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Digital In Arbeit

Lösung mit Pferdefuß

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Es gibt kaum ein schwierigeres Kapitel in der Politik als die unendliche Geschichte von der Familie in der Sozialpolitik. Sie erhält zusätzliche Problemdimensionen dadurch, daß hier die letzten Fronten alter ideologischer Auseinandersetzungen verlaufen.

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Es gibt kaum ein schwierigeres Kapitel in der Politik als die unendliche Geschichte von der Familie in der Sozialpolitik. Sie erhält zusätzliche Problemdimensionen dadurch, daß hier die letzten Fronten alter ideologischer Auseinandersetzungen verlaufen.

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Dem Sozialismus war Familienpolitik im eigentlichen Sinn immer fremd. Man beschränkte sich - und das soll nicht abwertend gemeint sein - auf Politik für Frauen und Kinder. Für die christlich-soziale Auffassung wiederum stand die Familie als gesellschaftliches Gebilde im Vordergrund, das durch ganz spezifische und intensive personale Bindungen entsteht.

Beide „klassischen” Konzepte sind anfechtbar geworden. Die geschiedene Gewerk-schafts-„Emanze”, die stets nur die Interessen der „berufstätigen” (als ob Hausfrau kein Beruf wäre) Frau verfolgt, ist heute ebenso wenig glaubwürdig, wie ein konservativer Familienpolitiker, der sich für eine immer weniger real existierende heile Welt daheim stark macht.

Eigentlich gibt es zwischen diesen beiden Positionen keine Kompromisse. So bieten Familien- und Sozialpolitik gerade dort, wo sie einander berühren, ein eher trauriges Bild des ständigen Hin und Her, der Mittelwege, die gar keine sind, und der Verwässerung von strittigen Prinzipien samt geradezu plumpem Etikettenschwindel. Der Verfassungsgerichtshof will die Familie im Steuersystem verankert? Machen wir also eine Steuerreform, die in Wahrheit keine solche ist, sondern eine neue Familienbeihilfe schafft. Ein Wort, das aber auch nicht mehr stimmt, weil wir vom Familienlastenausgleich weg immer mehr in Richtung staatlicher Kinder- und Mütteralimentation marschieren.

Besser als der schlechte Ruf

Angesichts dieser Auspizien war für die von der Koalition geplante Anrechnung der Erziehungszeiten im Pensionssystem eher Schlimmeres zu erwarten. Doch siehe, die entstandene Lösung ist gut geworden. Jedenfalls besser als der schlechte Ruf, der ihr bereits vorauseilt.

Vier Jahre ab der Geburt jedes Kindes sollen dem, der es erzieht, für die Pension angerechnet werden. Dabei entstehen unter der Voraussetzung, daß es irgendwann einmal einen Versicherungsmonat gab, sogenannte Ersatzzeiten. Das sind zusätzliche Versicherungszeiten, die keine Beitragszeiten sind.

Vom Fachjargon in die normale Sprache übersetzt ergeben sich damit zwei interessante Wirkungen.

Erstens: Mit den neuen Erziehungszeiten kann man auch die Voraussetzungen für die Pension herstellen. Hier muß allerdings gleich eine wesentliche Einschränkung gemacht werden: Für die sogenannte „ewige Anwartschaft” gelten nur Beitragszeiten. Der Vorteil, mit 15 Jahren, die man irgendwie zusammenbringt, pensionsberechtigt zu werden, wird durch Kindererziehung nicht erworben. Man muß also weiterhin danach trachten, entweder 15 Jahre „echte” Versicherung (auch durch freiwillige Beiträge) aufweisen zu können oder dieses Mindestmaß muß in den letzten 30 Jahren vor der Pensionierung liegen („anrechenbar” sein). Damit zeigt sich ein Pferdefuß. Da

Kinder nach dem dreißigsten Lebensjahr eher selten geboren werden, ist eine „Mütterpension” praktisch ausgeschlossen. Auch eine Frau, die ihre Arbeit aufgab und zwischen ihrem zwanzigsten und vierzigsten Lebensjahr ununterbrochen eine große Kinderschar aufgezogen hat, geht leer aus. Sie hat ja vor dem 60. Geburtstag nicht mehr die zuletzt geschilderte ,.Halbdeckung”. Es sei denn, sie ist in dieser Zeit wieder einem Erwerb nachgegangen.

