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Literarischer Spurensucher

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FURCHE: Was fasziniert Sie an Ihrer literarischen Spurensuche?

DIETMAR GRIESER: Für den Laien hat die Entstehung von Literatur viel Geheimnisvolles, Irrationales, Unnahbares. Da ist es eine große Verlockung, durch intensive Recherche nachzuweisen, wie viel auch ganz banale Lebens wirklichkeit da im Spiel ist. Ob es der Schauplatz ist, an dem der Schriftsteller seine Fabel ansiedelt, ob es die Figuren sind, die er wählt, ja mitunter sogar die Fabel selbst verdankt er Ereignissen, Beobachtungen, Begegnungen, die ihm, noch ohne jeden Gedanken an literarische Verwertung, in seinem privaten Alltag unterkommen. Dies kurze oder lange Wegstück vom Rohstoff zu jenem kreativen Moment, wo der Rohstoff Literatur wird, nachzuvollzie-hen, kann ungeheuer aufregend sein.

FURCHE: Bekanntlich werden Ihre Bücher von den Lesern verschlungen. Gibt's auch Gegenstimmen?

GRIESER: Natürlich. Ich erinnere mich an eine Lesung, bei der es unter anderem um das Brecht-Gedicht „Erinnerung an die Marie A." ging genauer: um das Urbild dieser Frau, die ich hochbetagt in Deutschland ausgeforscht, interviewt und porträtiert habe. Eine schlichte Hausfrau, eine vollkommen unliterarische Person, eine von vielen flüchtigen Jugendlieben des Dichters. Nach der Lesung überschüttete mich eine Zu-hörerin mit Vorwürfen, ich hätte ihr eine ihrer schönsten Illusionen zerstört, sie habe sich diese Marie A. ganz anders vorgestellt. Ich konnte dieser Frau nur Recht geben, der Blick auf den Rohstoff des Künstlers kann natürlich auch sehr ernüchternd sein. Und damit sind wir bei einer zweiten Gruppe von Kritikern, die meinem Metier reserviert gegenüberstehen: die Schriftsteller selbst. Sie haben es nicht immer gern, wenn man ihrer Arbeit das Geheimnisvolle, das Mythische nimmt. Die Reaktionen sind verschieden: Thomas Mann hat es ungemein amüsiert, wie Katia, seine Frau, im unverblümtesten Kaffeekränzchenton ausgeplaudert hat, wie ihr Mann sie bei einem Sanatoriumsaufenthalt in Davos besucht und bei dieser Gelegenheit das Rohmaterial für den „Zauberberg" eingesammelt hat. Zu jedem kleinsten Partikel der Kulisse, zu jeder noch so peripheren Figur wußte sie aus eigenem Erleben die Entsprechungen in der Wirklichkeit zu benennen, und Thomas Mann hat ihr nicht widersprochen. Ein anderer Thomas, nämlich unser Bernhard, ließ mir, als ich der Topographie seines frühen Romans „Das Kalkwerk" nachspürte, durch Dritte ausrichten: „Also, ganz so einfach ist das nicht."

FURCHE: Aber die Germanistik -die müßte doch von Ihren Funden eigentlich sehr profitieren?

GRIESER: Das tut sie auch. Dennoch hält man Distanz zu mir. Vielleicht pfusche ich ihnen in ihr Handwerk und da ich mich einer reporterhaft-unterhaltsamen Darstellungsweise bediene, wohl auch mit mehr Erfolg. Das weckt Neid.

FURCHE: Halten Sie die Germanistik für langweilig?

GRIESER: Vielleicht genügt es Ihnen als Antwort, wenn ich Ihnen sage, daß ich nach nur einem Semester das Fach gewechselt habe. Stattdessen betrieb ich neben meinen nunmehrigen Hauptfächern, Sozialwissenschaften und Publizistik, meine eigene, hausgemachte Germanistik: die literarische Spurensuche vor Ort.

FURCHE: Wie reagieren die Leser auf Ihre Bücher?

GRIES ER: Auf eine so enthusiastische Weise, daß ich leider pathetisch werden und sagen muß: Sie haben meinem Leben eine neue Richtung gegeben. Wie viele von ihnen, mit meinen Büchern im Gepäck, ihrerseits auf Reisen gehen und meine Pirschgänge nachvollziehen, wie sie mir durch Anregungen neue Ziele weisen, ja sogar vereinzelt die Themen für neue Bücher liefern (wie beispielsweisejüngst „Im Tiergarten der Weltliteratur"), dies alles bewegt mich tief und verlangt mir höchsten Respekt und Dank ab.

FURCHE: Sie haben eine große Fangemeinde, Ihre Lesungen sind überfüllt - was ist es denn Ihrer Meinung nach, was die Leute an Ihrer Arbeit fasziniert?

GRIESER: Ich glaube, es gefällt den Leuten, daß ich Ihnen vorexerziere, wie man Literatur als etwas ganz Alltägliches erörtern kann. Meine Bücher, so höre ich immer wieder von Bibliothekaren, haben ja auch den animierenden Nebeneffekt, daß sie viele Leute dazu anregen, die betreffenden Bezugswerke zu lesen, die sie vielleicht vorher nicht gekannt hatten. Es wird heute so viel von Leseförderung gesprochen. Ohne daß das von mir beabsichtigt wäre, scheint da ein Beitrag in dieser Richtung geleistet zu werden. Bei dem letzten, dem Buch „Köpfe/Porträts der Wissenschaft", war es allerdings umgekehrt: Da gab's zuvor die Fernsehreihe des ORF und erst im nachhinein das Lesebuch.

FURCHE: Wäre es nicht naheliegend, die Thematik Ihrer Bücher auch auf Bereiche wie Musik und bildende Kunst auszuweiten?

GRIESER: Versuche in dieser Richtung gibt es. Bei dem besonders erfolgreichen Titel „Eine Liebe in Wien" ging es nicht mehr nur um Namen wie Georg Trakl, Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig, sondern beispielsweise auch um Egon Schiele, Gustav Klimt und Adolf Loos.

FURCHE: Auf Ihrer Spurensuche haben Sie immer wieder auch auf vergessene Autoren hingewiesen. Mit welchem Effekt?

GRIESER: Mit einem hocherfreulichen: Kurze Zeit, nachdem ich in meinem Buch „Musen leben länger" die in völliger Zurückgezogenheit lebenden Schriftstellerwitwen Dorothee Andres und Charlotte Bergengruen vorgestellt hatte, erschienen plötzlich wieder Neuauflagen von Stefan Andres und Werner Bergengruen auf dem Markt. Die Dankbriefe derWitwen sind für mich der beinahe größere Schatz als die Autographen ihrer Männer.

Das Gespräch mit Dietmar Grieser führte Hel-muth A. Niederle

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