Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Literatur aus dem Jahr Null
Weniger als Uterarisches Ereignis denn als erschütternde Dokumentation des äußeren und inneren Trümmerhaufens, den die siebenjährige NS-Herrschaft zurückgelassen hat, muß dieser Lesenachmittag des österreichischen PEN-Clubs und des Presseclubs Concordia gewertet werden: als ein Dokument der Dichter, die allemal die hellhörigsten und sensibelsten Beobachter eines Volkes im Zusammenbruch und Wiedererstehen sind; als das mahnende Rückerinnern an eine Zeit, in der alles zerstört schien und nur manchmal die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit die Bitterkeit übertönte und zu neuer Hoffnung beflügelte, an eine Zeit, in der Autoren aus den verschiedensten politischen Lagern den Wunsch hatten, österreichische Schriftsteller, der lautgewordene Geist der österreichischen Nation zu sein.
Sie hatten Mühe, die Dichter, von dem fast unbeschreibbaren erlittenen Grauen loszukommen: Paula von Preradovic schilderte etwa das „Frauengefängnis der Gestapo“, Otto Basti ließ einen „Nachruf auf Europa“ laut werden, Ilse Aichinger rief zum Mißtrauen auf, Gerhard Fritsch stand vor dem zerstörten Haus seiner Kindheit, Walter Torna? beschwor die Greuel eines „ersoffenen Kellers“, Ernst Schönwiese trat angewidert dem Geist eines Heldenvolkes entgegen. Als vielleicht erschütterndstes Dokument dieser Zeit muß Paul Celans „Todesfuge“ bezeichnet werden, was auch das Publikum im Presseclub Concordia klar erkannte.
Paul Celan scheiterte in dem Versuch, mit den erlittenen Greueln weiterzuleben, tot sind auch Hertha Kräftner, Ingeborg Bachmann, Gerhard Fritsch und Herbert Zand, die 1945 zu den aufstrebenden Talenten gehörten. Auch viele von den großen Alten von damals, etwa Theodor Kramer, Franz Theodor Csokor, Rudolf Felmayer, sind nicht mehr unter uns.
Die Burgschauspieler Lilly Stepa-nek und Frank Hoffmann lasen ihre Zeugnisse aus dem Jahre Null, auch ein besonders eindruckvolles Gedicht über die Unmöglichkeit jeder Rückkehr: „Die Weissagung des Teiresias“ von Alexander Lernet-Holenia. — Milo Dors erster Text in deutscher Sprache entstand in dieser Zeit, Rudolf Henz las seine „Ballade vom Wort“, Friedrich Heer aus seiner Rede an Studenten, Friedrich Torberg ein Gedicht aus dem Jahr seiner Rückkehr aus der Emigration, Michael Guttenbrunner beschwor die mörderische Schlußschrift des Krieges, Reinhard Federmann, Erika Mitterer, Bertram Alfred Egger, Wilhelm Szäbö waren mit Gedichten und Prosatexten vertreten. Hans Heinz Hahnl erinnerte an Otto Basils Zeitschrift ,.Plan“, der damals ebenso große Bedeutung zukam wie Ernst Schönwieses „Silberboot“.
Eine Veranstaltung, die — nach den einleitenden Worten von Doktor Kurt Skalnik, dem neuen Präsidenten der „Concordia“ — nicht als routinemäßige Gedenkstunde verstanden werden sollte, sondern als erschütternde Mahnung, die im Jahr 1975 nicht laut genug erhoben werden kann. Die Jugend, an die die Lesung nicht zuletzt gerichtet war, war unter den Zuhörern leider spärlich vertreten.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!