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Linke Nachhutgefechte

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Mit dem Tod des prominenten Mitglieds der Baader-Mein- hof-Gruppe Holger Meins und der kurz darauf erfolgten Ermordung des Berliner Gerichtspräsidenten von Drenkmann išt in der Bundesrepublik, Deutschland schlagartig das Problem des politisch motivierten Terrorismus wieder aufgeflammt, das mit der Verhaftung der führenden Gruppenmitglieder vor zwei Jahren ein Ende gefunden zu haben schien. Die Ruhe der vergangenen Monate war, wie sich jetzt herausstellte, scheinbar trügerisch.

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Mit dem Tod des prominenten Mitglieds der Baader-Mein- hof-Gruppe Holger Meins und der kurz darauf erfolgten Ermordung des Berliner Gerichtspräsidenten von Drenkmann išt in der Bundesrepublik, Deutschland schlagartig das Problem des politisch motivierten Terrorismus wieder aufgeflammt, das mit der Verhaftung der führenden Gruppenmitglieder vor zwei Jahren ein Ende gefunden zu haben schien. Die Ruhe der vergangenen Monate war, wie sich jetzt herausstellte, scheinbar trügerisch.

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Der Baader-Meinhof-Komplex wurde keineswegs durch jene militanten, in Freiheit agierenden Gruppen akut, sondern gerade durch die inhaftierten Terroristen. Nachdem die ersten Hungerstreiks von Mitgliedern der Baader-Meinhof- Gruppe wenig beachtet worden waren, begann vor wenigen Wochen eine bundesweite Kampagne, die die Haftumstände der RAF-Mitglieder anprangerte. Die Beschuldigungen waren überall ähnlich, das Vokabular gleich: Isolationshaft, Folter, Zerstörung der Persönlichkeit der „politischen“ Gefangenen, Justizterror.

Vor allem in Berlin und in Hannover, wo ein relativ unbedeutendes Mitglied der RAF, der Holländer Ronald Augustin, inhaftiert ist, wurde von linken Gruppen schwerpunktmäßig protestiert. „Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der Bundesrepublik Deutschland? waren federführend. Ihre Adressen waren, wohl mehr als ein Zufall, mit denen promihenter linker, in der Verteidigung der Baa- der-Meinhof-Gruppe engagierter Rechtsanwälte, identisch.; Date Bestreben der Protestaktionen tvpr dabei weniger die konkrete und sofortige Verbesserung der Haftumstände der RAF-Mitglieder, sondern die Mobilisierung einer großen Öffentlichkeit und möglichst prominenter Persönlichkeiten gegen Justizorgane, die mit der Aufarbeitung der verbrecherischen Aktivitäten der Baa- der-Meinhof-Gruppe befaßt waren.

Die Aktionen hatten aber nicht den von den Komitees und den Rechtsanwälten gewünschten Erfolg. Die in einigen Fällen vorgenomme- nen Verbesserungen der Haftumstände widersprachen eher dem Konzept. Die Erfolglosigkeit lag wohl daran, daß Worte wie „Folter“ derartig überzogen waren, daß sich oft Skepsis statt Solidarisierung einstellte. Die Züge einer Kampagne waren zu deutlich. Die Hunger streiks der in ganz verschiedenen Haftanstalten untergebrachten

RAF-Häftlinge waren offensichtlich abgesprochen, wobei die Verabredung wohl über die Anwälte erfolgt war. Daß die unkontrollierte- Anwaltspost bei den RAF-Häftlingen laufend Agitations- und Konspirationsmaterial enthielt, darf als erwiesen gelten.

Schließlich gab es das Beispiel des Baader-Meinhof-Mitglieds Astrid Proll. Sie hatte erreicht, daß sie wegen „angegriffener Gesundheit“ aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Bald darauf war sie im Untergrund verschwunden. Es kann daher angenommen werden, daß die RAF-Häftlinge nun ein ähnliches Ziel verfolgen. Sie wollen ihren Kampf gegen den von ihnen gehaßten Staat und, das verachtete politische System, fortsetzen. Dem besonders bekämpften Justiizapparat sollen die ersten Angriffe gelten.

