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„Links, wo die Verwirrung stattfindet“

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Das war das Schema der sechziger Jahre: Der Geist steht links. Links, wo übrigens, wie Leonhard Frank Anno 1952 romanhaft nachwies, auch das Herz anzutreffen ist. Rechts ist überhaupt nichts; nur Rechtsradikale (die Linke hat die „Kinderkrankheiten des Radikalismus“ hinter sich), Militaristen (wer denkt links und trägt dazu eine Waffe?), Kapitalisten (wie käme die Linke zu Kapital?) und anderes Geschmeiß, dessen ein humaner, gebildeter und fortschrittlicher Mensch keine Erwähnung tut.

Wenn die Linke so denkt und ihre Agitation betreibt, dann tut sie es für ihre Sache; etwas anderes ist es, nachzubeten, es gebe „so etwas wie Rechtsintellektuelle“ überhaupt nicht; und Fortschritt sei nur als „komplementärer Faktor“ zu links denkbar. Die Linke quittiert mit Vergnügen diese Nachbeterei derer, die im Grunde anders denken, und nennt das. „progressive Selbststerilisierung“.

Jahrelang genoß die Linke die Vorteilsregel: Links ist, wo der Fortschritt stattfindet. Wer hätte auch etwas dagegen sagen können? Er hätte vielleicht sagen müssen: pardon, ich denke da anders. Durch die Verbindung der Chiffre „links“ mit dem werbekräftigen Wort „Fortschritt“ wurde die Linksposition tabuisiert. Denn: Wer möchte nicht auch fortschrittlich sein; und wer will dagegen sein. Die Formel: Links + Fortschritt = Zukunft erwies sich als ein wahres Scheidewasser zur Zersetzung der im Gegensatz zur Linken bestehenden, von ihr unabhängigen Ideen. Diese Formel öffnete die geistigen Tresore der Kirchen und der christlichen Parteien (Hinweis: Niederlande); die Liberalen und die Nationalen verließen ihre Reservationen und erschienen im Troß der Linken.

Während die Linke wußte, warum sie erklärtermaßen als „Linke“ existiert, diese Richtung ausdrücklich aufzeigt und vor allem das Wort „Progreß“ im Munde führt, ist es bei den „anderen“ anders. Herders Staatslexikon belehrte um 1960, der Gegensatz zwischen Progressisrous und Konservativismus hätte viel an Schärfe verloren. Übrigens, wirft die Linke ein, konservativ ist jetzt so etwas wie ein Altboischewik namens Molotow oder ganz unbelehrbare Katholiken, die irgendwelchen sonderbaren Bräuchen anhängen. Und überhaupt: Wer denkt bei diesem Ritt auf dem Tiger schon darüber nach, was ,.konservativ“ bedeuten könnte? Ist das nicht eine Tarnbezeichnung für „reaktionär“? Was aber die „Rechtsintellektuellen“ betrifft gestatten Sie die Frage: Haben Sie kein Fernsehgerät? Wenn ja. dann ist es Ihre Schuld, wenn Sie das Bild der in Serie verbreiteten Produktionen von der Art wie Heinrich Manns „Der Untertan“ noch nicht gesehen haben.