Allerdings tritt eine bemerkenswerte Wirkung ein. Bei Tod oder früh eintretender Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit genügen fünf Versicherungsjahre vor diesen Ereignissen - und die kann man mit der neuen Ersatzzeit erfüllen. Was bedeutet, daß eine Frau, die nur einmal einen Monat versichert war und nach dem Aufziehen von zwei Kindern einen schweren Unfall erleidet, eine - wenn auch sehr bescheidene - Pension erhält.

Damit zum zweiten Punkt: Die neuen Ersatzzeiten fließen nicht in die normale Pensionsberechnung ein, sondern bewirken gesonderte Steigerungsbeträge. Diese werden so bemessen, daß pro Jahr 1,9 Prozent eines fiktiven Einkommens von derzeit 5.800 Schilling gebühren. Das ergibt pro Kind einen Anspruch von maximal 440 Schilling.

Zusammenfassend wäre also zu sagen, daß die neuen Versicherungszeiten eine fixe Pensionserhöhung bewirken, die nicht vom individuellen Berufsverlauf und Einkommensniveau abhängt, sondern von der Dauer der Erziehungstätigkeit. Die betreffenden Jahre können auch Pensionsvoraussetzungen schaffen, aber nur mit den zuvor dargelegten Einschränkungen und natürlich immer nur dann, wenn die Mutter, gegebenenfalls auch der Vater als Erzieher, irgendwann einmal dem Kreis der Sozialversicherten angehört hat.

Bei Bewertung der neuen Lösung ist auch Kritik zulässig und schon geäußert worden. Bisher sollte den Frauen schrittweise ein Zeitraum von einem Jahr nach der Geburt, später von zwei Jahren, vollwertig angerechnet werden und sie erhielten einen Zuschlag zur Prozentberechnung ihrer Pension, welche einen nur kurzen Versicherungsverlauf nach Zahl der Kinder gleichsam aufbesserte. In etwa fünf Prozent der Fälle wird die Neuregelung ab dem Jahr 1997 ungünstiger sein, als die bisherige.

Bedeutsame Weichenstellung

Besonders zu denken muß geben, daß man sich offenbar wieder mit dem Gedanken befaßt, die Mehrkosten aus dem Familienlastenausgleich abzudecken. Geschieht dies, erfolgt kein echter Fortschritt im Pensionssystem, sondern die für die Familien gewidmeten Mittel werden für die ältere Generation umgeschichtet. Sofeme es sich um Personen handelt, die in ihrer Jugend Kinder hatten, was fairerweise hinzugefügt werden muß.

Dennoch überwiegt das Positive. Halten wir uns vor Augen, daß erstmals die Lebensphase der Erziehung von Kleinkindern bis zu deren Vorschulalter als Versicherungszeit anerkannt wird. Dies ist ein Qualitätssprung der Sozialpolitik. Damit wird Arbeit in der Familie der Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Es geschieht dies zwar mit den geschilderten Vorbehalten, aber doch sehr wohl im Prinzip.

Es gibt gute Gründe anzunehmen, daß das neue Konzept in der Zukunft weiterentwickelt wird. Die erwähnten Einschränkungen sind doch sehr wirksam und systemfremd im Sinne einer abzulehnenden Nivellierung. Die Weichenstellung ist aber sehr bedeutsam.

Moderne Sozialpolitik wird sich von der bisherigen engen Anknüpfung an das Erwerbsgeschehen lösen müssen. Sie muß neue Dimensionen erschließen, die solche der persönlichen Freiheit sind.

Eingangs wurde dargelegt, daß die Sozialpolitik für die Familien Orientierungsmängel aufweist, welche Folge unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Auffassungen sind. Der nun eingeschlagene Weg läßt aber hoffen, daß die Koalition trotzdem einen funktionierenden Kompaß zur Hand genommen hat. Der Autor ist Volksanwalt.

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