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Linz-Kunst

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Tinz-Kunst findet also statt. Li Das Herzeigen, Ausstellen, Fräsentieren Linzer zeitgenössischer Künstler zu einem bestimmten Zeitpunkt und Ort, einmal im Jahr, nämlich im Juni und am Hauptplatz, soll nach dem letztjährigen Versuch während der 500-Jahr-Feier fortgesetzt und etabliert werden. Heuer zwischen dem 14. und 19. Juni. Das Theater Phönix hat sich entschlossen, mit einem Beitrag mitzuwirken. Dazu ein paar Anmerkungen.

Ein großer Teil der Künstlerschaft ist irritiert. Mittun? Ja, nein? Wenn ja, in welcher Form? Sollen Ausschnitte aus der Jahresarbeit gezeigt werden oder highlights? Oder gar „The Best Of”? Oder soll die Beauftragung durch die Stadt Linz als gesonderte Auftragsarbeit gesehen werden, losgelöst aus dem kontinuierlichen Schaffen?

Dazu die ideologischen Fragen: wird man vor einen Karren gespannt, von dem man nicht weiß, was er aufgeladen hat? Oder falls man dies weiß, oder ahnt: soll man an einem gemeinsamen Strang ziehen? Oder zunächst Ballast abwerfen? Was ist der gemeinsame Nenner von Ballast? Was ist der gemeinsame Strang der Künstlerschaft untereinander? Und vor allem, gibt's einen Strang, an dem es sich für seine Stadt lohnt einen Karren zu ziehen?

Nachdrücklich wird auch die Diskussion um inhaltliche und programmatische Gesichtspunkte gefordert. Wobei beispielsweise Helmut Gsöllpointner in einem Arbeitspapier einmal davon ausgeht, daß „zur Förderung und Heranbildung einer Kunstszene, die sich schwerpunktmäßig von anderen Städten unterscheiden soll, die Formulierung einer geistigen Achse notwendig wäre, um die herum eine spezifische kulturelle Identität der Stadt weiterentwickelt werden kann.” Und er schlägt schließlich zur Entwicklung der Linz-Kunst-Szene vor:

„1.) Die Abhaltung eines Symposions zur Bestimmung von Standort und Stellenwert der Linzer Kultur in Relation zu anderen Städten in Österreich.

2.) Als Ergänzung und Weiterführung dazu Forschungsaufträge darüber, was ,the spi-rit of linz' ist.

3.) Erarbeitung von Programmen und Inhalten zukünftiger Projekte.”

Aus meiner Sicht habe auch ich versucht, zu Linz-Kunst mündlich und schriftlich konstruktive Diskussionsbeiträge zu liefern (siehe auch unsere Ausgabe Sept./Okt. 90), die alle mit der persönlichen Existenz der Kunst- und Kulturschaffenden, mit ihren künstlerischen Entwicklungsmöglichkeiten und ihrer Stellung und Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft zu tun haben. Das aber wiederum hängt untrennbar zusammen mit dem geistigen und menschlichen Zustand einer Stadt, mit der Fähigkeit ihrer Bürger, mit gesellschaftlichen und kulturellen Problemen umsichtig und offen umzugehen.

Eine Fülle von Diskussionsstoff also, die eine permanente Auseinandersetzung mit dem Thema Linz-Kunst in allen Schattierungen geradezu herausfordert.

Zwar mußte das für heuer geforderte und bereits anberaumte Symposion wegen der zu kurzen Vorbereitungszeit gleich wieder abgesagt werden. Zwar gibt es also diesmal lediglich Kunstveranstaltungen von zum Teil irritierten und unschlüssigen Künstlern uncf ein im letzten Abdruck installiertes „Kulturfrühstück”. Zwar fehlt jede perspektivisch angelegte Definition der Linz-Kunst-Plattform, zwar sind die finanziellen Mittel keineswegs auch nur annähernd ausreichend und steckt die Vernetzung der Künstlerschaft untereinander und in Beziehung zu Wissenschaft und Kultur in den Kinderschuhen: aber Linz-Kunst findet bereits statt und ist nicht mehr wegzudenken. In den Köpfen, auf dem Papier, der Video- und Malleinwand, auf der Bühne, in Häusern, auf der Straße, in der Öffentlichkeit. Kunst braucht Öffentlichkeit. Öffentlichkeit schafft Diskussion und Diskussion ist

Vernetzung, ist Standortbestimmung und Grundstein für einen Veränderungsprozeß. Und den haben wir nötig, wir Künstler, wir Bürger dieses lokalen Lebensraumes.

Auch wenn Linz-Kunst als kritische Plattform - als Idee, als Zeltfest, als Publikumsdiskussion, als sozio-, öko- oder kulturpolitische Einrichtung oder wozu immer es sich über Jahre hinaus entwickeln und verändern wird - zur Zeit noch .auf unsicheren Beinen steht und wir alle mitsamt letztlich überfordert sind, muß uns klar sein, daß wir als Kunst- und Kulturschaffende im Begriff sind, real, also auf Gedeih und Verderb die Verantwortung für Gedeih und Verderb zu übernehmen. Zielführend als Künstlerschaft einzugreifen heißt entweder Boykott oder eben Verantwortung übernehmen, Kompetenz weiterentwickeln.

Ich glaube, ein Boykott, auch wenn er total sein könnte (was ich bezweifle), ist im Augenblick noch unangebracht. Die Idee, uns in einem Forum zu vernetzen, um in vielen Belangen weiterzukommen, sollte nicht jetzt schon abgewürgt werden, nur weil die Idee von der Stadt kommt und völlig unausge-reift ist.

Trotz aller Bedenken, Einwände, Unzulänglichkeiten zu Linz-Kunst und der Ungereimtheiten im Verhältnis zu unseren Kommunalpolitikern und Beamten bin ich heute für eine Vorwärtsstrategie: sie bringt uns letztlich auch mehr Öffentlichkeit als ein halbseidener Boykott. In der Praxis bedeutet dies wohl, daß kein Weg daran vorbei führt, uns wieder erst einmal beweisen zu müssen, unsere Arbeit ins recht Licht rücken zu müssen, sozusagen kulturelle und künstlerische Vorschußarbeit an eine Politiker- und Beamtenschaft zu leisten, so blöd dies auch klingen mag ... Wenn unsere Arbeit zu mehr imstande sein soll, als Schöngeistigkeit zu pflegen oder Kunstfertigkeiten zu verkaufen, wenn wir mehr zu sagen, zu zeigen, zu vermitteln haben, als kleinbürgerliche Erwartungshaltungen uns abverlangen, dann sollte diese Haltung diesen Weg rechtfertigen. So paradox dies klingt: ich glaube, nur wenn es einer mündigen Künstlerschaft gelingt, außerhalb einer sich stetig ausbreitenden Repräsentationskultur zu wirken, sich Raum zu schaffen, wird sie sich behaupten können. Unsere Gesellschaft braucht letztlich keine weiteren Schaumschläger und keine manieristischen Bestätigungsrituale, sondern verrückte Zeitgenossen, Denker, Künstler, die noch imstande sind, in ihrer spezifischen Kompetenz gesellschaftliche Realität und menschliche Notwendigkeiten und Utopien streng auseinander zu halten.

Ich glaube, die Vorschußarbeit, die wir zu leisten haben, impliziert aber auch eine Genugtuung: nämlich selbst zu bestimmen, wie und wann wir vom gefälligen (Re)Präsen-tierteller herabsteigen und das Mäntelchen eines dekorativen Schauobjektes ablegen.Nützen wir die Öffentlichkeit, unsere Identität zu finden, unsere Anliegen zu definieren und unsere Forderungen zu präzisieren.

An der Arbeit der Linzer Künstlerszene - nicht an der zaghaften Verweigerung -wird es letztlich liegen, den Begriff Linz-Kunst zu sprengen, ihn damit zu kultivieren und ihn aufzutun für einen Dialog untereinander und mit einem Publikum - dem Bewohner von Linz.

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