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Liegt die Zukunft in der Vergangenheit?

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Schon im Jahre 1958 war Schweden Schauplatz eines internationalen Bewerbs. Damals schlug Schweden in einem emotionsgeladenen Spiel Deutschland und entthronte es als Weltmeister. Was skurille Folgen hatte: in Deutschland verschwand als Protest der kulinarische Vorspeisenteller „Schweden- Platte" von den Speisekarten. Wenn dieses Beispiel Schule macht, was könnte man da in Österreich noch essen? Das österreichische Nationalteam glänzt seit Jahren durch Erfolglosigkeit. Vielleicht lohnt ein Blick zurück in die Vergangenheit.

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Schon im Jahre 1958 war Schweden Schauplatz eines internationalen Bewerbs. Damals schlug Schweden in einem emotionsgeladenen Spiel Deutschland und entthronte es als Weltmeister. Was skurille Folgen hatte: in Deutschland verschwand als Protest der kulinarische Vorspeisenteller „Schweden- Platte" von den Speisekarten. Wenn dieses Beispiel Schule macht, was könnte man da in Österreich noch essen? Das österreichische Nationalteam glänzt seit Jahren durch Erfolglosigkeit. Vielleicht lohnt ein Blick zurück in die Vergangenheit.

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In Österreich war das Fußballspiel ursprünglich bürgerlich dominiert und wurde aus dem Mutterland des Fußballs, aus England, quasi importiert. Der First Vienna Football Club reichte 1894 als erster österreichischer Fußballverein seine Satzungen nur einen Tag vor dem Vienna Crik-ket and Football Club ein. Die Träger der beiden Vereine waren vorerst fast ausschließlich in Österreich lebende Engländer.

Als Protektor der Vienna firmierte das Bankhaus Rothschild, gespielt wurde in den Rothschild- Gärten. Der Hegemonie der Ober- und Mittelschichten des frühen Fußballsports in Österreich entsprach, daß im Vienna-Dreß in der Folge mehrere Großindustrielle antraten, zu den fußballbegeisterten Jungkickern zählten zwei Erzherzöge. Ein Satzungsparagraph schloß vorerst „Arbeiter, Handwerker undTaglöhner" vom aktiven Spiel aus. Als der Wiener Sportverein WAC 1897 die Einführung einer Fußballsektion überlegte, versuchte der Prager Klub DFC von der Salonfähigkeit des neuen Sports zu überzeugen: „Die DFC-Spieler überließen einander den Ball mit galanten Verneigungen und die Darbietung glich weit eher einem friedlichen Schäferspiel im Zeitalter des Rokoko, als dem, was sich später auf den Praterwiesen abspielen sollte."

Dem vorwiegend bürgerlichen Charakter des frühen Fußballspiels entsprach ein nur nach Hunderten gezähltes Publikum. Der Sportklub Vienna erhöhte beispielsweise im April 1897 den Eintrittspreis zu seinem Spiel gegen die Cricketer von zehn auf 20 Kreuzer, „um den Andrang abzuschwächen und die Zahl der Zuschauer zu vermindern". Fußball im öffentlichen Wettspiel wurde damals von erwachsenen Männern, Mitte zwanzig bis vierzig Jahre alt, gespielt. Sie setzten ihre Körperkraft ein - so galt es als besonders kraftvoll und männlich den Ball möglichst hoch in die Wolken zu jagen.

Hutmode am Fußballplatz

Die Spielerkleidung ließ repräsentative und selbstdarstellerische Elemente erkennen. Viele Feldspieler benutzten Schärpen oder eine Kappe: nach Prager Vorbild eine Zipfelmütze, nach Berliner Vorbild Matrosenkappen oder Tellermützen; auch Barette tauchten auf oder ein roter Fez. Sportlich zählten die Prager, Wiener und Budapester Spieler damals bereits zur Elite. Die Wiener Städteauswahl schlug Berlin 1906 8:1 und 1908 4:0, die Prager Stadtauswahl wurde 1908 mit 5:0 heimgeschickt.

