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Linkskoalition steht vor einem Scherbenhaufen

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Nach jedem Sommer wiederholt sich in Frankreich ein ähnliches Schauspiel: Die Millionen Urlauber, die die Sandstrände der Bretagnę, der Normandie und der Cdte d’Azur bevölkert haben, stellen sich die Frage: „Wird es einen heißen Herbst geben?“ - Damit ist natürlich nicht das Wetter gemeint, sohdem das soziale Klima, in dem der teilweise stillgelegte Produktionsapparat der Nation wieder in Gang gesetzt werden sollte.

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Nach jedem Sommer wiederholt sich in Frankreich ein ähnliches Schauspiel: Die Millionen Urlauber, die die Sandstrände der Bretagnę, der Normandie und der Cdte d’Azur bevölkert haben, stellen sich die Frage: „Wird es einen heißen Herbst geben?“ - Damit ist natürlich nicht das Wetter gemeint, sohdem das soziale Klima, in dem der teilweise stillgelegte Produktionsapparat der Nation wieder in Gang gesetzt werden sollte.

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Die großen Gewerkschaftszentralen hatten vor den Urlaubsmonaten gedroht, ihre Massen in Bewegung zu setzen, um das Mißlingen der beiden Wirtschaftspläne des Ministerpräsidenten Barre vor aller Öffentlichkeit zu demonstrieren. Trotz dieser düsteren Versprechungen kam es nur zu wenigen, wenn auch hartnäckigen, lokalen Streiks. Von großen Arbeitsniederlegungen konnte man dabei nicht sprechen. Der Franzose ist jedoch im September mit einer zusätzlichen Frage konfrontiert: „Wie werden die Legislativwahlen 1978 ausgehen, nachdem der Wahlkampf bereits im Frühjahr mit einer gewissen Heftigkeit eingesetzt hatte?“

Ende August schienen die politischen Karten definitiv verteilt gewesen zu sein. Die bisherige Regierungsmajorität, die den Präsidenten der Republik unterstützt, war nach den Prognosen sämtlicher demosko- pischen Institute unter die 50-Pro- zent-Marke gerutscht, während die Linksparteien 53 bis 54 Prozent der abgegebenen Stimmen in Aussicht hatten. Aber die bisherigen Majoritätsparteien waren in einen Zustand des Masochismus verfallen und nahmen die schicksalshafte Prophezeiung für März 1978 ohne besondere Verteidigung hin.

Es gehörte beinahe zum guten Ton, jeide politische Erklärung mit dem rituellen Satz einzuleiten: „Wenn die Linke die Wahlen gewinnt,…“ Die drei Parteien der linken Reichshälfte weisen jedoch gravierende Unterschiede in ihrer Ideologie, Struktur und Geschichte auf. Neutrale Politologen stellten von Anfang an fest, daß in der Koalition der Linksparteien Sprünge festzustellen waren und sich die Gegensätze von Monat zu Monat vertieften. In der Tat versäumten die Kommunisten keine Gelegenheit, um ihren Partnern mitzuteilen,, daß sie sich als das aktivste Element einer Volksfront fühlten und nicht bereit seien, den Sozialisten und linken Radikalsozialisten Geschenke zu machen.

Zu Beginn des Frühjahrs tauchte zum ersten Mal die Idee auf, das so oft zitierte gemeinsame Programm von 1972 zu modernisieren und den letzten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen der Nation anzupassen. Zu diesem Zweck bildeten die drei Parteien eine Kommission von 15 Köpfen, meistens hohe Parteifunktionäre, die versuchten, jene Punkte zu revidieren, die mit dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht mehr in Einklang standen. Mit peinlicher Überraschung mußten Sozialisten und linke Radikalsozialisten feststellen, daß die KPF mit Forderungen aufwartete, die in dem „geheiligten“ Text des bisherigen Programms nicht enthalten waren.

