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Löcher im weiten Netz des KGB ?

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Scharenweise wurden in den vergangenen Tagen der Spionage bezichtigte Sowjetbürger aus westeuropäischen Ländern ausgewiesen: Rückschläge, die das KGB aber vermutlich unbeschadet übersteht.

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Scharenweise wurden in den vergangenen Tagen der Spionage bezichtigte Sowjetbürger aus westeuropäischen Ländern ausgewiesen: Rückschläge, die das KGB aber vermutlich unbeschadet übersteht.

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Der neue Chef des KGB, Viktor Tschebrikow, muß Rückschläge in den weltumspannenden Aktionen seiner Organisation eingestehen: Am 5. April wurden ihm aus Paris 47 Agenten unter dem Deckmantel der Diplomatie, von Handelsvertretungen und der Berichterstattung zurückgeschickt. Eine Woche vorher wurden in Großbritannien und Spanien Diplomaten und Sowjetjöurnalisten als KGB-

Agenten entlarvt und aus dem Land ihrer offiziellen und inoffi-r ziehen Berufstätigkeit ausgewiesen. In Westdeutschland und in Italien stehen ähnliche Aktionen gegen sowjetische Offizielle bevor.

Die sowjetische Revanche ließ nicht lange auf sich warten: Trotz Thatchers Warnung vor neuen Schritten im Falle gleicher Maßnahmen des Kremls wies Moskau einen britischen Diplomaten und einen Journalisten aus.

In der französischen Botschaft am Moskauer Lenin-Prospekt wurden bereits vorsorglich Koffer gepackt. Aus Tradition hat Moskau im Gegenzug Vorwürfe von westlicher Spionage, auch wenn sie noch so fadenscheinig sind, schnell zur Hand. Auf der Strecke bleibt dabei jedenfalls die vielgepriesene Entspannung.

Die sozialistische Regierung Frankreichs unter Mitterrand, der zwei kommunistische Minister angehören, erwirbt sich durch die drastische Aktion den Ruf einer schonungslos harten Linie gegenüber dem Kreml — sehr zum Unterschied zu seinem sanften Vorgänger Giscard d’Estaing. Die Ausweisung der KGB-Garde ist eine politische Aktion, die Rückschläge in wirtschaftlichen

Beziehungen mit dem Osten in Kauf nimmt.

Moskaus Hunger nach geheimer) Informationen ist praktisch unersättlich. In Frankreich erweckte die Marinebasis von Toulon, die Bewegungen von sowjetischen Kriegsschiffen beobachtet, das besondere Interesse der Späher unter dem Hammer-und-Si- chel-Emblem.

In Großbritannien konzentrierte sich der rote Geheimdienst in besonderem Maße auf jene technische Ausrüstung, die den Sieg im Südatlantik ermöglicht hat.

Als Auswirkung nennenswerter Erfolge in der Verteidigungs- und Industriespionage gehen die sowjetischen Agenten an der Themse und an der Seine auffallend waghalsiger und dreister ans Werk. Was den räumlich beschränkten Diplomaten nicht gelingt, das bringen die Journalisten mit größerer Bewegungsfreiheit zu Wege.

Darüber hinaus sind Querverbindungen kein Geheimnis mehr: In Frankreich stationierte KGB- Agenten wechselten wiederholt unbemerkt auf die britische Insel über, um die dortigen Spionagezellen zu überwachen und zu leiten, während die Augen der britischen Spionageabwehr MI5 auf den in London akkreditierten Sowjetbürgern ruhten.

Die synchronen Aktionen in westeuropäischen Hauptstädten lassen auf gegenseitig abgestimmte Maßnahmen schließen, auf den gemeinsamen Willen, der sowjetischen Wühlarbeit und der Eindringung von Agenten einen Riegel vorzuschieben, soweit dies überhaupt möglich ist.

Die Enthüllungen des letzten Überläufers, des Ex-Diplomaten und KGB-Mannes Vladimir Ku- sitschkin, haben dabei mit Sicherheit wertvolle Dienste geleistet. Allein der riesige Apparat des KGB hat in seiner Geschichte die von Zeit zu Zeit fälligen Absprünge von eigenen Agenten im großen und ganzen unbeschadet überstanden.

Das Monster KGB mit der Zentrale am Moskauer Tserschinski- Platz ist auch durch offene westliche Gegenaktionen, nämlich die Ausweisung überführter Agenten, trotz letzter Rückschläge auf dem Gebiet der Industriespionage voll in Takt. Die ideologisch vorgegebene Aufgabe sowjetischer Unterwanderung des Westens und damit Vorbereitung des Bodens für die rote Welteroberung wird von diesem gigantischen Apparat zur Zufriedenheit des Kremls erfüllt. Die Effizienz wird höchstens durch den im Osten nun einmal herrschenden Schlendrian beeinträchtigt, von dem auch nicht der Geheimdienst ausgenommen ist.

Nach vorsichtigen Schätzungen dient ein Heer von einer Viertelmillion vollamtlicher Agenten diesem Ziel. Nach dem Londoner Institut für Konfliktforschung sind drei Viertel aller sowjetischen Diplomaten, Handelsvertreter, Journalisten und Organisatoren der Fluggesellschaft „Aeroflot“ in NATO-Ländern für das KGB tätig, freiwillige westliche Mitarbeiter noch nicht eingerechnet.

Die offene Gesellschaft macht es den Handlangern im Dienste der Lublanka nicht übermäßig schwer. Der wesentliche Unterschied der Gesellschaften zeigt sich auch im Geheimdienst. Westliche Diplomaten sind allein ihrem Außenministerium, westliche Journalisten ausschließlich ihrem Medium verantwortlich.

Der erste Auftraggeber für Sowjetdiplomaten ist jedoch nicht Gromyko, sondern Tschebrikow, für die Journalisten nicht die Zeitungsredaktion, sondern die Hauptabteilung des KGB.

Die finanziellen Mittel für die Infiltrierung des Westens sind praktisch unbeschränkt. Ein Erfolg zeigt sich in der Ausbreitung der vom Kreml geschätzten Antinuklearbewegungen, deren verschiedene Gruppen gerade zu Ostern große Demonstrationen in nahezu allen westeuropäischen Ländern abhielten.

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