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Links und Rechts

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Die außerordentliche Vielfalt der lateinamerikanischen Regimes und ihr permanenter Wechsel spiegeln sich aufschlußreich in den Reaktionen der lateinamerikanischen Priester. Vatikan und Konzil haben grünes Licht für ihre Beteiligung am Kampf um soziale Gerechtigkeit erteilt. So hat sich die politische Rolle, die sie jahrelang als Hü^er erstarrter Sozialstrukturen in Lateinamerika gespielt haben, verändert, und der Konflikt zwischen den Vertretern des „status quo" auf der einen Seite, Reformern und Revolutionären auf der ahderen Seite, wird jetzt auch innerhalb der Kirche ausgetragen.

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Die außerordentliche Vielfalt der lateinamerikanischen Regimes und ihr permanenter Wechsel spiegeln sich aufschlußreich in den Reaktionen der lateinamerikanischen Priester. Vatikan und Konzil haben grünes Licht für ihre Beteiligung am Kampf um soziale Gerechtigkeit erteilt. So hat sich die politische Rolle, die sie jahrelang als Hü^er erstarrter Sozialstrukturen in Lateinamerika gespielt haben, verändert, und der Konflikt zwischen den Vertretern des „status quo" auf der einen Seite, Reformern und Revolutionären auf der ahderen Seite, wird jetzt auch innerhalb der Kirche ausgetragen.

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In Chile erklärte Präsident Allende kürzlich, daß die sehr positive Haltung der katholischen Kirche eine bedeutsame Unterstützung seines „Weges zum Sozialismus“ darstelle. Sie ist um so bemerkenswerter, als Allende ein prominenter Freimaurer ist und die wichtigste katholische Gruppe, die der Christdemokraten des früheren Präsidenten Dr. Frei, in der Opposition steht. Etwa hundert katholische Geistliche berieten kürzlich über die „Mitarbeit der Christen“ beim Aufbau des Sozialismus.

Unter ihnen spielt Rodrigo Am- brosio eine führende Rolle. Er leitet das „Movimiento de Accidr. Popular Unitaria“ (MAPU, „Volkseinheitsbe- wegung“), eine kleine katholische Gruppe, die der „Unidad Populär“ Allendes angehört. Eines der prominentesten Mitglieder des MAPU, der Agrarminister Jaques Chanchel, ein profilierter Repräsentant der radikalen Agrarreform in Lateinamerika, der von Freis Chrisfclichdemokrati- scher Partei zur MAPU gewechselt hatte, ist jetzt von ihr ziu einer neuen Gruppe, der „Izquierda Cristiana“ („Christliche Linke“) übergegangen.

Dia katholischen Aktivisten sind überhaupt in zahlreiche politische Gruppen gespalten. Im übrigen wird der ideologische — und bisher aiuch realpolitische — Gegensatz zwischen Katholiken und Marxisten völlig überspielt. Der Bischof der chilenischen Stadt Talca proklamierte in einem Hirtenbrief, es sei für einen Christen erlaubt und nützlich, den Aufbau des Sozialismus in Chile zu unterstützen: „Das soll nicht sagen, daß die Kirche den Sozialismus als ihre Ideologie betrachte; aber es steht ihr nicht zu, sich für oder gegen ein Wirtschaftssystem auszusprechen. Christus war weder Kapitalist noch Sozialist.“

Das deutlichste Beispiel in dieser Richtung beobachtet man bei den bevorstehenden Novemberwahlen in Uruguay: Die Linke hat sich zu einer „Breiten Front“ zusammengeschlos sen, unter anderem wählen die Kommunisten zusammen mit den Christlichdemokraten unter einem von diesen zur Verfügung gestellten Wahlkennwort.

Die radikalste Haltung nimmt die Kirche in Bolivien ein. Der Erzbischof von Sucre, Kardinal elemento Maurer, forderte in einem Hirtenbrief, daß die Kirchenschätze in Bolivien den Armen zugute kommen sollten. Er wies auf die „neue Mentalität“ der Kirche, wie sie sich aus der Bischofskonferenz von Medellin, 1968, ergeben habe, hin und erklärte: „Ein dumpfer Schrei dringt von Millionen von Menschen zu uns Geistlichen, daß wir ihnen die Befreiung bringen mögen, die ihnen von allen Seiten vorenthalten wird … und die Klage, daß die Würdenträger, die Geistlichen und die Mönche, Reiche oder Verbündete von Reichen sind … Wir alle müssen uns schämen, wenn wir sehen, wie einige ihr Geld in überflüssigem Luxus, prächtigen Festen oder Hasardspiel verschwenden, während andere unserer Brüder Hunger leiden.“

Die Schätze der bolivianischen Kirche stehen in groteskem Gegensatz zu der Armut des Landes. Die Juwelen in den Klöstern von Sucro und am Titicaca-See werden auf mehr als 2 Milliarden Schilling geschätzt. Während die Regierung und zahlreiche politische und religiöse Organisationen Maurers Haltung begeistert begrüßten, wurden ihm von anderer Seite Todesdrohungen mit dem Zusatz zuteil, daß man ihn kreuzigen werde. Als ersten Schritt im Sinne der Maurerschen Forderung stellte die „Congregaciön de los

Padres Oblates“ (Oblatenorden) im Bergwerksbezirk Oruro ihren 4000 Quadratmeter umfassenden Schul- komplex dem Staate zur Verfügung.

Während die Kirche in Chile, Bolivien und Peru die Linkswendung der jeweiligen Regierungen mitgemacht hat, sich in Argentinien überwiegend für und in Brasilien mehrheitlich gegen die rechten Militärregimes wendet (wobei in Argentinien bemerkenswert ist, daß die wenigen „Priester der Dritten Welt“ sich zum Peronismus und nicht zum Sozialismus bekannt haben), beobachtet man in Costa Rica eine durchaus ungewöhnliche Konstellation: Dort will der Präsident Josė Figue- res, ein Liberaler ä la Kennedy, die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion aufnehmen, um den Kaffeeabsatz zu fördern. Die ultrarechte Bewegung „Costa Rioa Libre“ und vor allem die dortige Kirche protestierten mit solcher Energie, daß man von einem bevorstehenden Staatsstreich flüsterte.

So reicht die Pluralität der Strömungen innerhalb der Kirche von ultrarechts bis ultralinks. In Brasilien demonstrieren Fanatiker der „TFP“ (Tradition, Familie, Eigentum) gegen das „neue Heidentum" und „gegen die Scheidung, Kommunismus und fortschrittliche Kirche“. Auf der Gegenseite verbreiten die Anhänger des Camilo-Torres-Kults Bilder, die Christus mit einem geschulterten Gewehr als „Cristo Guer- rillero“ zeigen. Zwischen beiden Extremen pendelt die große Mehrheit, aufgewühlt und angstvoll in die Zukunft blickend.

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