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Löhne, Preise & Co.

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Wird aus dem Sommer des wirtschaftlichen und politischen Mißvergnügens (hohe Inflationsraten, Sorgen im Fremdenverkehr, sinkende Auftragslage in der Exportwirtschaft, Skandale rund um den geplanten Bau der UNO-City, ORF-Novelle) ein Herbst des Unwiederbringlichen? Gedacht ist hier an die eben anlaufende Lohnrunde für rund 650.000 Arbeitnehmer, in deren Rahmen Forderungen bis zu einer 20prozentigen Erhöhung der Kollektivvertragslöhne präsentiert werden — und keine Senkung der Lohnsteuern.

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Wird aus dem Sommer des wirtschaftlichen und politischen Mißvergnügens (hohe Inflationsraten, Sorgen im Fremdenverkehr, sinkende Auftragslage in der Exportwirtschaft, Skandale rund um den geplanten Bau der UNO-City, ORF-Novelle) ein Herbst des Unwiederbringlichen? Gedacht ist hier an die eben anlaufende Lohnrunde für rund 650.000 Arbeitnehmer, in deren Rahmen Forderungen bis zu einer 20prozentigen Erhöhung der Kollektivvertragslöhne präsentiert werden — und keine Senkung der Lohnsteuern.

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Unter der Annahme, daß die außergewöhnlich hohen Inflationsraten in Österreich in erster Linie kosteninduziert sind, läßt sich ohne große Begabung für die Kunst des Hellsehens behaupten, daß die Realisierung derart exorbitant hoher Lohnwünsche die Preissteigerungsraten noch höher hinaufschnellen lassen wird. Daß der Gewerkschaftsbund mit voller Energie drängt, diese ungewöhnlich hohen Lohnforderungen auch zu verwirklichen, geht aus einer Stellungnahme des ÖGB-Präsidenten Benya hervor, der erstens meinte, daß es im November kein neues Stabilisierungsabkommen geben werde und der sich zweitens strikt gegen eine Senkung der Lohnsteuer ausgesprochen hat.

Über die Notwendigkeit eines Stabilisierungsabkommens kann man streiten, die stabilitätspolitische Wirksamkeit einer Reduktion der Lohn- und Einkommenssteuersätze im Zusammenhang mit der anlaufenden Lohnrunde sollte hingegen unbestritten sein. Die Effizienz dieser Maßnahme steht auch dann außer Zweifel, wenn man berücksichtigt, daß ein Viertel bis ein Drittel der allfällig realisierten Lohnerhöhungen infolge des progressiv gestalteten Lohn- und Einkommen-Steuersystems in Österreich wieder

an den Finanzminister zurückfließen. Bekanntlich führt dieses Abgabesystem dazu, daß in Zeiten hoher In-flations- und relativ hoher Wachstumsraten überproportionale Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer erzielt werden, weil mit steigenden Bruttoeinnahmen immer mehr Einkommensbezieher — hier wiederum vor allem die Arbeitnehmer — in höhere Tarifstufen vorrücken. Ein gleichmäßiges Wachstum der Budgeteinnahmen aus der Lohn- und der veranlagten Einkommensteuer ließe sich nur dann erreichen, wenn in den unteren und mittleren Einkommensstufen ein sehr niedriger und annähernd proportionaler Tarif bestünde und die durchschnittliche Belastung in den höchsten Einkommensstufen mäßig wäre. Ein solcher Steuertarif hätte freilich ein sehr starkes Sinken des tatsächlichen Steueraufkommens zur Folge, was wiederum budgetdeckungspoli-: tisch problematisch wäre.

Trotz eines leichten Abflauens der Preissteigerungsrate dürfte die österreichische Bevölkerung den Glauben verloren haben, daß die Bundesregierung irgend etwas bewirken könne. Die Schuld an diesem Vertrauensverlust trifft die Bundesregierung selbst, deren prominenteste Vertreter nicht zu behaupten aufhören, daß die hohen Inflations-

raten in Österreich Sache der ausländischen Wirtschaftspolitik seien. In einer Situation, da mancher auf dem Papier mehr erhält, aber tatsächlich an „Verwendungseinkommen“ weniger in der Lohntüte' hat als je zuvor, verrät die Suche nach dem „Schwarzen Peter“ im Ausland ein beklemmendes Eingeständnis an wirtschaftspolitischer Resignation der Regierung. Es kann daraus nichts Gutes werden. Die Stimmung in zahlreichen österreichischen Großbetrieben ist äußerst schlecht; die Verfechter radikaler Forderungen gewinnen immer mehr Oberhand. Sie argumentieren recht überzeugend, daß die offiziellen Statistiken

ein Ansteigen der Lohnsteuereinnahmen des Bundes von rund 75 Prozent zwischen 1970 und 1973 ausweisen; sie können auf Grund des statistischen Zahlenmaterials belegen, daß 1973 trotz Steuerreform die Einnahmen des Finanzministers aus der Lohnsteuer im ersten Halbjahr über denen der Vergleichsperiode des Vorjahres liegen; sie sagen zuletzt, daß der Anteil der Einnahmen aus der Lohnsteuer an den Nettoeinnahmen des Bundes zwischen 1970 und 1973 von 10 auf 13 Prozent hinaufschnellte.

Ist es da nicht wirtschaftspolitisch fragwürdig, der sicherlich berechtigten Forderung nach einer Senkung der Lohnsteuersätze ein starres Nein entgegenzuhalten? Wird da nicht in einem äußerst bedenklichen Spiel bei den Steuerzahlern und Inflationsgeschädigten zuerst der Eindruck der Hilflosigkeit, dann der des hilflosen Treibenlassens in Sachen Wirtschaftspolitik erzeugt?

Man scheint nicht zu überlegen, welche langfristigen psychologischpolitischen Wirkungen die Fortdauer einer teilweise betriebenen und teil-

weise tolerierten Inflationspolitik auf das staatsbürgerliche Bewußtsein haben muß. Es ist zu erwarten, daß die Reaktion auf diese Art von Politik ihren Niederschlag in den Wahlergebnissen vom 21. Oktober finden wird. Aber damit ist nicht genug geschehen, damit etwas geschehe. Regierung und Gewerkschaften dürfen nicht weiter in holder Eintracht ihre Ratlosigkeit durch rituelle Beschwörungen manifestieren. Denn das ist eine Manifestation auf dem Rücken des Verbrauchers, der zugleich Bürger, Wähler und Demokrat sein soll. Wenn die Regierung Systemfrömmigkeit erwartet, dann ist sie mit ihrer Wirtschaftspolitik sehr schlecht beraten. Wenn sie freilich mit ihrer Wirtschaftspolitik die österreichische Wirtschaftsordnung und das bestehende Gesellschaftssystem außer Kraft setzen will, dann muß man ihr Mut, Logik und ein gewisses Maß an Brutalität zugestehen. Nur: wer will schon diese hehren Eigenschaften für die falschen Zielsetzungen eingesetzt wissen — die Österreicher? Daran muß gezweifelt werden.

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