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Literarische Formen der Verdrängung

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Zwischen Franz Grillparzer und Peter Handke bestehen tatsächlich Schicksalsanalogien. Da ist der Selbstmord ihrer Mutter, da ist beider Prägung durch eine Jugend in konfliktbeladener Familienatmosphäre und bedrückender Dürftigkeit, wobei es für die nachhaltige Wirkung wenig bedeutsam sein mag, daß Grillparzer einem bürgerlichen Verfallsprozeß, Handke jedoch einem eher proletarischen Milieu ausgesetzt gewesen ist.

Reichen solche Analogien aus, einen Grillparzerpreis für Handke zu rechtfertigen? Gab man sich zufrieden, zwei berühmte Namen gekoppelt zu haben, ohne sich zu fragen, ob man nicht den Pegasus mit dem Maultier zusammengeschirrt hat? Der Sanktus der Jury macht die universitären Honoratioren demütig verstummen. Schließlich hatte ja jahrelang die euphorische Literaturkritik Deutschlands alles getan, um Hand-kes Ruhm aufzubauen.

Doch nun beginnt die zünftige Germanistik diese Ruhmesposaune chemisch zu analysieren, wobei sie den Keim der Zinnpest feststellt, welche sogar die schönsten und größten Orgeln des Landes zu erfassen und unrettbar in Staub zu zerblasen vermag. Bei einem Bonner Symposion ist auf diesen Zerfallsprozeß aufmerksam gemacht worden. Und so kommt es zu einem eigenartigen Spaltklang in der Handke-Rezeption. Zufolge des Grillparzerpreises bestellt man Fanfarenklänge, während die Gelehrten schon vorsichtig zur Re-traite blasen.

In seiner Studie „Provinzbeschimpfung und Weltandacht” untersucht Norbert Mecklenburg die Taktiken, mit denen Handke seinen grillparzerhaften Lebensprägungen beizukommen sucht: „Durch die Überhöhung, die häßlichste literarische Form der Verdrängung, Wiederkehr des Verdrängten als Edelkitsch”, „durch die komische Rolle des (selbsternannten) Dichter-Priesters.”

Was immer man heute modernistisch beflissen Grillparzer ankreiden mag, zu einem „Königsbewußtsein” wie Handke hat er es niemals gebracht. Deshalb lebte er auch himmelweit jenseits aller Handke-scher Gefährdungen und Anfechtungen: bei solcher Aufgeblasenheit die Luft zu verlieren und auf die Dimension des quaquaisieren-den Frosches zurückzusinken, dem der Zeitgeist ein zu hochgespanntes Autorenbewußtsein eingepumpt hat.

Grillparzer, der erbarmungslose Analytiker des eigenen Ich, ging in Einsamkeit einen Weg, vollkommen entgegengesetzt der ichpfleglichen Medienpräsenz Handkes. Da gibt es keine Kreuzung der Wege, keine Begegnung zwischen beiden... außer beim Grillparzerpreis.

In weiteren acht Beiträgen des Bonner Symposions wird das Phänomen der österreichischen Literatur untersucht, das man einem Referat von Eugen Thurnher folgend als „Anti-Heimatroman”-klassifizieren kann. Das gemeinsame von Franz Innerhofers, Elfriede Jelineks und Michael Scharangs Arbeiten besteht nämlich darin, den rosa süßen Kitsch der Vergangenheit in einen bitter-schwarzen Kitsch umzupolen.

Aktuell wird eine solche undialektische Manipulation von Wirklichkeit dadurch, daß auf dem übersättigten Jahrmarkt der freien Marktwirtschaft eine lebhafte Nachfrage nach solchen Juxartikeln des Nihilismus besteht, wie ja auch die pünktlichen Verfilmungen der Scharang-Romane durch den ORF bewiesen haben. Je besser abgesichert der Lebensstil, desto größer das Bedürfnis unserer Kultur und Zivilisation nach „selbstzerstörerischen Wonnen”.

Offensichtlich muß man sich nach Bonn absetzen, damit man dort, also in einer gewissen Entfernung zur Heimat, ein solch aufschlußreiches Symposion, gefördert vom österreichischen Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, erleben kann. Heimat: eine auswärtige Angelegenheit, denn als innere Angelegenheit nimmt sie sich in der Literatur allzu oft wie eine Geisterbahn in einer Praterbude aus. Da kann es nicht entsetzlich genug zugehen: Blütenstaub wird ekelerregender Gestank, Vögel grunzen wie die Schweine. Gern beweist man sich und den anderen seinen Mut und seine Tapferkeit, wenn man sich solchen „Wahrheiten” Franz Innerhofers unerschrok-ken stellt.

Vielleicht hat es aber damit jetzt sein Ende, da uns anstelle fabulierender Nihilisten ein einziger praktizierender Nihilist das Fürchten viel besser lehrt.

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