Mit zunehmender Dauer des Hungerstreiks der Anarchisten in den Gefängnissen geriet die Aktion immer mehr ins Zwielicht. Die Gefangenen protestierten gegen die Zwangsernährung. Die Rechtsanwälte prangerten sie als Vergewaltigung der Häftlinge und neuerlichen Terror an. Konsequent wurde dabei in all diesen pausenlosen Angriffen darauf verzichtet, nach den Ursachen der beklagenswerten Zustände der linksextremistischen Häftlinge zu fragen.

Als man sich.an die Berichte von den in Hungerstreik befindlichen RAF-Mitgliedem schon fast gewöhnt hatte, trat der Tod von Holger Meins ein. Zuwenig ist über seine genauen Umstände bekannt, als daß ein endgültiges Urteil gefällt werden könnte. Sicher hatte Meins das Risiko auf sich genommen, zu sterben. Die Schwierigkeiten, die damit der Justiz bereitet wurden, könnten dem Linksextremisten sogar das’Opfer des eigenen Lebens wert geschienen haben. Bedenklich ist,

daß die Rechtsanwälte, die nun schon lange das nahende Ende von Meins gesehen haben wollen, diesen nicht vom Hungerstreik abgehalten haben. Diese Anwälte, die früher gegen die Zwangsernährung protestiert hatten, bemängelten nun unzureichende Zwangsernährung. Ja sie warfen den Justizbehörden die „schleichende Ermordung“ von Meins vor.

Trotz solcher Umstände schien der Tod von Meins zunächst genau den Effekt gehabt zu haben, den sich die Anarchisten davon erwartet hatten. Die bis dahin nur mühsam in Schwung kommende Solidarisierung linker Gruppen mit den Häftlingen nahm schlagartig zu.

Gerade da geschah aber der Mord am Gerichtspräsidenten. Da es sofort nach dem Tod von Meins geheißen hatte, daß er gerächt würde, ist es nicht unberechtigt, die Täter im Kreis der Linksextremisten zu suchen. So lange dies nicht bewiesen ist, bleibt allerdings die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß es rechtsextreme Gruppen waren, die damit die gesamte Linke in Mißkredit bringen wollten.

In der Tat dürfte es der Haupteffekt dieser tragischen Ermordung gewesen sein, daß die hie und da geweckte Solidarität mit den RAF- Häftlingen wieder zerstört wurde. Zwar kam es in Berlin zu einer Straßenscblacht, aber eine Protestbewegung wie nach dem Tod des Berliner Studenten Benno Ohnesorge am 2. Juni 1967, der Geburtsstunde von Studentenrevolte und APO, blieb aus. Und gerade dies hatten sich die Linksextremisten wohl erhofft, worauf der Name einer dieser Organisationen („Bewegung 2. Juni“) hindeutet.

Der frühere Studentenführer Rudi Dutschke, der einen seiner seltenen Auftritte kurz nach dem Tod von Holger Meins hatte, bezeichnete offen alle jene als Illusionisten, die heute meinten, der Tod von Meins oder von Drenkmann könnte eine Protestbewegung ausilösen. Ja, er mahnte sogar seine rund tausend studentischen Zuhörer vor einer „falschen Solidarität“ mit den Anarchisten. Dutschke, noch immer ein Idol der linken Studenten in der Bundesrepublik, mahnte die Linke, endlich eine Diskussion zwischen Marxismus und Anarchismus zu betreiben und eine Abgrenzung vom Anarchismus vorzunehmen.

Solche Äußerungen eines prominenten Vertreters von Linksaußen wie auch das Ausbleiben großer Protestaktionen zeigen deutlich, daß der Terrorismus in der Bundesrepublik vorerst in der studentischen Linken keine Basis hat. Die jüngsten Vorfälle dürfen als Nachhutgefechte gewertet werden, nicht aber als Anfänge einer neuen Bewegung. So sorgsam die staatlichen Stellen hier auch achten müssen, daß aus dem letzten, Glimmen einer anarchistischen Bewegung nicht wieder ein Flächenbrand wird, so liegen hier kaum die Probleme und schwerwiegenden Herausforderungen an den Rechtsstaat. Diese sind mehr dn der wachsenden Problematik des Eindringens extrem linksorientierter Personen in den Staatsdienst zu sehen. Ein Problem, das inzwischen auch der Bonner Bundestag behandelt hat, dessen Lösung aber durch Gegensätze zwischen Opposition und Regierung nicht eben gefördert wird.

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