Bereits ab der Jahrhundertwende war der Idealtypus bürgerlicher Spielkultur einer Erosion ausgesetzt. Damals wurde der 1. Wiener Arbeiter Fußball- Club gegründet, der sich bald in SC Rapid umbenannte. Das Alter der Spieler wurde nunmehr langsam niedriger, die Verhaltensweisen weniger gesetzt. Konservative Höflich-keits- und Umgangsformen, der Auftritt angesehener Personen aus Adel und Hochfinanz waren vorbei. Frauen verschwanden weitgehend von Vereinsphotos und aus dem Publikum, zur Jahrhundertwende waren sie noch umworbener Aufputz auf Tribünen. Die Zahl der Zuschauer nahm zu. In der Folge wurde auch bei den damaligen Matches der eine oder andere „Skandal" gemeldet, Hooliganism und Rowdytum waren aber unbekannt.

Zum Paradigmenwechsel kam es so richtig erst nach 1918. Fußball wurde zum Massensport, sowohl was das Publikum als auch was die Aktiven anlangte. 1923 wollten mehr als 85.000 Zuseher auf der Hohen Warte einem Länderspiel gegen Italien zusehen. Der nunmehr ungemein populäre Fußballsport bekam in den zwanziger Jahren massenmobilisierenden Charakter. Andererseits hielten Foulspiel und Ausschreitungen auf den Fußballplätzen Einzug.

Die Zwischenkriegszeit war überdies die wohl erfolgreichste Phase des österreichischen Fußballs. Österreich - Schottland 5:0, Österreich - Deutschland 6:0 in Berlin, Österreich - Ungarn 8:2 und Österreich - Belgien 6:1, um nur einige Spielresultate der frühen dreißiger Jahre zu nennen. Dies führte zum Mythos „Wunderteam", und als Regisseur finden wir einen weiteren Mythos. Matthias Sindelar, Sohn eines „Ziegel-Behm" und noch in Mähren geboren, aufgewachsen als Gassenjunge und Schlosserlehrling, schaffte die Karriere zum gefeierten Stürmerstar und zum beneideten Idol von der Arbeitslosigkeit bedrohter Massen.

Kaffeehausliteraten am Ball

Andererseits war Sindelar auch Teil der speziellen Wiener Fußballszene, die mit Elementen der Boheme und Kaffeehauskultur durchsetzt war, deren sportlicher Kristallisationspunkt die Wiener Austria und deren gesellschaftlicher das Wiener Ringcafe waren. Sindelar und Wunderteam bewegten Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Essayisten wie Anton Kuh, Journalisten wie Egon Erwin Kisch, der nicht nur politisch, sondern auch auf dem Fußballplatz links außen stand. Das Ableben Sindelars am 23. Jänner 1939 rief Trauer hervor, die besonderen Umstände heizten die Legenden- und Mythenbildung an. Die Frage Mord, Selbstmordoder Unglücksfall blieb von der Faktenlage her ungeklärt. Friedrich Torberg, in seiner berühmten „Ballade auf den Tod eines Fußballspielers", wie auch der Theaterkritiker und Schriftsteller Alfred Polgar gingen demgegenüber vom Selbstmord des Fußballers aus, der im Dritten Reich nicht mehr leben wollte.

Unter nationalsozialistischer Herrschaft war der eigenständige österreichische Fußballsport inexistent jüdische Spieler und Funktionäre wurden ausgeschlossen, die Organisation dem deutschen Muster angeglichen. Nach 1945 gelang es eigentlich binnen kurzer Zeit wieder an das Niveau der Zwischenkriegszeit anzuknüpfen. Massen bevölkerten wieder den Fußballplatz, die fünfziger Jahre brachten einen besonderen sportlichen Höhenflug.