Ursprünglich hatten die Partner beschlossen, im Falle einer Übernahme der Regierungsgeschäfte neun Großbetriebe und den gesamten Kreditapparat zu verstaatlichen. Nun wollte die KPF zusätzlich die gesamte Automobil-, Stahl- und Petroleumindustrie in ein kollektives Eigentum der Nation verwandeln. Darüber hinaus forderte sie die Ausklammerung sämtlicher Fi- lialbetriebe der neun vorgesehenen Großkonzeme aus dem privaten Sektor und ihre Integration in die staatliche Verwaltung. Schließlich gab es einen weiteren Punkt, der zu schweren Diskussionen Anlaß bot: Gemäß dem Programm von 1972 stünde es jedem Betriebsrat einer Industriefirma zu, der Regierung den Vorschlag zu unterbreiten, ihr Unternehmen zu verstaatlichen. Nachdem die Gewerkschaftsorganisation CGT, die unzäh lige Betriebsräte stellt, praktisch ein Organ der KPF ist, kann man sich ungefähr vorstellen, welch gefährlichen Einbruch eine Links regie rung in den privaten Produktionssektor bedeuten würde.

Nachdem die Differenzen im Verhandlungskomitee nicht überwunden werden konnten, wurde Mitte September eine Gipfelkonferenz einberufen, an der Mitterand, Marchais und Fahre teilnahmen. Aber es war nicht der Chef der Sozialistischen Partei, der den Angriff gegen die Kommuni sten führte, sondern der bisher eher farblose Robert Fahre, ein kleiner Landapotheker, der als Präsident der ebenfalls kleinen linken radikalsozialistischen Partei fungiert. Es kam zu einem gewaltigen Eklat, und Robert Fahre wurde von der öffentlichen Meinung zum Helden des Tages gekürt. Da hatte es also ein David verstanden, den gewaltigen Goliath, die Kommunistische Partei mit ihren 500.000 Mitgliedern, Hunderten Wirt- schaftsuntemehmen und einer mächtigen Presse, herauszufordern. Eines war den Repräsentanten des kleinen und mittleren Bürgertums inzwischen bewußt geworden: Entgegen allen Versprechungen der Kommunistischen Partei, zielte diese darauf hin, anstelle einer liberalen, eine kollektivistische Gesellschaftsordnung in einem linksregierten Frankreich einzuführen. Dies war auch das Kernproblem der Auseinandersetzungen.

Ganz Frankreich konnte tagelang am Fernsehschirm das Anwachsen der Krise innerhalb des linken Lagers verfolgen. Da gab es Erklärungen, Gegenerklärungen, Dementis, Verdächtigungen, Aufforderungen. Die Protagonisten dieser dramatischen Tage kämpften halbe Nächte, um in letzter Minute wie durch ein Wunder eine Plattform zu finden, die es ihnen gestatten würde, mit einer neu gekleisterten Einheit vor die Wähler zu treten. Aber all diese Versuche scheiterten, und als letztes Erpressungsmittel mobilisiert die KPF nun ihre Massen, um die Partner in die gewünschten Bahnen zu lotsen.

Sämtliche Massenmedien von Paris beschäftigten sich seit diesen Vorfällen ausführlichst mit den Zielen und Hintergedanken . der kommunistischen Partei Frankreichs. Eine These wird in den Zeitungen und Zeitschriften immer wieder diskutiert: Das Mekka des Weltkommunismus, Moskau, wünscht in Frankreich keinen Sieg der linken Union und zieht es vor, mit dem Regime Giscard d’Estaings in gutem Einvernehmen zu stehen. Ein Volksfrontfrankreich würde von den USA kaum akzeptiert werden und damit sei die Aufgliederung unseres Planeten, wie sie in der Konferenz von Jalta formuliert wurde, in Frage gestellt. Weiters befürchtet der Kreml nach Ansicht der Politologen, daß der Eurokommunismus ein magnetischer Anziehungspunkt für die kommunistischen Parteien des Ostens sei, die ebenfalls von größerer Selbständigkeit träumen. Ob nun diese Kreml- Astrologen Recht haben oder nicht, die Starrheit der KPF gegenüber ihren Partnern verbirgt eine Strategie, die bisher vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen war. Eines ist auf alle Fälle sicher: Die Illusion vom gemeinsamen Programm ist zerstört und was vorläufig übrigbleibt, ist ein gewaltiger ideologischer Scherbenhaufen.

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