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Literatur — trotz allem

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Auf der Belgrader Buchmesse in, diesem Herbst haben sich 372 jugoslawische Verleger mit etwa 1.100 ausländischen Kollegen aus 67 Ländern getroffen. Die Hallen waren eine Woche lang sehr gut besucht, auch durchschnittliche Leser kauften mit großer Ermäßigung viele Bücher. Kaum zu glauben, daß man sich in einem von Krisen geschüttelten Land mit einer Inflation von über 200 Prozent, einem starken Rückgang des Lebensstandards, mit drei oder vier Streiks täglich und Kundgebungen der unzufriedenen Massen befand.

Die Statistik zeigt freilich traurigere Tatsachen: die jugoslawischen Verleger haben 1988 etwa um 20 Prozent weniger neue Titel vorgelegt als im Jahre vorher. Das bedeutet nicht nur eine strengere Auswahl zugunsten höchster Qualität, sondern, inflationsbedingt, auch ein sehr kommerzielles Denken: eine Chance haben vor allem solche Bücher, die innerhalb weniger Monate verkauft werden können. Das führt zu kleineren Erstauflagen und dadurch zu höheren Preisen und einer Abnahme der Käuferzahl.

Das literarische Leben ist dafür reich an Ereignissen. Allein in Serbien gab es im Herbst drei interessante internationale Begegnungen. In der Stadt Bor, unterstützt von den dortigen Kupferbergwerken, trafen sich zum ersten Mal Schriftsteller aller Balkanländer. Bemerkenswert ist, daß auch führende bulgarische und albanische Dichter dabei waren, trotz der politischen Spannungen mit Bulgarien wegen der Makedonier und mit Albanien wegen Kosovo. In der Stadt Sme-derevo an der Donau gab es ein Treffen, auf dem jedes Jahr der „Goldene Schlüssel der Stadt“ einem Dichter aus einem Donauland verliehen wird. Dieses Jahr war es der ungarische Lyriker Sändor Weöres.

Interessant war das Belgrader internationale Oktobertreffen der Schriftsteller wegen des Themas „Literatur im Exil“. Offen sprachen die Jugoslawen über das „innere Exil“, das es im eigenen Lande gebe, und erwähnten dabei auch Milovan Djilas. Die Stars der Veranstaltung aber waren zwei Russen, der eine kam aus Deutschland, der andere aus den USA. Der Romancier Alexander Vojnowitsch, der in München eine neue Heimat gefunden hat, und der vorjährige Nobelpreisträger Josip Brodski, zur Zeit in New York, hatten zum ersten Mal Gelegenheit, mit einer offiziellen sowjetischen Schriftstellerdelegation zusammenzutreffen. Die Begegnung war herzlich und spielte sich vor aller Öffentlichkeit ab. Am Rande des Treffens wurde ein Vertrag mit dem Verband hebräischer Autoren aus Israel unterzeichnet, obwohl Jugoslawien mit diesem Land keine diplomatischen Beziehungen unterhält.

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