Heute ist die Linke nicht mehr so selbstgewiß wie gestern. Paul Amery, Jahrgang 1913, Nachfahre jener österreichischen Intelligenz, die einmal das Bündnis von Besitz und Bildung exemplifizierte, nach 1933, spätestens nach 1938 endgültig nach links zog, erklärte unlängst dem soignierten Leserkreis der Wiener Tageszeitung „Die Presse“: Er sei zu seinem Bedauern nicht mehr imstande, die noch kürzlich vertretene Auffassung zu behaupten, wonach es keine „Rechtsintellektuellen“ gebe. Vielmehr erlebe der Linksintellektuelle jetzt seine Enttäuschung, er komme in die Gefahr, sich zu verlieren. Denn: ,Janks“ und „intellektuell“ sind nicht mehr komplementär. Die „Neue Linke“, solange der Patriarchen der alten Linken liebstes Kind, lasse „traditionelle Werte der Linken“ nicht mehr gelten. Zum Beispiel: Voraussetzungslose Forschung (gibt es so etwas nach dem marxistischen Dogmatismus?), Toleranz (bei grundsätzlicher Eliminierung des Klassenfeindes?), Abneigung gegen brutale Methoden (nie gehört, daß derartiges links praktiziert wurde), Gerechtigkeit (nach Stalins Schauprozessen und kollektiver Diskriminierung des Rechtsintellektuellen), Objektivität (wo ist diese Fundstelle bei Marx?) usw. So käme es, schreibt Amery, nicht ich, daß mancher „Mann der älteren Linken“ den Vorwurf „Scheißliberaler“ hören muß. In Österreich läßt sich Bruno Kreisky diesen Vorwurf, natürlich nicht mit derartigen Ausdrücken, gerne gefallen; so hört die SPÖ auf, für „traditionelle Liberale“ suspekt zu sein.

Indessen: Was ist schon Österreich und eine Wiener Tageszeitung, verglichen mit dem Satz des Generalbasses der Linken? „Der Spiegel“ widmet einen Essay den Begriffen „deutsch“ und „konservativ“. Der Enkel der Verlierer von Königgrätz muß es den „Spiegel“-Lesern überlassen, wenn sie in diesem „Organ“ die Fundstellen betreffs „deutsch“ suchen. Hier ist von „konservativ“ die Rede. Bei besagter Publikation in der Weekly Tribune der Neuen Linken handelt es sich um einen „Essay“; auf deutsch, von der Kunstform abgesehen, um einen Versuch. Um den Versuch, mit dem Kehrbesen alte Scherben zusammenzufegen; das, was angeblich nach dem Zerschlagen der leeren Begriffshülse der Konservativen herumliegt: Reminiszenzen an Parteien von Anno Tobak (von damals, als die Linke ihre „Kinderkrankheit“, den Radikalismus, durchmachte); vornehme Eßgewohnheiten (doch nicht eine, die Wiederholung der für die Heidelberger Corps 1933 fatal gewordenen Frage, wie denn der damalige Kanzler wohl Spargel aß); ein „Hauch der Oberklasse“ (wohl jener der Inser- renten im „Spiegel“); nicht zuletzt Sozialdemokraten, die von Spartakus bis zur Neuen Linken nicht mitmachen; und Katholiken, die nicht „anpassungsfähig" sind.

Der Essayist des „Spiegel“ muß zugeben, daß „konservativ“ nicht passe ist, sondern bündnisfähig blieb: Mit einem Phänomen wie

Adenauer; mit Wirtschaftswachstum, wie bis unlängst gehabt; mit einer „schweigenden Mehrzahl“, die sich unerhörtermaßen die bolschewiki- schen Methoden der Linken nicht immer gefallen läßt. Bolschewiki- sche Methoden: das heißt nicht Mord und Todschlag, sondern: Manipulationen, mit denen eine Minderheit sich die Legitimation der Majorität verschafft; wie unlängst in Österreich und Deutschland.

