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Literatenelend

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Der Meister hatte die Tischrunde geladen. Aber irgend etwas war da wohl daneben gelaufen. So saß der junge Poet, aller fortschrittlichen Literaturkritiker ständiger Enthusiasmus, allein vor einem Halbrund selbst und einsam leergetrunkener Weinkrügel und trieb von Schmerz über Resignation zu blanker Wut. Eifrige Schankgehilfinnen, denen man die Prominenz des einsamen Heurigenkonsumenten telefonisch angekündigt hatte, hielten den Tisch von Fremden frei, und so

wurde, je mehr sich der Gastraum füllte, der junge Dichter umso einsamer.

Der Poeta multilaureatus beugte sein Jungolypierhaupt unmerklich, die aufmerksame Hebe im Dirndl ahnte den Befehl mehr, als sie ihn wahrnahm und schaffte ein neues Viertel grünlichen, leicht schäumenden Weißweines herbei. Der alleingelassene Literat aber hub an: „Laßt's mich nur allein, ihr Banausen, ihr Zecken, ihr Schmeißfliegen, ihr Trittbrettartisten! Ich habe Euch geladen. Wo seid Ihr, Kreaturen? Kreaturen, die ich gemacht habe: Ihr Winzlinge, Ihr Abfall, Ihr Schwächlinge, die ich aus dem Sumpf eben dieser kapitalistischen Ausbeutergesellschaft zu mir heraufgezogen habe.

Ihr, die Ihr von mir und mit mir lebt: Ihr Sekretäre und Tipsen, Ihr Regieassistenten und Produktionsgehilfen, Ihr Beleuchter und Kopisten, Ihr Laiendarsteller und Musikdilettanten! Laßt's mich nur allein! —

Der Wein schäumt, Fräulein, der schäumt! Ich habe Weißwein und keinen Einspänner bestellt, Fräulein. —

Ihr wagt es, mich alleine zu lassen, obwohl Ihr wißt, daß ich mit Euch trinken will, obwohl Ihr wißt, daß ich zu Euch reden will? Ihr wagt es! Wahrscheinlich seid Ihr eingekauft. Wahrscheinlich hat Euch die Staatsmacht mir schon abgekauft. Oder seid gar Ihr die Spitzel.

Herbert, hast Du nicht bei der letzten Aufzeichnung meiner zwanzigteiligen Fernsehserie an einer meiner Textpassagen gezweifelt?

Julia, hat Dir nicht der Vortrag meines Chansons .Warum mich diese Gesellschaft in den Untergang treibt* ein unpassendes Grinsen entlockt? Mäuschen, Mäuschen, warst Du nicht reichlich unkonzentriert, als ich letzte Woche nach der Premiere meines neuesten Stückes Dir am frühen Morgen meine Liebeskraft unter Beweis stellte? Sag' nicht, daß Dich die Anwesenheit Deines Mannes gestört hätte, die hat Dich noch nie gestört. Wo seid Ihr? Verräter! Knechte! -

Dieser Wein ist kein Wein, sondern vergällter Hesperidensaft! Ich habe ein Viertel Wein bestellt, Fräulein! —

Wie schön, endlich alleine zu sein, niemanden um sich zu haben als sich selbst. Wie habe ich mich nach solchen Augenblicken gesehnt. Immer diese Hetze, diese Unrast: vom Film zum Funk, von der Autorenlesung zur Fernseh-

aufzeichnung. Die stickige Atmosphäre überf üllter Hörsäle, die atemberaubende Enge in den Buchabteilungen in Kaufhäusern. Uberall die Masse, die Dich begafft, und die Manager, die nach dem Geld, das Dein Schatten abwirft, geifern. Wie ich nach Einsamkeit dürste. —

Das Glas ist leer, Fräulein! Warum verfolgen Sie mich mit Ihrer Unaufmerksamkeit, mein Fräulein? Bringen Sie mir den Wein und setzen Sie sich endlich zu mir, wissen Sie denn nicht, wen Sie vor sich haben? -

Ich gehe Euch nicht auf den Leim. Ihr habt mir den Preis für das engagierteste Theaterstück der Saison verliehen, um mich mundtot zu machen. Ich merkte die Absicht - und habe ihn angenommen. Ihr wolltet mich durch Auftragsarbeiten für Rundfunk und Fernsehen vernichten. Euer Stipendium habe ich nur akzeptiert, damit es nicht der reaktionäre Staatsdichterling bekommt, dem es eigentlich zugedacht war.

Ich habe in meinen eigenen Filmen Rollen übernommen, nur um die Freiwillige Selbstkontrolle zu quälen. Die Studienreise durch die USA habe ich nur gemacht, um auf Eure Kosten möglichst nahe bei Kuba zu sein. Ihr werdet mich nicht korrumpieren. Ihr nicht! —

Mein Kind, komm her zu mir, damit Du Dich an mich gewöhnst. Du weißt, wer ich bin? Freu' Dich auf die Nacht heute Nacht. Herr

Ober, zwei Krügel vom Alten, aber schnell! —

Ich werde mich rächen. An allen, die es gewagt haben, mir Gutes tun zu wollen, die die Frechheit hatten, mich zu fördern, die sich unterstanden, mich preiszu-krönen. Ich werde das Stück endlich schreiben, dessen vierten Vorschuß ich mit Euch, elendes Ganovenpack, versaufen wollte. Und ich werde Euch hineinschreiben, Euch alle.

Jeder wird drin vorkommen, und alle werden Euch erkennen: Dich verklemmten Ministerialrat, der seine wilden Träume dadurch beruhigen will, daß er meine Fä-kalliteratur fördert!

Dich fetten Dramaturg, der mein Stück empfiehlt, weil darin so viele junge Männer vorkommen, die die Hosen fallenlassen!

Dich lieben Freund und Programmdirektor mit Deiner Familie und Deinem gastlichen Haus, der Du mir durch Deine Freundschaft nur meinen revolutionären Zahn ziehen willst!

Euch Politiker, die Ihr Euch mit mir verbrüdern wollt, weil Ihr schon längst die Bewegung verraten habt.

Und Dich, Du schleimiger Ober, der den bestellten Wein immer noch nicht gebracht hast.

Und Dich, Du blöde Gans, die Du Deinen Rock immer noch nicht -".

Mitten im unvollendeten Satz erhob sich der Meister, wippte dreimal auf den Zehenspitzen und sank unter den Tisch. Am Nebentisch schaltete ein junger Mann mit schütterem Haar und langem Bart den Kassettenrecorder ab. Seine strähnige Begleiterin verstaute ein Mikrophon in ihrem Strickzeug.

„Es wird großartig", strahlte sie verklärt, „das neue Stück. So authentisch war der Meister schon lange nicht mehr!"

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