf, ob Bundes- oder Landesmotive wirksam waren. Die Antwort kann nur lauten: zweifellos beide. Eine Diskussion kann vernünftigerweise nur darüber geführt werden, in wie hohem Grad die einen oder die anderen ins Gewicht fielen.

Nun verstärken sich Bundes- und Landesmotive besonders dann, wenn sie auf verschiedenen Ebenen einen analogen Effekt bewirken. So erzeugte die Diskussion um die nicht vorhandenen Androsch-Millionen ein analoges Gefühl wie bei den Details über Grundstückstransaktionen der Gemeinde Wien, so daß sich beide Wirkungen akkumulieren.

Und dabei muß man sich klar sein, daß auch Kreisky selbst erhebliche Niederlagen einstecken mußte. Nachdem Ägypten im Camp David zu einem Separatfrieden mit Israel bereit war, hat Kreisky seine Nahostrolle als jüdischer Kronzeuge gegen Israel ausgespielt, und Sadat ließ ihn ebenso links liegen wie in Österreich Alexander Götz, der, da er bloß HJ-Führer während der NS-Zeit war, ein anderes Verhältnis zu Kreisky hat als der Ex-SS-Mann Peter, der die Ästimierung und Akzeptierung durch einen Ex-Juden außerordentlich schätzen mußte.

Kreisky, aber auch seine „Kronprinzen“ sind nicht mehr das, was sie waren und vieles mehr.

Jedenfalls gibt es in der Motivationsbatterie der Wiener Wähler keir neswegs nur einen „Hauch von Bundespolitik“ (Taus), sondern einen ganz schönen Wind.

(Der Autor ist Lehrbeauftragter für politische Psychologie an der Universität Wien.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung