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Literatur-Avantgarde nicht gefragt

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Die Dampfmaschine hat ausgedient, eine Eisenbahn, die auf sich hält, fährt elektrifiziert. Das Radio als Kind eben dieser Elektrizität steht, so hat es den Anschein, nach wie vor auf der Entwicklungsstufe des „Dampfradios“. Vor allem beim Hörspiel.

Verfolgt man den Spielraum des österreichischen Hörspiels, so stößt man selten auf neue Formen, die nicht schon in den zwanziger Jahren, der Pionierzeit des Hörspiels, in nuce zu entdecken wären. Das Instrumentarium scheint, sieht man von einigen technischen Verfeinerungen bei Aufnahme und Sendung ab, das gleiche zu sein; die Stereophonie und ihre Möglichkeiten werden so gut wie nie schon vom Verfasser berücksichtigt, selten in der Regie; vom „Kunstkopf wissen nur die Eingeweihten der heimlichen Hörspielmesse, in Unterrabnitz Genaueres.

Besonders kraß sticht dieses Auf- der-Stelle-Treten ins Ohr, wenn man jene Sendereihe unter die Lupe nimmt, die sich neuen Entwicklungen im Hörspielbereich verschreibt, dem sonntäglichen „Studio Avantgarde“. Da ist kaum etwas, was als radiophone Weiterentwicklung bezeichnet werden könnte.

Einige wenige Namen der zeitgenössischen Literatur - Dieter Kühn, Vin- tila Ivanceanu, Michael Scharang, Rolf Hochhuth, Liesl Ujvary, Ernst Jandl, Manfred Chobot. Das ist die Bilanz eines Jahres, bei 52 Terminen mager - noch dazu muß man Rolf Hochhuth streichen, der kaum der Avantgarde zuzurechnen ist; Manfred Chobot-verfaßte kein Hörspiel, sondern eine Feature - bleiben fünf Namen …

Die übrigen Termine? Sie fallen zu einem großen Teil aus, weil die vorher programmierte sonntägliche Opernaufzeichnung sehr oft die Sendezeit überzieht; die Avantgarde hat das Nachsehen und fällt aus. Daneben gab es zwei Wahlnachten, eine Sendung über Amnesty International. Außerdem nimmt seit einiger Zeit die Sendung „Kunst heute“ monatlich einen Sonntag Abend für sich in Anspruch.

Die Vernachlässigung der literarischen Avantgarde steht in eklatantem Gegensatz zur neuen Musik: diese hat jeden Donnerstag um 22.10 Uhr ihren fixen Termin, wo neueste, experimen telle Musik von berufener Hand ausgewählt und vorgestellt wird. Meist handelt es sich um Raritäten, die es weder auf Platten, noch auf Band gibt, sondern eigens für diese Sendung bei den Veranstaltungen selber aufgezeichnet werden. Auf diese Weise gelingt es, gezielt ein interessiertes Publikum zu erreichen, das damit rechnen kann, bei diesem Thema tatsächlich das zu bekommen, was es erwartet.

Warum nicht auch in der Literatur? Umsomehr, als die letzte Hörfunkstudie für beide Sendungen einen ähnlichen Hörerwert ermittelte, 6000 Hörer, die gezielt dieses Programm einschalten. Eine so niedrige Zahl, daß statistisch die Fehlerquelle sehr hoch ist, sodaß man mit ihr praktisch alles und nichts beweisen kann.

Tatsächlich hat sich der Hörfunk in Sachen neue Musik einige Sporen verdient, was das Verständnis, die Aufnahmebereitschaft des Publikums betrifft. Der Hörfunk steht auf dem Standpunkt, in der Musik solle man nicht zensurieren - „wenn Feuerwehrschlauchmusik gemacht wird, bringen wir das auch“. Programmpolitisch ist der Hörfunk sehr klug vorgegangen. Zunächst brachte man Bürgerschrecken wie Christobals Halfter, Britten oder Lutoslawski nur spät in der Nacht, führte sie aber dank gezielter Programm- und Orchesterpolitik aus dem Getto heraus. Das Rundfunkorchester ist bewußt auf moderne Musik spezialisiert, bei den Salzburger Festspielen ist es mit dabei. Die„Sandwichform“ wurde vom Rundfunk kreiert - man bringt ein supermodernes Stück zwischen zwei Klassikern. Zwangsbeglückung sozusagen, gegen die sich der Konzertbesucher nicht wehren kann.

Wenn heute sogar die Philharmoniker Webern spielen, wenn die erwähnten Komponisten im letzten Sommer bei den Salzburger Festspielen auf dem Programm standen, so ist das weitgehend Verdienst des Hörfunks. Vor zehn Jahren waren solche Konzerte höchstens halb voll, und die Karten waren alle verschenkt. Heute ist der Saal auch halb voll. Aber die Leute haben den Eintritt bezahlt“, sagt Hörfunkchef In der Maur.

Die Literatur hat keine solche Entwicklung, auch nicht in Ansätzen. Das liegt auch daran, daß der internationale Austausch nicht so gut funktioniert oder Ubersetzungsschwierigkeiten auftauchen. Die Auswahl ist also kleiner; auch sind die Auswahlkriterien etwas besser definiert. „Mit einer gehörigen Portioji Selbstvertrauen kann man in dig Partituren noch ein- dringen, kann Qualitätsunterschiede feststellen, man glaubt erkennen zu können, was Mache ist.“

Hauptgrund für die stiefmütterliche Behandlung der Literatur scheint jedoch zu sein, daß sie im Hörfunk keine Lobbies hat. Während man bei der Musik weiß, daß Prof. Lothar Knessl für die zeitgenössische Musik offene Ohren und Türen hat, ist die Literatur ziemlich verwaist. Nur das Studio Burgenland versteht sich als deren Mentor; es sind denn auch die meisten Produktionen unter der Ägide des burgenländischen Literaturbosses Unger und seines Regisseurs Röchelt entstanden. Sonst aber hält es der Hörfunk lieber mit den Arrivierten und sendet und bearbeitet Literatur der Vergangenheit.

Gerade in der Literatur haben österreichische Autoren ihr gerüttelt Maß an Achtung, weit über den österreichischen Raum hinaus. Es wäre an der Zeit, daß auch der Hörfunk sie entdeckt. Zu wenig Manuskripte? Kein Wunder, wo doch der Hörfunk ihnen die kalte Schulter zeigt! Um ein Hörspiel zu verfassen, muß man sich auch mit den radiphonen Möglichkeiten vertraut machen; es genügt ja nicht, einen Text zu schreiben, der dann dramatisiert wird.

Womit wir mitten im Teufelskreis stecken. Experimentelle Literatur hat insgesamt wenig Background, auch nicht in den angeblich aufgeschlossenen Verlagen; daher auch wenig Background im Hörfunk. Folglich wenig Produktionen. Folglich keine durchgehende Werbung des Hörerinteresses. Folglich noch weniger Produktionen und weniger Geld. Folglich weniger Interesse der Autoren. Folglich weniger Scripts. Folglich wenig Auswahl für den Dramaturgen. Folglich weniger Sendungen. Ad infini- tum.

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