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Lokalaugenschein bei Italiens Alternativen

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In Österreich hat eine „Alternative Liste" vor kurzem ihre Kandidatur bei den nächsten Nationalratswahlen beschlossen, in Deutschland sprechen politische Beobachter schon von der Unre-gierbarkeit einiger Länderparlamente, weil diese von ein paar Grünen bevölkert sind. Beim südlichen Nachbarn Italien bringt bereits seit 1976 eine Gruppe „alternativer" Abgeordneter etwas „Grün" in das Grau des römischen Parlaments: Die Fraktion des „Partito Radicale".

Die „Radicali" hielten unlängst im kommunistischen Bologna ihren jährlichen Kongreß ab. In den Kongreßpalast eintreten durfte jeder, der die Tagungsgebühr von umgerechnet etwa 60 Schilling entrichtete. Wer sich kurzerhand zu einer Mitgliedschaft auf ein Jahr entschloß, war sogar stimmberechtigt. Bürgernähe und Basisdemokratie wurden hier offensichtlich auch beim Parteikongreß ernstgenommen.

Im großen Saal des Bologneser Kongreßpalastes herrschte Hörerversammlungsatmosphäre — nur etwas aktiver, politischer, aber auch lustvoller und farbenfroher als an einer österreichischen Universität. Dabei waren die rund 1000 Kongreßteilnehmer keineswegs nur Studenten, auch 30- bis 50jährige waren zu sehen, dazu noch einige ältere Herren in feinem grauen Tuch mit dazupas-sender Seidenkrawatte.

Ein repräsentativer Querschnitt durch das Wählerpotential der Radicali, die bei den letzten Wahlen im Jahr 1979 3,4 Prozent der Stimmen erhielten und 18 Mandate in der römischen Kammer erreichten. Am besten haben sie dabei in römischen Studentenvierteln und in großbürgerlichen Gegenden der Hauptstadt abgeschnitten, eher schlecht in den norditalienischen Industriebezirken.

Die Radicali präsentierten sich als undogmatische Alternative zu den traditionellen Linksparteien, den Kommunisten und den Sozialisten. Vor allem der Craxi-Partei werfen sie gemeinsame Korruptionssache mit den Christdemokraten vor.

Undogmatisches steht auch auf den Transparenten im Bologneser Kongreßpalast: „Keine Lira für Waffen; Ja zum Steuerwiderstand" ist eine der plakatierten Lösungen. Banal, aber den ökologischen friedenspolitischen Grundsätzen der Partei entsprechend auch das Motto des Parteitags: „Leben für das Leben".

Daß aber auch bei den Radicali die Welt nicht ganz in Ordnung ist, zeigt sich schon am ersten Kongreßtag, und zwar noch während der Parteivorsitzende Marco Pannella am Wort ist. Pannella-Wortmeldungen werden sonst kaum unterbrochen, denn der 52jährige Römer, der die Partei seit 19 Jahren führt, ist die hervorragende und unbestrittene Führerpersönlichkeit dieser sonst so antiautoritären Gruppe.

Noch während dieser Pannella,den hier alle „Marco" rufen dürfen, seinen Rechenschaftsbericht hält, verlassen rund 40 Prozent der Anwesenden den Saal. Unter der Führung zweier Abgeordneter erklären sie der staunenden Presse, daß sie ihrem Marco nicht länger Gefolgschaft leisten wollen.

Die Partei müsse sich wieder stärker auf den Alltag in Italien mit all seinen Problemen, Skandalen und Krisen konzentrieren,argumentieren sie. Nur mit dem Kampf gegen den Hunger in der Welt, den Pannella für die wichtigste Aufgabe seiner Gruppe hält, ließe sich in Italien, das selbsti zum Teil ein wenig entwickeltes Land sei, nicht Politik machen.

Daß diese Parteispältung auch das Ende des Partito Radicale bedeutet, ist aber unwahrscheinlich. Schließlich haben sich die Radicali nie als typische Partei verstanden, sondern vielmehr als Sammlungsbewegung aktiver Menschen, die gemeinsam etwas erreichen wollen. Außerdem haben sie ihre größten Erfolge nicht als Partei im Parlament erringen können, sondern durch Referenden, die italienische Spielart des Volksbegehrens.

Die letzten Jahre konzentrierten sich die Aktivitäten der Radicali weniger auf Fragen der italienischen Politik, sondern auf den Bereich Ökologie, eine Unterstützung der internationalen Friedensbewegung sowie die Kampagne „Gegen den Hunger in der Welt".

Wie die Grundsätze der Partei ins tägliche Leben umgesetzt werden können, erzählt am vorletzten Tag des Kongresses ein Mailänder Geschäftsmann am Rednerpult: Da er nicht bereit sei, Steuergeld für die Anschaffung von Waffen zu bezahlen, habe er sich den genauen Budgetanteil für Waffenkäufe ausgerechnet und den entsprechenden Betrag statt an sein Finanzamt mittels Scheck an Staatspräsident Pertini übergaben.

Damit sei er seiner Bürgerpflicht nachgekommen, ohne die moralische Verantwortung für Waffenkäufe tragen zu müssen. Das war vor drei Jahren. Seither zirkuliert dieser Scheck zwischen dem Präsidentenpalast in Rom und dem Mailänder Kaufmann.

Als Marco Pannella am letzten Tag des Parteikongresses mit über 800 Stimmen bei elf Enthaltungen und 13 Gegenstimmen wieder gewählt wird, glaubt trotz Jubelstimmung niemand, daß der Partito Radicale damit auch schon die Spaltung überwunden hat. Aber, so die römische Zeitung „La Republica": Im Namen Pannellas vergessen die Radicali ihre Krise.

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