Unvergessen das Match am 13. Dezember 1950: Österreich gelang es damals, einer der stärksten europäischen Fußballmannschaft, nämlich Schottland auf eigenem Boden eine Niederlage zuzufügen. Unvergessen auch die Glanzleistung des Wiener Torhüters Walter Zeman, die ihm den Beinamen „Panther von Glasgow" eintrug. In der Folge zählte Österreich zu den besten kontinentaleuropäischen Teams und zu den Favoriten der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz.

1954 war in jeder Hinsicht ein wichtiges Datum für den Fußballsport: zum einen wurden erstmals die Spiele via Fernsehen übertragen, ein richtungweisender Prozeß. Zum anderen war es für Österreich nach 1934 die erste Teilnahme an einer WM, die erste Möglichkeit auf dem Spielfeld zu reüssieren. Der Co- Favorit Österreich stieß bis ins Halbfinale vor. Schließlich verlor das österreichische Team gegen Deutschland mit 1:6. Nach der hohen Niederlage titelten die Zeitungen „Schmach" und „Debakel". Der Sportreporter Kurt Jesch-ko beschrieb die Atmosphäre nach der Niederlage: „Ich sah Männer und Frauen mit Tränen in den Augen, mit Tränen der Wut und der Enttäuschung. Es war ein Krampf, der alle lähmte... Mit trüben Gedanken fuhren wir vom Stadion weg in eine regentrübe Nacht hinein, die so gut zu unserer Stimmung paßte."

Nach dem Erreichen des dritten Platzes und größten Erfolges in der österreichischen WM-Geschichte überwogen letztendlich doch positive Emotionen, der Mannschaft wurde in Wien ein freudiger Empfang bereitet. Klar wurde auch, daß die Niederlage gegen Deutschland besonders schmerzte.

Neuer Erzfeind Deutschland

Die Rolle des Sportpatriotismus beim Aufbau und Ausbau der Österreich-Identität in der Zweiten Republik darf nicht unterschätzt werden. Ganz wichtig war die Abgrenzung gegenüber Deutschland. Österreich hatte mit der Selbstdarstellung als 1938 besetztes und quasi nicht-deutsches Land Vorteile in seiner Behandlung durch die Siegermächte und in Hinblick auf sein Image in der Weltöffentlichkeit zu erwarten. Ab den sechziger Jahren befand sich Österreich überdies in einer zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Bundesrepublik Deutschland. Dies verschärfte den emotionalen Konflikt auf dem Fußballplatz.

Die Bilanz zeigt, daß Österreich gegen den neuen „Erzfeind" nach 1945 meist sieglos blieb, 13 Niederlagen standen zwei Siegen gegenüber. Dies bedingte eine Arroganz der deutschen Mannschaften, die gleichzeitig mit der sportlichen Überlegenheit zusammentraf. Dem standen Minderwertigkeitsgefühle und - als Kompensation - verbale Provokationen österreichischer Spieler gegenüber. Der überraschende 3:2 Sieg Österreichs gegen Deutschland bei der WM 1978 in Cordoba, begeisterte damals breite Bevölkerungsschichten. Nach dem Sieg gab es auf den Straßen Siegesfeiern, wildfremde Menschen verbrüderten sich.

Der Sieg paßte ausgezeichnet zum Zeitgeist. Die Kreisky-Ära näherte sich ihrem Höhepunkt, politisch grenzte sich Österreich stärker gegen den Westen, die EG und auch die BRD ab, suchte sich als UNO-Staat zu profilieren, betrieb eine eigenständige Außenpolitik, gegenüber dem „Ostblock", gegenüber den Staaten der Dritten Welt, besonders gegenüber arabischen Staaten. Ein Hauch von Großmacht ging über das Land. Österreich war damals so „undeutsch" wie nie. Mittlerweile bewegen sich die politischen, ökonomischen und auch psychologischen Gewichtungen in eine andere Richtung, unter Fußballinteressierten ist es ein Symbol des Konflikts und des Triumphs zugleich geblieben: „Cordoba!".

Recht viel weiter sollte man wohl die Geschichte nicht heraufziehen.

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