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Lohnrunde mit dem Rücken zur Wand

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Mit der Forderung der Metallarbeiter ist der Startschuß zur herbstlichen Lohnrunde gefallen. Trotz verbesserter Konjunktur bleibt der Handlungsspielraum der Sozialpartner gering. Neu ist der Durchbruch in der Arbeitszeitfrage, hier bahnen sich konkrete Kompromisse an.

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Mit der Forderung der Metallarbeiter ist der Startschuß zur herbstlichen Lohnrunde gefallen. Trotz verbesserter Konjunktur bleibt der Handlungsspielraum der Sozialpartner gering. Neu ist der Durchbruch in der Arbeitszeitfrage, hier bahnen sich konkrete Kompromisse an.

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Die alljährliche Lohnrunde, ein Ritual mit wichtigen wirtschaftspolitischen Konsequenzen, hat begonnen. Nur eines unterscheidet das diesjährige Tauziehen von jenem vergangener Jahre. Nach langem Glaubensstreit steuert das Problem Arbeitszeit einer Lösung zu. Unter dem Motto „Weder Dallinger noch gar nichts" wird die Leitlinie des letzten ÖGB-Kongresses realisiert. Die Entscheidung fällt nach Branchen in den Fachgewerkschaften und Fachverbänden.

Die letzten Resultate noch einmal kurz zusammengefaßt: • Druck, Papier und das Graphisehe Gewerbe haben sich am 20. Juni geeinigt und führen mit 1. April 1985 die 38-Stunden-Woche für Betriebe über 20 Dienstnehmer ein. Alle anderen haben einen Lohnzuschlag von 1,25 Prozent-Punkten zu zahlen. Bei jenen, die die Arbeitszeit verkürzen, werden bei der nächsten Lohnrunde 2,5 Prozent abgezogen.

Wirtschaftsforscher interpretieren dies allerdings als „Augen-auswischerei". Tenor: Vorher wird dazugeschlagen, was nachher von der Forderung wieder abgezogen wird.

• Die Zuckerindustrie hat probeweise für die Zeit außerhalb der Kampagne die Einführung der 38-Stunden-Woche von 28.

Jänner bis 31. August 1985 vereinbart. In dieser Zeit gilt die 39. und 40. Stunde jedoch nicht als Uberstunde, und die Basis für die Errechnung von Normal- und Uberstunden bleibt die 40-Stunden-Woche. Nach dem Probelauf wird erneut verhandelt. # AnstatteinesTeilzeitplanswill die SP-Fraktion der Gewerkschaft „öffentlicher Dienst" durchsetzen, daß Beamte, die ein Kind oder einen nahen Verwandten zu betreuen haben, im Lauf ihrer Dienstzeit maximal vier Jahre bei halbem Bezug und halber Pensionsbemessung nur die halbe Zeit arbeiten können. Dieses Modell ist unter der Bezeichnung „Verkürzung der Lebensarbeitszeit" schon länger bekannt. Interessant ist, daß sie ohne Lohnausgleich akzeptiert wird.

Die Gewerkschaft Metall, Bergbau und Energie will zu ihrer Ist-Lohn-Forderung von 6,5 Prozent eine Verkürzung der Arbeitszeit für Schicht- und Schwerarbeiter bei vollem Lohnausgleich.

Beobachter geben dieser Forderung gute Chancen auf Realisierung. Schließlich bekamen auch die deutschen Metallarbeiter eine Arbeitszeitverkürzung zugestanden, außerdem gilt die Schichtarbeit als gesundheitlich und sozial besonders belastend.

Die Arbeitgebervertreter blok-ken derzeit noch ab, denn immerhin sind von den rund 200.000 Beschäftigten der Gruppe rund ein Drittel Schichtarbeiter, besonders viele davon in der krisengeschüttelten Eisen- und Stahlindustrie.

• ImBaubereich.dergewöhnlich im Frühjahr abschließt, ist man auf eine Diskussion um Flexibilisierung der Arbeitszeit eingerichtet. Die Arbeitgeber hoffen auf eine Jahresarbeitsregelung. Das würde eine stärkere Berücksichtigung der saisonalen Beschäftigungsschwankungen am Bau ermöglichen.

• Auch im Handel, der mit 1. Jänner 1985 abschließen wird, geht es um eine Lockerung der starren Arbeitszeiten. Die Arbeitgeber wollen die Monatsarbeitszeit weiter flexibilisieren. Bisher kann in bestimmten Monaten die Wochenarbeitszeit zwischen 44 und 36 Stunden abgewechselt werden. Die Gewerkschaft steht einer Erweiterung noch skeptisch gegenüber.

Interessant ist jedenfalls, daß (siehe Tabelle) in der Vergangenheit Arbeitszeit und Lohnerhöhungen getrennt behandelt wurden. Arbeitszeitverkürzung mit niedrigen Lohnabschlüssen wurde nicht akzeptiert.

Tenor der Kommentatoren ist jedenfalls, daß es diesmal schwieriger sein wird als in den vergangenen Krisenjahren, den Mitarbeitern Reallohnverluste plausibel zu machen. Die saure Reaktion der Funktionäre auf das — allerdings gleich darauf wieder dementierte — Benya-Machtwort zu diesem Thema zeigt, daß die Lage, angespannt ist. Die Verbesserung der Konjunktur, das Belastungspaket und die hohe Inflationsrate (zwischen 5,5 und 5,8 Prozent für heuer) sind nun einmal auf den ersten Blick starke Argumente.

Die Konjunkturexperten halten nicht minder Schwerwiegendes dagegen: Sie weisen auf den gestiegenen Abstand der österreichischen zur deutschen Inflationsrate hin, auf die dadurch gefährdete Preisstabilität für die Exportpreise, noch dazu in der derzeit von den Ausfuhren getragenen Konjunktur; auf die nach wie vor schlechte Auslastung in vielen Industriezweigen, die nachlassende Produktivitätssteigerung nach dem ersten Quartal und die nur zögernd anlaufende Investitionskonjunktur.

Die Kernfrage, die hinter allem steht, lautet jedenfalls: Hebung der Inlandskaufkraft durch Reallohnsteigerungen oder Entlastung der Unternehmen. durch Abschlüsse unter der Inflationsrate.

Da nach übereinstimmender Ansicht die Metallarbeiter ihre Leitfunktion in den Lohnverhandlungen nicht eingebüßt haben, wird sehr bald klar sein, wofür man sich entschieden hat. Vieles deutet jedoch darauf hin, daß es auch diesmal „moderate" Abschlüsse um oder knapp unter der Inflationsrate geben wird. Die Wirtschaftsindikatoren und das versehentliche Machtwort des obersten Gewerkschaftsbosses sprechen dafür. Neu ist diesmal der Durchbruch in der Arbeitszeitfrage, wobei noch nicht klar ist, wie weitreichend er ausfallen wird. Radikale Maßnahmen in Sachen Arbeitszeit dürften jedenfalls nach dieser Lohnrunde ausgeschlossen werden können. Zu ihnen zählt neben der linearen Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden die KAPOVAZ (Arbeit und Bezahlung auf Abruf — kapa-zitätsorientierte variable Arbeitszeit).

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