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Liebesbrief an den Ehemann

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Gemalt von Oskar Kokoschka, bewundert von Karl Kraus und Egon Friedell, Arnold Schönberg, Anton v. Webern und Alban Berg, war Peter Altenberg eine der wunderlichsten Figuren im alten Österreich. Seine Existenz eines Cafehausdichters, zu dessen Freunden Menschen oberhalb und unterhalb der bürgerlichen Sphäre gehörten, hat seit seinem Tod 1919 mythische und legendäre Züge angenommen.

In seiner epigrammatischen Prosa ist das Lob schöner und absonderlicher Frauen ein immer wiederkehrendes Motiv. Die Extravaganzen seines Bohemelebens mußte Altenberg Ende 1912 mit dem Verlust der Freiheit hoch bezahlen. Er wurde auf Veranlassung seiner angesehenen, reichen Familie in die Wiener Irrenanstalt Steinhof gebracht. Vier Monate später entstand der Brief, den Maria Schreker aus dem Nachlaß ihres Mannes Franz Schreker bewahrt hat.

Das Konzert und dessen Generalprobe, von der Altenberg spricht, fanden am 31. März 1913 im Wiener großen Musikvereinssaal statt. Es führte zu einem der turbulentesten Skandale der Epoche. Arnold Schönberg dirigierte Werke von Webern, Alexander von Zemlinsky, seine eigene Kammersymphonie opus 9 und, als Uraufführung zwei Orchesterlieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg, komponiert von Alban Berg. Dabei kam es zu so heftigen Protesten der Hörer, daß das Konzert abgebrochen werden mußte. Der Abend endete mit einer Schlägerei, diese mit einem Prozeß.

Altenberg hatte für den Tag Ausgeherlaubnis. Offenbar begleitete ihn ein Aufseher, denn er wurde „in die Vormittagprobe“ gebracht. Er muß um diese Zeit auch einen Abend, vielleicht den des Konzertes, außerhalb der Anstalt verbracht haben, denn Webern schrieb dem Freunde Berg am 7. April: „Denk an... den herrlichen Abend mit Altenberg.“

Der Brief ist ein menschliches Dokument von echt Altenbergscher Originalität. Ein Dichter und Frauenverehrer sieht ein weibliches Gesicht, und „dieses zarte, merkwürdige, ein wenig weltentrückte Antlitz“ inspiriert ihn zu einem schwärmerischen Lobgesang, den er an den Ehemann der Bewunderten' richtet. Er denkt sie sich in einer ganz anderen Umgebung und stellt dem Musikvereinssaal, „diesem schlimmen Prunksaale“, ein „Märchen-Paß-Ho'tel“ der Dolomiten entgegen. Er schildert ihren Hut und vergleicht ihren Blick mit dem von Rehen, Gazellen, Antilopen. Er spricht seinen Segen aus über diese seltene, zarte Blüte, die „Menschheitsorchi-

dee“. Maria Schreker war damals 20 Jahre alt, hat sich aber ihre eigenartige Schönheit noch bis in die Zeit der Reife bewahrt. Sie fand bis 1933 als interessante Darstellerin der Frauenpartien in Schrekers Opern große Erfolge.

Altenberg war mit den Musikern der Schönbergschule befreundet und hat Schönberg noch in Mödling, also zwischen März 1918 und seinem Todesjahr 1919, besucht. In der Bibliothek des Komponisten konnte er alle seine Bücher finden. Er galt wegen dieser persönlichen Bindung auch als Freund der Neuen Musik. Der Brief an Schreker belehrt uns anders. Von „dieser letzten .modernen Musik'“ verstehe er nichts. Wagner, Wolf. Brahms, Dvofäk, Grieg, Puccini, Richard Strauss seien ihm noch verständlich.

Erschütternd ist der tragische Kontrapunkt, der die schwärmerische Lobpreisung begleitet. Altenberg nennt sich einen „Schiffbrüchigen des Daseins“ und am Schluß einen „lebendig Verstorbenen“. Der „heilige Gruß“, den er über Schreker an dessen Frau richtet, ist ein Ruf de profundis.

den 31. 3. 1913 Sehr geehrter Herr Franz Schreker,

ich glaube es bestimmt, ich hätte ein Recht, an Sie dieses zu schreiben. Ich bin ein „Schiffbrüchiger des Daseins“, in jeglicher Beziehung, durch unglückselige Verkettungen und tragische Verwicklungen, im „Steinhof“ interniert, seit vier Monaten. Nun wurde ich heute, Montag, 31. 3., in die Vormittagprobe des

Schönberg-Alban-Berg-Webern-Concertes gebracht.

Da sah ich zum ersten und wahrscheinlich zum letzten Male Ihre Frau. Ich verstehe nichts von dieser letzten „modernen Musik“, meine Gehirn-Seele hört, spürt, versteht nur noch Richard Wagner, Hugo Wolf, Brahms, Dvorcak, Grieg, Puccini, Richard Strauss! Aber das moderne Frauenantlitz verstehe ich wie die Bergalm und meinen geliebten Semmering. Deshalb gestatte ich mir, meinen Segen auszusprechen über dieses zarte, merkwürdige, ein wenig weltentrückte Antlitz Ihrer Frau! Sie trug einen glatten schwarzen Strohhut mit einem geblümten Bauernbande. Ich sah in diesem schlimmen Prunksaale eine zarte, zarte, zarte Blüte...

Der Schluß des Briefes lautet:

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