Aber das alles ist vulgäre Politik. Hier soll vom Geist die Rede sein. Und wo stehen rechts noch jene Säulen wie Ernst Bloch, Georg von Lukacs usw. von divi minores gar nicht zu reden. Doch diese geborstenen Säulen stolzer Pracht stürzten über Nacht: Bloch ex 1970 berichtigt Bloch ex 1937: Lenins Aufstand zum Beispiel ist für Bloch 1970 nicht mehr, was er für Bloch 1937 war, am allerwenigsten „befreiend“; er ist nur noch „aufrührerisch“. Der Patriarch wankt mit Würde; wo doch die Geschichte der Linken immer zugleich die Geschichte der Freiheit ist. Und jetzt: nicht mehr befreiend. Georg von Lukacs, von gediegener bourgeoiser Abkunft, Erziehungsminister während der Rätediktatur des Bela Kun in Ungarn (1919), Ministerkollege des im Vergleich zu Lukacs jetzt mäßig geschätzten ter- rorisitischen Polizeiministers Tibor Samuely; Lukacs erlebt als Fünf- undachtzigjäbriger die Neuauflage seiner Werke aus linkischer Vergangenheit inmitten der radikalen Linken. Dadurch kommt Bloch besser weg, denn was ist schon Blochs Retuschierung des Image der russischen Oktoberrevolution, verglichen mit den Welten, die zwischen dem humanisierenden Weltbild Lukaos’ aus 1970 (Gegenstand hoher Ehrungen in Deutschland) und seinen frü- flieren Reflexionen Im Schatten der Rätediktatur liegen? Aber — so d.er Einwand — hier geht es doch um den Geist, um die Sprache, um den Menschen. Gewiß. Aber nicht nur darum; wenigstens, soweit die Lanke interessiert ist. Ihr geht es um Politik, Einfluß, Macht.

Inmitten solcher Titanen wirkt Emst Fischer, Österreicher, kein Bourgeois, sondern Toumisterkind in Kakanden. Was sind seine „Kinderkrankheiten“ verglichen mit der Alterskur der Großen, sein Eselstritt für die Trotzkisten; damals, bei ihrer Ausrottung durch Stalin?

Die Demaskierung der Linken nach der Mittemachtspolonaise findet statt. Mancher bisherige Begleiter der „roten Dame“ wird gewahr, welches Tänzchen er wagte; erschreckt wird er, spätestens bei der nächsten Wahl, mit Säckel und Stimmzettel wieder einstehen.

Die neue Chiffre, die Neue Linke sei weder „links“ .noch „intellektuell“, ist nur noch defensiv; die weisen Vögel distanzieren sich (nicht nur in München) von derartigen „Exzessen“. Die Neue Linke wird sich aber um den Jammer der alten Herren wenig kümmern. Sie ist da; nach Sozialdemokratie und Kommunismus als „dritte Welle“ des Marxismus.

Wenn die „Männer der alten Linken“ heute keine Linksintellektuel- len in der Neuen Linken wahrhaben können, dann darf es für sie auch keine Rechtsintellektuellen geben; die ultima ratio kommt in Sicht: Die Wiederaufnahme des Prozesses der Linken gegen die „zersetzende Funktion der Intellektuellen“. Denn man Wird zu links einen anderen „Kom- plementärfaktor“ brauchen.

Die Polemik der Linken hat in einem ihre Schuldigkeit getan: Sie hat die passive Selbstgewißheit derer, die nicht links stehen oder links denken wollen, beunruhigt. Unruhe zu welchem Zweck?

Die österreichische Küche kennt ein originelles Gericht: Den „Grenadder- marsch“, ein Eintopf aus den Resten der Woche, Einen solchen Grenadier - mansch würde die Linke der Rechten wünschen: Rechtsradikalismus + Ultrakonservativismus + ich weiß nicht was. Aber nach der Negation durch die Linke wird die künftige Position keine neue Ideologie für irgendeine Antihaltung sein. Trotzdem: Wenn wir von Haltung reden, erinnern wir uns an das, was die Alten in den zwanziger Jahren die „Vorkriegsanständigkeit“ nannten; kein Moralin und keine Härteübungen, sondern etwas von der Art, was nötig sein wird, wenn wir nach der inmitten von Porno, Rauschgift und Brutalität verbrachten Schlammperiode wieder festen Boden unter den Füßen haben werden. I’m übrigen: keine Aufgabe für die Ordnungsmacht, sondern eine des Geistes. Die Philosophie im Anschluß an Marx, der von der Linken kontrollierte Staatskapitalismus, die Zerstörung zahlreicher sozialer Gruppen und vieles andere ließen Leerräume entstehen. Man wird darin nicht alte Begriffshülsen aufstellen, sondern neue Kategorien des Denkens sinnfällig machen.

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