7072921-1993_08_03.jpg
Digital In Arbeit

Lokführer als Opfer der Weichensteller

Werbung
Werbung
Werbung

1.250 Menschen starben im Vorjahr auf Österreichs Straßen, 24 im Wochenschnitt. Diese Unfallbilanz wurde „gefeiert”: zehn Prozent weniger Todesopfer als 1991, über die Hälfte weniger als 1972, dem bisher schwärzesten Jahr in der Unfallstatistik. Für 494 Tote waren 18- bis 26jährige Lenker verantwortlich. 189 Todesopfer forderten allein Unachtsamkeit und Fahrfehler.

Unachtsamkeit und Fahrfehler zweier junger Lokführer, die auch noch ruinös namentlich an der Pranger gestellt worden sind, kosteten jetzt auf der Westbahn im Bahnhof Melk und in Wien-Hütteldorf sechs Menschen das Leben. Tragische Unfälle, keine Frage. Aber die öffentliche Hysterie in ihrem Gefolge war maßlos überzogen.

Ein Eisenbahnunglück wird nur deshalb zur „Sensation”, weil es so selten ist, während der Tod auf der Straße zur Alltäglichkeit gehört. Würde all das, was den beiden Lokführern an „Jugend” und „Unerfahrenheit” vorgehalten wurde, auf ihre Alterskollegen hinterm Lenkrad übertragen: viele müßten aus dem Verkehr gezogen werden.

Die Lokführer, die der Boulevard nicht nur nicht von Zugführern zu unterscheiden vermag, sondern gar mit Zugsführern des Heeres verwechselt, sind hervorragend ausgebildet. Auch deshalb ist und bleibt die Bahn das mit Abstand sicherste Verkehrsmittel. Den 1.250 Straßentoten stehen 1992 sieben Bahntote gegenüber.

Richtig ist aber, daß auch auf der Schiene das Sicherheitsrisiko größer geworden ist. Einerseits sieht sich die Bahn mit der Forderung konfrontiert, auch aus umweltpolitischen Gründen mehr, bessere und raschere Verbindungen anzubieten. Deshalb wurde die Zugfrequenz dramatisch erhöht, wurde in das rollende Material investiert. Es beschwerte sich ja auch niemand über das Sicherheitssystem, sondern über unbequeme Sitze. Andererseits kennt die öffentliche Diskussion sonst im Bahn-Zusammenhang nur ein Reizwort: ÖBB-Defizit. Einsparen!

Richtig ist wohl, daß zur Beschleunigung organisatorische Sicherheitspolster verkleinert wurden, daß die technischen Sicherungsanlagen der Verkehrsfrequenz mit Ach und Krach entsprechen, daß aber Zug um Zug Milliardenbeträge aufgebracht werden müssen, um auf modernste Sicherheitstechnik umzurüsten. Sonst heißt die Alternative: Rückkehr zur Bummelbahn.

Da geht es nicht nur um bahninterne Konsequenzen, sondern um die politischen Weichenstellungen, ums Geld für einen attraktiven und sicheren öffentlichen Verkehr. Keiner soll sich da nur auf „menschliches Versagen” ausreden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung