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Lippenbekenntnis

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Jenseits ideologischer Barrieren ist Friede heute ein allseits akzeptierter Begriff. Wenn es um seine Verwirklichung geht, häufen sich allerdings die Schwierigkeiten.

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Jenseits ideologischer Barrieren ist Friede heute ein allseits akzeptierter Begriff. Wenn es um seine Verwirklichung geht, häufen sich allerdings die Schwierigkeiten.

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Die Geister scheiden sich, wenn es um die Friedenssicherung geht. Friede selbst ist ein gängiger und allseits akzeptierter Begriff, der leicht von den Lippen fließt. Zwei Veranstaltungen der vergangenen Woche in Wien machten das neuerlich deutlich.

Beim dritten „Weltkongreß Alternativen und Umwelt“ in der Hofburg — unter den Teilnehmern so klangvolle Namen wie Karl Popper, John Eccles, Konrad Lorenz und Hannes Alfven — prallten ethische und sogenannte kon-

kret-realistische Grundvorstellungen aufeinander. Der gemeinhin akzeptierten Auffassung, wonach man für die Atombombe, deren friedenssichernder Wirkung wegen, dankbar sein müsse (Popper), hielt Kardinal Franz König die ebenso nüchterne Frage entgegen, was die Menschheit mit dem riesigen Atomwaffenarsenal denn anfangen solle. „Was machen wir, wenn ein Verrückter zugreift? Soll die ganze Welt zugrunde gehen?“

Und König verwies auf den Zusammenhang, der zwischen dem Umgang mit der Umwelt und der Sicherung des Weltfriedens besteht. Das Wettrüsten unter den Nationen und Blöcken — so der Kardinal — verbrauche ohne Unterlaß die wichtigsten Rohstoffe und die Arbeitskraft und leite die wissenschaftliche Forschung nur zu leicht in die Irre. „Am Ende dieses Weges droht der Atomkrieg, der den Menschen und seine Umwelt für immer zerstört.“

In eine ähnliche Kerbe schlug der japanische Atomphysiker Toshiyuki Toyoda. Er betonte, daß die Zeiten einer sogenannten moralisch-wertfreien Forschung endgültig vorbei sind. Karl Popper warnte jedoch vor jeder Emotionalisierung und „Hysterisie- rung“.

Der „Friedensbewegung“ zieht Popper daher das verantwortungsvolle, „vernünftige Gespräch ohne jeden Sensationsanspruch“ vor. Logik gegen Logik, ob das wohl politische Konsequenzen nach sich ziehen kann?

Die Verknüpfung von Ethik und realpolitischem Denken spielte auch bei der Feier des Weltfriedenstages in der Wiener UNO-Ci- ty mit prominenter Besetzung eine Rolle. Die von der kirchlichen Vertretung bei den internationalen Organisationen in Wien veranstaltete Feier - seit Eröffnung der UNO-City Bestandteil der jährlichen Arbeit — befaßte sich mit dem diesjährigen päpstlichen Motto des Weltfriedenstages „Solidarität und Entwicklung, zwei Wege zum Frieden“ (FURCHE-

Dossier 51/52, 1986).

Daß gesinnungsethische Vorgaben durchaus politikkritische Folgerungen nach sich ziehen können, demonstrierte der „Iusti- tia et Pax“-Chef, Kardinal Roger Etchegaray. Er äußerte - den Begriff der Solidarität explizierend — die Befürchtung, daß vor dem Hintergrund der Machtkonzentration in den Händen weniger immer mehr Länder zu bloßen Befehlsempfängern und ausführenden Instrumenten würden. Und wieder kam der Hinweis auf die Wechselwirkung von Gesinnung und Verantwortung.

Was tun? Ist Friede in dieser Situation bloßer Traum? Etchegaray zitierte das von der päpstlichen Kommission „Iustitia et Pax“ veröffentlichte Dokument zur Weltverschuldung (FURCHE 6/1987), das einen möglichen Friedensweg auf zeige. Nur über Entwicklung und Solidarität führe demnach der Weg zum Frieden, der bei der Friedenserziehung des Menschen beginne.

Diese Erziehungsarbeit müsse über die technologischen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte der gegenwärtigen Weltkonstellation informieren.

Bundespräsident Kurt Waldheim — offenbar seinetwegen war die diesjährige Feier des Weltfriedenstages in der Wiener UNO-City sehr gut besucht — wiederholte die mittlerweile überall gegebene Einsicht, daß das Wort Friede in den vergangenen Jahrzehnten einer der meistgebrauchten Begriffe gewesen sei. „Spielend“ — so Waldheim — „überwand es alle politischen und ideologischen Grenzen. Und dennoch schien es nahezu jeder auf eine andere Art und Weise zu verstehen.“

Kritisch wandte sich der österreichische Bundespräsident gegen den negativen Friedensbegriff — Abwesenheit von Krieg — und meinte, daß es heute „offenkundig“ sei, daß das Atommanagement des Gleichgewichts des Schreckens die Friedenserwartung der Menschen nicht mehr erfüllen könne. Weitere Rüstung werde heute nicht mehr als Zuwachs an Sicherheit empfunden. Waldheim nannte die gegenwärtigen Abrüstungsverhandlungen als „schicksalhafte Entscheidungen“. Die christliche Forderung nach Feindesliebe bedeute, den Gegner verstehen und akzeptieren zu wollen.

Ein Denkansatz, den der Wiener Tiefenpsychologe Wilfried Daim gegenüber der FURCHE würdigte, von dessen Realisation die Menschheit — „trotz aller Lippenbekenntnisse bei Weltfriedenstagsfeiern“ — noch sehr weit entfernt sei. „Denn letztlich“ — so Daim — „glaubt man doch immer, schießen zu müssen.“

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